Mittwoch, 22. Februar 2023

3098 Schattenwerfer

 

15:43.  Im Augarten. So ein warmer Tag! Nur Sakko über Hemd. Die Sonne links; ich dachte, das wäre für einen (umgezwungenen) Rechtsschreiber passend. Aber die nieder stehende Sonne macht auf der rechten Notizbuchseite, wo ich zu schreiben beginne, Schatten: vom Bug der linken Notizbuchseiten, links vom Spalt in der Mitte des Buches; so tief steht die Sonne. Ich schaue herum, ob auch Zwerge lange Schatten werfen, aber ich sehe keine. Die linke Sonne blendet mich ein wenig, aber das stört mich nicht. Viele Menschen suchen die Sonne (und ihre Schatten?). Gerede, Geschrei, Kinderweinen, Kinderjubel, Räuspern, die typischen knirschenden Geräusche fahrender Geräte auf Schotter. Vor mir, leicht links und einigermaßen anständig entfernt: der runde Flakturm. Never again. Alle Passanten haben Licht- und Schattenseiten; recht scharf und optisch deutlich getrennt. Ein Mönchlein – na gut, er ist größer als ich – spaziert in Begleitung und Gespräch. Ich kann mir nicht helfen: ich bekomme Sehnsucht nach dem Nagual. Sie reden Spanisch, glaube ich. Die Sonne erreicht schon die Spitzen der Bäume der linken Allee. Der mönchische Anfall ist vorbei: ich gaffe wieder den Weibern auf den Arsch (oder gehört das eh dazu?). Mein Geschreibsel ist schon zu dreiviertel im Schatten der linken Notizbuchblätter, obwohl ich in der Sonne sitze. Viele Frisbees (was sind das für Bienen?) fliegen und tanzen herum. Die kurzgeschnittenen Wiesen sind geradeschon angegrünt. Dafür bietet der Schotter ein atemberaubendes Licht- und Schattenspiel, eines in weiß grün blau. Und braun. Und rot (Ziegelbruch?). Ich hebe den Blick wieder in die Horizontale. Die Kirchturmuhr von St. Leopold (auch so ein fragwürdiger Heiliger) schlägt vier Uhr. Ich bin dem Turmuhrschlagen und dem Glockengeläut freundlich gesonnen. Erst jetzt höre ich die Vögel zwitschern, bis jetzt habe ich es nicht beachtet. Die Rinden der kahlen, beschnittenen Bäume schimmern teilweise rötlich überzogen. Die Graphik der kahlen Äste gefällt mir sehr. Einzelne Glasscherben glitzern aus dem Schotter. Und auch die Stücklein von Zweigen, abgestorbene Grashalme können schön glitzern. Sowie die Baumrinden. Mir kommt ständig vor, dass da jemand links von mir sitzt oder steht – ich blicke unwillkürlich hin, aber da ist niemand. Die ganze Szenerie (Verzeihung! Die Welt und das Leben sind mehr als Szenerie!) wird um ein paar Lux dunkler; das Glitzern wird schwächer. Die Sonne senkt sich schon in den horizontalen Dunst. Eine schwarze Krähe geht und hüpft herum und sucht Futter – nehme ich an. Für stolzieren bewegt sie sich fast ein wenig zu aufgeregt. Die Wiese leert sich jetzt von den Menschen. Das wenige, das jetzt noch glitzert glitzert stark. Mehr als die Hälfte der Wiese liegt schon im Abendschatten. Die sonnenbeleuchteten Stellen zeigen sich sehr hellgrün. Auch ich werde aufbrechen. Wieder drehe ich plötzlich und unvermittelt den Kopf nach links. Was immer meine Aufmerksamkeit anzupft: es befindet sich links neben mir, nicht links hinter mir.

Ich bin auf dem Weg heim. Die hingebreiteten Flächen beginnen ein wenig traurig zu wirken.

Spatzen, die unter dem Spalt zwischen der Mauer und dem sie bedeckenden Holzdach nisten, machen ein unglaublich lautes, aufgeregtes Geschrei; viel lauter als das der Kinder.

Viele verschiedene Sprachen sind zu hören – das ist so schön an einer Stadt. Oberösterreichisch war auch dabei. Der runde Flakturm ist jetzt in zwei Wiesen Entfernung genau vor mir. Ich gehe wieder weiter.

 

(22.02.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

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