Dienstag, 14. Februar 2023

3083 Im Zahnambulatorium

 

10:57 a.m.  Im Zahnambulatorium. Kann ich in der Nervosität des Wartens auf den Aufruf ins Behandlungszimmer schreiben? Ich glaube nicht. Der Stress ist zu groß, keine Muse ist möglich. Und dieser nervige, ständig in den Augenwinkeln zuckende und blinkende Infoscreenbildschirm an der Wand zeigt immer noch das Wetter vom 15.10.2020. Willkommen in der Welt der kranken Gesundheitskasse (ich bin schon froh, dass es die gibt). Fragebogen habe ich ausgefüllt. Jetzt kommt das nervösere Warten. FFP2-Maske abnehmen, schneuzen, aufsetzen, aufstehen, gibt es wo einen Papierkorb? Ja, da hinten, neben dem Regenschirmkübel. Neues Taschentuch einstecken, die Lesebrille so platzieren, dass sie von meinem Atem nicht anläuft. Bei diesen verfluchten Gesundheitsinfoscreenwerbungen schauen die Patienten immer so gesund, schön und zu jung aus. Niemand leidet. Höchstens ein paar Röntgenbilder. Gut. Die Nervosität steigt. Ich gebe die Schreiberei auf. Der Vogel flieht aus dem Käfig (Infoscreen). Und daneben ein eingerahmtes Plakat, das verkündet, dass die Polizei keine Toleranz für Gewalt und aggressives Verhalten hat. Da müßte sie bei sich selbst anfangen. Mein Termin rückt näher und die Nervosität steigt. Obwohl ich sicherlich noch länger warten muß – anscheinend ist noch eine Patienten vor mir – stelle ich jetzt das Schreiben ein. Ich stecke aber Notizbuch und Kugelschreiber noch nicht in die Tasche: ich will üben, es auszuhalten, wenn ich erst beim namentlichen Aufruf das Zeug in die Tasche stecke und so nicht sofort aufspringen kann. Ich halte das kaum aus: meine autoritäre Dressur ist immer noch wirksam. Mein Termin ist schon zwei Minuten überschritten und nichts tut sich. Die sehr alte Frau, die wohl vor mir drankommt, hat ihre Wartezeit mit Smartphonegucken überbrückt. Sie wirkt dabei sehr gekonnt und sehr souverän. Souveräner und lebenstüchtiger als ich wirke und als ich bin. Da ich jetzt herumschaue, nervt mich das Wartezimmer-TV noch mehr, da ich es nicht vermeiden kann, dass mein herumschweifender Blick immer wieder kurz eingefangen wird – von dem Bildschirm, der die Befreiung des Vogels aus dem Käfig propagieren will! Wie dekadent!

 

(14.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

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