3083 Im Zahnambulatorium
10:57 a.m. Im
Zahnambulatorium. Kann ich in der Nervosität des Wartens auf den Aufruf ins
Behandlungszimmer schreiben? Ich glaube nicht. Der Stress ist zu groß, keine
Muse ist möglich. Und dieser nervige, ständig in den Augenwinkeln zuckende und
blinkende Infoscreenbildschirm an der Wand zeigt immer noch das Wetter vom
15.10.2020. Willkommen in der Welt der kranken Gesundheitskasse (ich bin schon
froh, dass es die gibt). Fragebogen habe ich ausgefüllt. Jetzt kommt das nervösere
Warten. FFP2-Maske abnehmen, schneuzen, aufsetzen, aufstehen, gibt es wo einen
Papierkorb? Ja, da hinten, neben dem Regenschirmkübel. Neues Taschentuch
einstecken, die Lesebrille so platzieren, dass sie von meinem Atem nicht
anläuft. Bei diesen verfluchten Gesundheitsinfoscreenwerbungen schauen die
Patienten immer so gesund, schön und zu jung aus. Niemand leidet. Höchstens ein
paar Röntgenbilder. Gut. Die Nervosität steigt. Ich gebe die Schreiberei auf.
Der Vogel flieht aus dem Käfig (Infoscreen). Und daneben ein eingerahmtes
Plakat, das verkündet, dass die Polizei keine Toleranz für Gewalt und
aggressives Verhalten hat. Da müßte sie bei sich selbst anfangen. Mein Termin
rückt näher und die Nervosität steigt. Obwohl ich sicherlich noch länger warten
muß – anscheinend ist noch eine Patienten vor mir – stelle ich jetzt das
Schreiben ein. Ich stecke aber Notizbuch und Kugelschreiber noch nicht in die
Tasche: ich will üben, es auszuhalten, wenn ich erst beim namentlichen Aufruf
das Zeug in die Tasche stecke und so nicht sofort aufspringen kann. Ich halte
das kaum aus: meine autoritäre Dressur ist immer noch wirksam. Mein Termin ist
schon zwei Minuten überschritten und nichts tut sich. Die sehr alte Frau, die
wohl vor mir drankommt, hat ihre Wartezeit mit Smartphonegucken überbrückt. Sie
wirkt dabei sehr gekonnt und sehr souverän. Souveräner und lebenstüchtiger als
ich wirke und als ich bin. Da ich jetzt herumschaue, nervt mich das
Wartezimmer-TV noch mehr, da ich es nicht vermeiden kann, dass mein herumschweifender
Blick immer wieder kurz eingefangen wird – von dem Bildschirm, der die
Befreiung des Vogels aus dem Käfig propagieren will! Wie dekadent!
(14.2.2023)
©Peter Alois
Rumpf Februar 2023 peteraloisrumpf@gmail.com
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