Donnerstag, 29. Juni 2023

3264 Rundgang

 



Wie ich den ersten großen Platz im Augarten betrete, erschrecken mich fast die Bäume, die die große Wiese so üppig und in solch intensivem Grün umstehen; wie Wächter oder Soldaten einer anderen Dimension, ihre Details im grellen Sonnenlicht so scharf gezeichnet, dass es meine Wahrnehmung beinah überfordert. Auch da, wo ich jetzt gegen Norden hin sitze, kommen mir die Bäume noch fremd vor und die Hausfassaden unglaubwürdig überzeichnet. Ich höre viele Stimmen, hauptsächlich spielende Kinder, die mir diese Fremdheit mit ihrem Tun so nebenbei bearbeitend ein wenig auflösen. Aber jenseits des Kippunktes sind sie noch nicht – jederzeit könnte sich ihre Akustik auf die andere Seite schlagen. Ich suche einen anderen Ort.

Ich suche einen anderen, schattigeren, vielleicht auch ruhigeren Ort und im Gehen produzieren meine lichtüberforderten Augen lauter rosa Flecken auf den Schotterwegen. Nun sitze ich auf der Bank mit dem kleineren Flakturm im Rücken, angenehm schattig und deutlich kühler in der Hitze. Die Bäume, die gegenüber aufragen und die Häuserfassade fast zur Gänze verdecken, stehen – ich weiß nicht, was ich da in letzter Zeit habe – ein wenig bedrohlich da und scheinen nach mir greifen zu wollen. Dieser Eindruck mag wohl am gekrümmten Schnitt dieser Alleebäume liegen. Ein Kind schreit im Gehen ständig „Augartenschwimmbad! Augartenschwimmbad!“. Eine Wolke schiebt sich vor die Sonne, aber die Lichtverhältnisse mit ihren Schatten werden nicht weniger strange. Und wie in letzter Zeit so oft, kommen mir manche der Bäume so unglaublich hoch vor. Verkleinere ich mich? Schrumpfe ich? Zieht sich meine Seele zusammen? Wird die Wirklichkeit größer? Eine Krähe ruft zweimal und scheint es zu bestätigen. Nun düdelt das Smartphone über das Familienessen am Samstag. Das wird etwas mir Realität zu tun haben, meine ich. Mein Gaumen brennt vor Trockenheit. Ich habe kein Wasser mit. Ich erwarte von mir, dass ich das aushalte. Das Sonnenlicht kommt wieder und ich gaffe wieder die Bäume hinauf. Die Pappeln lassen ihre Blätter zittern und so versuchen es auch die Kastanienbäume. Ich blicke die Allee entlang und schon fühle ich mich in einem fremden Land. Das gefällt mir durchaus: ich bin neugierig und spiele gerne mit diesen Eindrücken und ihrem wechselhaften Kommen und Gehen. Nocheinmal den Blick die Bäume hinauf, dann ändere ich wieder meinen Standort.

Und nun bei dieser erzählerischen Kreuzskulptur, in etwa Richtung Nord-Nord-West. Fröhliches Geschrei der Kinder im Schwimmbad. Die asphaltierte Fläche vor mir im Sonnenglunst (habe ich hiemit ein Wort erfunden? Ich meinte es zu kennen) gleißt und blendet meine Augen. Licht und Schatten sind hier stark herausgearbeitet. Ich denke an Marie-Liuse von Motesiczkys „Kröpfelsteig in Hinterbrühl“. Genau so einen Sommertag stellt dieses Bild dar. Genau so ist es. Es ist Mittagszeit, Siesta. Die Fassade des Prachthauses, das über den Weg zwischen den Bäumen hervorkommt, leuchtet scharf in ihrem übertriebenen Prunk. Die Augartenmauer jedoch ist schön. Ihr Ziegelrot, stellenweise weiß übertüncht, aber nie deckend. Die Schatten auf ihr! Ich weiß es auch nicht, warum mich solche alten Mauern ziemlich berühren. Irgendwelche Ablagerungen meiner Ahnen in meiner Seele? Was hätten die zu bedeuten? Ich suche einen schattigeren, vielleicht ruhigeren Platz.

Die Wolken im Osten bewegen sich, aber trotzdem wirken sie kompakt wie auf einem Gemälde eines italienischen Futuristen zum Beispiel. Das sind schon alles Aspekte der Wirklichkeit.

Und immer wieder bin ich beeindruckt von den Bäumen, auch auf meiner neuen Sitzbank am kreisrunden Platz. Die Bäume, sie sind in Wirklichkeit so mächtig. Bald könnten sie ihre bewegungseinschränkende Zurückhaltung aufgeben. Der aufkommende, leichte Wind bewegt sie schon ein wenig zur Probe und ermuntert sie. Zwei Zitronenfalter sehe ich in der Luft herumzappeln, aber erstaunlich schnell sind sie vorbeigeflogen und verschwunden. Dann kommt noch ein Weißling. Dann noch einer. Auch ich werde nach einem anderen Platz suchen.

Und nun in einem kleinen Hain, unter einem mächtigen Ahorn; Wiese und kleinere Bäume vor mir, größere wieder weiter weg. Ich höre das Geklacker der Bocciakugeln des Boulespielers dort drüben vor meiner Hecke. Und von einer Baustelle die Rutsche für den Schutt. Die Wiese hat schon oder noch braune Flecken. Ein Flugzeug dröhnt über mir (es ist nicht der Himmelvater auf seinem Thron). Hmm, ein sanfter Wind bewegt den Schatten meiner langen Haare auf meinem T-Shirt, die des Laubes an den Bäumen und was es sonst noch Mobiles gibt. Hier – scheint mir – kann ich verweilen. Ein kleiner Hund jagt einen Ball und schnüffelt dann bemüht unauffällig und so nebenbei in meiner Nähe herum. Es gibt wohl sehr viel hier zu erforschen. Da gebe ich ihm recht. Alle paar Minuten oder öfter donnert Schutt die Baustellenrutsche hinunter. Eine Krähe im Ahornbaum ruft. Auch von der anderen Seite kommt nun Baustellenlärm.

Das Verweilen geht schon zu Ende. Wieso? Unruhe? Bewegungsdrang? Hunger? Durst? Pflichtbewußtsein (Küchenarbeit)? Eindrucksüberlastung kann es heute und hier nicht sein.

Am Weg nach Hause – in den aufgeheizten Häuserschluchten ist es gleich viel heißer – bleibt mir der unangenehme und ekelhafte Geruch des Männerparfums eines jungen Radfahrers, an dem ich nur kurz vorbei gegangen bin, mindestens zehn Meter lang in der Nase hängen.

Und jetzt sitze ich auf der Bank vorm Haus und warte bis die Tageskinder-Abhol-Rushhour vorbei ist. Gleichzeitig beobachte und kontrolliere ich ein wenig unseren Hauseingang und seine Umgebung. Ein Mann photographiert mehrmals ein Fahrrad, das inmitten einer ganzen Reihe im Fahrradständer steht. Die Mütter mit ihren Kindern verlassen nun das Haus. Auf ihre Bitte hin mache ich noch eine Gruppenphoto von ihnen.




(29.6.2023)

Peter Alois Rumpf Juni 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

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