2391 Das Buch mit den sieben Siegeln
Das Buch mit den sieben Siegeln. Oratorium von Franz
Schmidt.
Bei Oratorien, also meistens der Vertonung von Bibelstellen,
hat jeder Komponist, jede Komponistin die große Schwierigkeit, einen völlig
unpoetischen, erzähltechnisch konfusen und in Erklärungen abschweifenden, in
schlechtem Griechisch geschriebenen, holprigen, redundanten, geradezu
hingeschissenen Text zu vertonen. Das gilt auch für die Johannes-Apokalypse.
Glaubt mir, mit hingeschissenen Texten kenn ich mich bestens aus: Denk- Kontroll- Korrektur- und
sonstige Faulheit, Ergriffen-Sein von der eigenen Vision und der eigenen
Wichtigkeit (trotz Demutsgetue – lasst euch nicht täuschen!) – das „Verbrechen
der Zufallsseher“ (C.Castaneda). Ja, das trifft auch und gerade auf die
Johannesapokalypse zu. „Meine“ Seher würden solche Visionen als sich
verbindlich gebende Vision und Botschaft aus dem Stillen Wissen ablehnen und
zurückweisen, weil offensichtlich ist, wie der Zufallsseher keine Ahnung von
den Voraussetzungen und der Natur seiner Vision, keine Kontrolle über seine
Projektionen hat und sich als „Auserwählter“ im Eigendünkel sonnender Idiot
sich völlig überschätzt. Das schließt nicht aus, dass aus solchen Visionen
schöne, berührende, staunen machende Bilder entstehen können, freilich
zweifelhafter Aussagekraft, aber dennoch interessanter Wirkungsgeschichte.
Dennoch: als Faustregel gilt: je üppiger, undurchschaubarer, geheimnisvoller, unverständlicher desto verdorbener die Vision. Ich mein, das berühmte „mene mene tekel
unpharsin“ ist doch eine klare Offenbarung dagegen: „gewogen und zu leicht
gefunden!“ That's it! Punkt! Aus! Amen!
Also der Komponist oder die Komponistin steht (oder sitzt) vor einer in
sich unlösbaren, von vornherein zum Scheitern verurteilten Aufgabe; er oder sie
kann nur versuchen, möglichst tapfer und schön unterzugehen. Und das ist Franz
Schmidt in seinem Oratorium wunderbar geglückt. Die Spannung kann bei so einem
Text schwer durchgehalten werden, bei all dem umständlichen Gerede muß die
Spannung immer wieder abreißen, aber Franz Schmidt ertrinkt nicht gleich, er
kann die abgerissenen Fäden immer wieder auffangen und neu verknüpfen und uns
so zum grandiosen finalen Halleluja hinführen. Ein Halleluja, das wie ein
Ausbruch und Aufschrei an Lebensfreude und - ich würde sagen – Wut auf den
unmöglichen Text und – wohl dem Komponisten unbewußt – Wut auf die Kastration
den Lebens durch die Mutter Kirche – zu einem kosmischen Tanz wird, in dem das
Leben – sozusagen mit roma-magyarischer Musikunterstützung – in den Geigen
gegen seine Verkümmerung aufjault und in immer und immer wieder neuen Anlauf
zur schieren Lebensfreude nimmt. Und ich bleibe dabei: mit zunehmen Zorn des
Chores auf den Text und die Vorschriften der Heiligen Katholischen Kirche, der
musikalisch herrlich im rhythmisierten Singen der Chores seinen wunderbaren
Ausdruck findet. Bevor er dann doch klein beigeben und die Kirche triumphieren lassen muß.
Ja und dann muß der arme Komponist nach diesem grandiosen
Höhepunkt und Abschluß noch die eigentlich unverschämten, gottlosen
Selbstbezeugungen als von Gott legitimierter Seher des Johannes vertonen. Weil
das halt noch in der (nur teil-)Heiligen Schrift so dasteht: ich der Johannes
bin es, der das gesehen hat und bezeugt, dass das von Gott kommt und ihr müßt
mir das glauben – der typische, hysterische Irrtum der Zufallsseher. Der arme
Komponist. Aber mein Mitleid hält sich in Grenzen: er hätte das einfach
wegstreichen können.
(25.8.2021)
©Peter
Alois Rumpf August 2021 peteraloisrumpf@gmail.com
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