Mittwoch, 25. August 2021

2389 Shiva tanzt (Teil 1)

 

Das Glitzern auf der Weihwasserflasche, die ich gerade in der Hand gehalten habe. Und auf dem Glas, in dem ich Pflanzensamen für meinen klandestinen Garten am Flußufer aufbewahre und die ich heute ausstreuen gegangen bin. Und an meiner Brille fürs Laptop, die auf dem Schreibtisch dort liegt und schwächer ist als meine normale Lesebrille. Auch der eine oder andere Buchrücken glitzert ein wenig. Ein festes, fettes, aber schwächeres Glitzern sitzt auf meiner Klammermaschine vulgo Tacker. Viel Glanz kommt von meinen Photos des von mir bewunderten und geliebten Graffitos unter der Franzensbrücke, das in dieser endlichen Realität schon zerstört ist, aber sicherlich in der Zeitlosigkeit weiterlebt. Meine Augen gleiten im vertrauten Zimmer über die vertrauten Wände und harren der Ereignisse.

Mein Magen knurrt melodiös. Ich stehe jetzt vom Bett auf und gehe ins Musikzimmer, um aus dem Fenster zu schauen; vielleicht gibt es etwas zu sehen.

Auch der Weihbrunn glitzert, wie ich jetzt feststelle. Ich habe die Kopfhörerstöpsel aus dem CD-Player herausgezogen und höre die Musik laut und wieder auf dem Bett liegend (Roscoe Mitchell „Bells For The South Side“). Die Spannungen um meinen Schädel, die ich soeben erst bemerkt habe, beginnen sich zu lösen. Dem Glitzern entsprechen die Glockenschläge in der Musik. Jetzt fällt mir erst das Glitzern am Weihrauchgefäß auf. Meine Ohren werden heißer. Das ist für lange Zeit das Einzige zu berichten.

Allmählich bekommen die einzelnen Gegenstände in meiner Umgebung Intensität und nehmen Fahrt auf. Die Tenorsaxophone trauern gemeinsam. Die Perkussion ist ganz, ganz zart. Trotzdem passt der Katze die Musik nicht. Das Schlagzeug schlägt ein bisschen kompakter zu. Die Überhänge der gestapelten CDs über meinen alten Kassettenberg.

Beginnt jetzt der Lichtertanz? Die Musik hüpft jetzt mehr, als sie tanzt. An der Nasenwurzel zwischen meinen Augen staut es sich. Was? Ton? Licht? Wie ein rustikaler Angeber schiebe ich mir zwar nicht die Sonnen- aber die Lesebrille auf die Stirn und sofort wird alles kleiner. Jaaaaahhh! Jetzt beginnt ein langsamer, schwerer Tanz voller Erdanziehungskraft und Auftrieb. Das dicke, fette Walross. Die Musik ist wunderschön. Eine lächelnde, vergebliche Trauer legt sich über alles. Ich blättere um. Die schlafende Katze behält die Oberhand, während ich abvibriere. „Wer läutet so spät durch Nacht und Wind?“ Der frankophonen Schweizerin (radio swiss romande) geht der Hut hoch. Ich fange zu dirigieren an, natürlich bloß hinterher. „Das Kommando sagt ...“ Das Wunder ist mit leichter Übelkeit unterlegt. „Ach ja! Was soll das! ...“ Die Bilder beginnen mit mir zu tanzen. Die Katze schnarcht die verklingende Musik weiter. Das größere Wunder ist eigentlich, wie die Schrift aus dem Stift rinnt. Meine Vesuvsteine beginnen zu glitzern. Herrliche Schauer durchschauen mich. Liebe arme frankophone Schweizer Frau! vergiß doch endlich den blöden Hut und laß – bitte! bitte! - deine letzten Hüllen fallen. Ich will schauen, nichts als schauen!

 

(24.8.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   August 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

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