3077 Hauptbücherei
Die Bäume im Grete-Rehor-Park starren ganz toll und kahl in
den kalten, sonnigen Wintertag. Und die Hansi Niese schaut deppert und Mitleid
erheischend verlogen schiefköpfig auf die Haltestelle. Wir nähern uns meiner
früheren Heimat, die mein Herz immer noch höher schlagen läßt - sie könnte es
heute nicht mehr sein: Welten gehen unter und man wird immer älter. Die scharfe
S-Kurve der Straßenbahn. Wir verlassen „mein“ Gebiet. Ihr seht: auf dem Weg zur
Hauptbücherei.
Jetzt sitze ich am Großen Fenster Richtung Norden: Gürtel,
Nußdorf, Kahlenberg, Leopoldsberg. Alles in strahlendem Sonnenlicht; am
Horizont ein paar Hochnebelschlieren. Eine Bücherei interne Aussichtsplattform
sozusagen. Ich überlege, aus der zweiten Sitzreihe in die erste vorzurücken,
aber ein dicker Mann schlendert massig und präsent gelassen auf den einzigen
freien Platz zu und ist schneller als meine Entscheidung. Trotz Gürtelverkehr
empfinde ich es heute hier nicht so unruhig; die Stille im Glaskasten
funktioniert viertelwegs („halbwegs“ wäre übertrieben). Stadt hat schon was!
Besonders die alten, organischen Dächer. Die neuen sind … Tauben fliegen um die
Dächer und sitzen am Dach der Stadtbahnstation. So geht Jugendstil gerade noch.
Die gleißende Helle des reflektierenden Lichts an den Hausfassaden, dort, wo es
auftrifft: auch eine Offenbarung, eine magische Er-schein-ung. Raumschiff
Bücherei. Wir fliegen durch die Unendlichkeit (nicht durch Raum und Zeit – die
gibt es nicht). Die durchschimmernde Unendlichkeit ist sehr befremdend. Was sie
fremd macht ist jedoch die profane Wirklichkeit. Die vielen hin und her
fahrenden Autos verstärken diesen Effekt, denn sie wirken nicht wie von
einzelnen Selbsts, einzelnen autonomen Personen gelenkt, sondern wie von anonymen Kräften
herumgejagte - sagen wir: Moleküle.
Kleinstteilchen jedenfalls. Ein riesiger Schwarm Tauben bestätigt mir das:
fliegt extra auf und kehrt wieder zum grünen Blechdach zurück. Es ist schon der
weite Ausblick hier, der mich zieht. „Ich suche das Weite.“ Trotzdem werde ich
jetzt die zwei Bücher, die ich ausborgen will, verbuchen (Bücher verbuchen! Ts!
Ts! Ts!) und dann nach Hause fahren. Ich habe Sehnsucht nach meinem düsteren
Versteck, nach meiner Lichtschachtkemenate.
(10.2.2023)
©Peter Alois
Rumpf Februar 2023 peteraloisrumpf@gmail.com
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