Mittwoch, 25. August 2021

2391 Das Buch mit den sieben Siegeln

 

Das Buch mit den sieben Siegeln. Oratorium von Franz Schmidt.

Bei Oratorien, also meistens der Vertonung von Bibelstellen, hat jeder Komponist, jede Komponistin die große Schwierigkeit, einen völlig unpoetischen, erzähltechnisch konfusen und in Erklärungen abschweifenden, in schlechtem Griechisch geschriebenen, holprigen, redundanten, geradezu hingeschissenen Text zu vertonen. Das gilt auch für die Johannes-Apokalypse. Glaubt mir, mit hingeschissenen Texten kenn ich mich bestens aus: Denk- Kontroll- Korrektur- und sonstige Faulheit, Ergriffen-Sein von der eigenen Vision und der eigenen Wichtigkeit (trotz Demutsgetue – lasst euch nicht täuschen!) – das „Verbrechen der Zufallsseher“ (C.Castaneda). Ja, das trifft auch und gerade auf die Johannesapokalypse zu. „Meine“ Seher würden solche Visionen als sich verbindlich gebende Vision und Botschaft aus dem Stillen Wissen ablehnen und zurückweisen, weil offensichtlich ist, wie der Zufallsseher keine Ahnung von den Voraussetzungen und der Natur seiner Vision, keine Kontrolle über seine Projektionen hat und sich als „Auserwählter“ im Eigendünkel sonnender Idiot sich völlig überschätzt. Das schließt nicht aus, dass aus solchen Visionen schöne, berührende, staunen machende Bilder entstehen können, freilich zweifelhafter Aussagekraft, aber dennoch interessanter Wirkungsgeschichte. Dennoch: als Faustregel gilt: je üppiger, undurchschaubarer, geheimnisvoller, unverständlicher desto verdorbener die Vision. Ich mein, das berühmte „mene mene tekel unpharsin“ ist doch eine klare Offenbarung dagegen: „gewogen und zu leicht gefunden!“ That's it! Punkt! Aus! Amen!

Also der Komponist oder die Komponistin steht (oder  sitzt) vor einer in sich unlösbaren, von vornherein zum Scheitern verurteilten Aufgabe; er oder sie kann nur versuchen, möglichst tapfer und schön unterzugehen. Und das ist Franz Schmidt in seinem Oratorium wunderbar geglückt. Die Spannung kann bei so einem Text schwer durchgehalten werden, bei all dem umständlichen Gerede muß die Spannung immer wieder abreißen, aber Franz Schmidt ertrinkt nicht gleich, er kann die abgerissenen Fäden immer wieder auffangen und neu verknüpfen und uns so zum grandiosen finalen Halleluja hinführen. Ein Halleluja, das wie ein Ausbruch und Aufschrei an Lebensfreude und - ich würde sagen – Wut auf den unmöglichen Text und – wohl dem Komponisten unbewußt – Wut auf die Kastration den Lebens durch die Mutter Kirche – zu einem kosmischen Tanz wird, in dem das Leben – sozusagen mit roma-magyarischer Musikunterstützung – in den Geigen gegen seine Verkümmerung aufjault und in immer und immer wieder neuen Anlauf zur schieren Lebensfreude nimmt. Und ich bleibe dabei: mit zunehmen Zorn des Chores auf den Text und die Vorschriften der Heiligen Katholischen Kirche, der musikalisch herrlich im rhythmisierten Singen der Chores seinen wunderbaren Ausdruck findet. Bevor er dann doch klein beigeben und die Kirche triumphieren lassen muß.

Ja und dann muß der arme Komponist nach diesem grandiosen Höhepunkt und Abschluß noch die eigentlich unverschämten, gottlosen Selbstbezeugungen als von Gott legitimierter Seher des Johannes vertonen. Weil das halt noch in der (nur teil-)Heiligen Schrift so dasteht: ich der Johannes bin es, der das gesehen hat und bezeugt, dass das von Gott kommt und ihr müßt mir das glauben – der typische, hysterische Irrtum der Zufallsseher. Der arme Komponist. Aber mein Mitleid hält sich in Grenzen: er hätte das einfach wegstreichen können.

 

(25.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

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