Sonntag, 13. August 2023

3341 Das ist es nicht

 



Ich sitze auf der Jägerwiese ganz oben am Waldrand (Achtung! Scheiß- und Brunzareal!) im hohen Gras und schaue die schöne, betörende Leite hinunter. Und was höre ich? Ich würd sagen eine Motorsense. Die verfolgen mich. Oder hat sich Bruder Hein inzwischen motorisiert? (Langsam wie er ist, erst jetzt.) Brmmm! Brmmm! Brmmm! Ja, wer auch immer: der (da bin ich mir sicher) hat Lust am Gas rauf und runter Drehen. Herausgelockt hat mich das Spätsommerlicht, als ich zu Hause aus dem Atelierfenster geblickt habe. Vielleicht ist es auch ein anderes Motorgerät. Als Trost krähte ein Hahn. Ich tippe schon auf Motorsäge. Brmm! Brmm! Brmm! Brmm! Der Plan ist, mich hier ins tiefe Gras zu legen. Aber jetzt habe ich meine Zweifel über diesen Einfall vom Morgen. Ach, nun bin ich schon da; ich probiere es. Vielleicht ist es auch ein Rasenmäher.

Also, so toll, wie ich mir das vorgestellt habe, ist das In-der-Wiese-Liegen nicht. Selbst nach den erwartbaren heftigen Kreuzschmerzen beim Hinlegen und nachdem sich mein Körper mitsamt seinem Rücken an die Liegeposition gewöhnt hat, ist es nicht toll. Irgendwas passt mir nicht (und ich meine nicht den ständigen Restschmerz im Rücken). Ich schaue in den blauen Himmel und auf die Wipfel der Bäume hinter mir und betrachte dabei das Herumschwimmen der Schlieren meiner Augentrübungen auf der Netzhaut (oder sind die nicht auf der Netzhaut?). Ich habe mich wieder aufgesetzt und sehe durch die Lücken im Wald auf der anderen Seite der Lichtung in die Ferne (Korneuburg? Nein, vermutlich doch nicht). Ich werde jetzt aufstehen und den Hang hinuntergehen und eine freie Bank zum Sitzen suchen.

Auf dem Weg hinunter viele, viele Heuschrecken, die erschrocken weghüpfen. Ich höre ein Pferd. Ist es der Handymast, der so elektrisch surrt? Spielende Kinder. Das Gasthaus hat offen. Die Motorsense verstummt. Ich werde das Ganze inspizieren. Auf der Bank hinter mir eine unerträglich gelangweilte, arrogante Jung-Frauenstimme.

Ich starte meinen Rundgang. Das Pferd habe ich gesehen und ein Maultier, einen dichten Garten mit Rosen und Gartenzwergen, eine große Voltaikanlage am Stadeldach und eine leer schaukelnde Schaukel und hören tu ich eine elektrisch surrende Anlage – keine Ahnung was das ist; also surrt nicht der Handymasten. Zum Agnesbründl? Zum Agnesbründl!

Nun sitze ich beim stillen, einsamen Agnesbründl mitten im Wald. Der Wind spielt seine Licht- und Schattenspiele auf dem Holztisch und ich sehe auf dem Papier des Notizbuches die Schatten meiner Haare flattern. Ist es ein guter Ort hier? Ich weiß es nicht. Ganz wohl fühle ich mich hier nicht. Eine Amsel fliegt durch das Dickicht. Es rauscht im Wald. Der Himmel über der kleinen Lichtung ist sommerlich blau. Irgendetwas will mich weitertreiben. Ich höre einen Habicht rufen. Die Stille ist schon beruhigend. Jetzt kommen andere Besucher zur Quelle. Ein altes, gebildetes Paar (ich höre es an den Stimmen). Ich merke es erst jetzt: in den Ästen einer Holunderstaude hängen bunte Bändchen; anscheinend werden hier doch noch Wünsche deponiert. Der Holunder passt natürlich gut zum Marienbild über der Quelle. Mein Mißtrauen gegenüber diesem Ort nimmt deutlich ab. Jetzt bleibe ich sitzen. Ich suche im Rucksack nach irgendeinem Bändchen, um es in den Baum zu hängen, finde aber keines. Das Band an meinem Notizbuch will ich nicht abreißen.

Ich bin ins Gasthaus eingekehrt, weil das auch eine Methode ist, den Ort zu würdigen. Auf der Sonnenterrasse ein ansatzweise – aber wirklich nur im Ansatz – mondänes Leben. Jedenfalls schaut es für den so aus, der aus dem hohen Gras mit seinen Käfern und Heuschrecken und dem Jucken und mit verschwitztem Leiberl und aus dem einsamen, feuchten, dunklen Wald kommt. Ein wenig kommt mir mein Einkehrtag übertrieben und zu viel des Guten vor.

Auf dem Weg von der Jägerwiese hinunter, die Sonne im Rücken, sehe ich es an meinem Schatten: ich habe den Gang eines alten Mannes. Etwas Schwankendes zeigt sich in der Bewegung. Ich raste an der mehrfachen Wegkreuzung im Wald. Dort stehen drei Bänke, auf denen immer wenigstens ein oder zwei Personen sitzen. Ich finde eine freie Bank. Viele Wanderer und Spaziergänger kommen vorbei. Der leise Wind bringt die Zweige und Äste der Bäume und Sträucher am Waldessaum in freudige Aufregung. Ein richtiger Rastplatz (hoffentlich mit guter Energie). Ich frage mich plötzlich, ob wirklich alle Vorbeikommenden Menschen sind. Aufgefallen wäre mir nichts.

Ich bin wieder im Gras gelegen, auf der Bellevue, zu der ich gewandert bin, aber nur kurz, denn mein Kreuz spielt nicht mit. Über mir sind zwei Habichte gekreist; manchmal haben ihre Konturen das Sonnenlicht als goldenen Glanz abgestrahlt. Der Himmel im Osten zeigte sich schon im dunkleren Blau, aber die Bäume dort leuchteten in intensivem, reifen Gelb. Meine Kreuzschmerzen sind wieder stärker geworden, deshalb hatte ich mich wieder mühsam aus dem Gras erhoben und mich auf eine Bank gesetzt. Wien liegt vor mir ausgebreitet und hingestreckt. Noch einmal zum Freuddenkmal? Oder gleich nach Hause? Ich sehe den Schlot vom Flötzersteig.

Nun hocke ich an das Freuddenkmal gelehnt - wo Freud die Traumdeutung eingefallen ist und ich hoffe immer, etwas von dieser Energie des Ortes könnte auch auf mich überspringen. Mal schauen, was da auf mich kommt. Das Gras rundherum ist hoch und vertrocknet, die Grillen zirpen, der Wind fächelt sanft herum, es ist so sehr Sommer, aber schon der späte, dem bereits ganz im Innern der Abschied eingehaucht ist. Es ist heiß, das ist es nicht. Zu heiß fast hier in der prallen Sonne.

(11.8.2023)

Peter Alois Rumpf August 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite