3084 Mittags im Kaffeehaus
Und nun im Kaffeehaus. High Noon. Da ist dann so ein
Kaffeehaus eher ein Restaurant. Ich schaffe es kaum – mein passiv-autoritärer
Charakter! - trotz Mittagszeit nur einen Cappuccino zu konsumieren und
Zeitungen zu lesen. Und mitten im Wirbel, im – unterstellten -
Konsumationsdruck, bei auf Sitzplätze wartenden Gästen, die beim Eingang
stehen, zu schreiben. Aber ich mache es. Zu Hause werde ich mich drei Stunden
lang – mindestens! - von dieser psychischen Strapaze erholen müssen. Aber ich
muß! Ich muß! Ich muß! Ich will! Ich will! Ich will meine Robustheit
trainieren! Alles was recht ist. Sonst müßte ich ins Kloster gehen (in welches?
Ach nein, die wolle ja auch keine gescheiterten Existenzen. Obwohl sie jede
Menge davon haben). Ich dreh das schief abgestellte Kaffeetablett gerade, will
sagen: Kanten Tablett-Tisch parallel. Laut ist es hier. Hauptsächlich
hauptsächlich touristisches Geschnatter. Ein kleines Mädchen einer benachbart
sitzenden Familie schaut mich an und mir beim Schreiben zu. Ich überlege, ihr
den rosa Pilotstift zu schenken; aber ich mache es nicht, weil es ein Übergriff
sein könnte (will sagen: ich habe mich nicht getraut. Obwohl ich weiß, dass
mein Geschenk arglos gewesen wäre). Heute habe ich aber schon ein wenig
kommuniziert: einer alten Dame im Zahnambulatorium habe ich eine neue
FFP2-Maske geschenkt, weil bei ihrer eine Schlaufe abgerissen ist. Mit der
Zahnärztin und ihrer Assistentin habe ich über einen grünen Punkt an der Decke,
der mir während des An-die-Decke-Starrens bei der Behandlung aufgefallen ist,
von dem jedoch niemand weiß, weshalb und wofür er da ist, gescherzt und ihnen
allen einen schönen Tag gewünscht. Diese Familie am Nebentisch, die mit dem
Mädchen, das mich beobachtet hat – die Familie ist inzwischen gegangen – könnte auch
jüdisch gewesen sein. Wenn das zutrifft, dann wäre mein Geschenk an das Mädchen
niemals arglos gewesen. Als Sohn eine SS-Mannes und einer Mutter aus einer
absolut naziverseuchten Familie mit Kriegverbrecher als Bruder hätte das niemals,
niemals arglos sein können. Es hätte etwas zutiefst obszön Aufdringliches und
schwerst Belastetes gehabt. Gut, dass ich nichts getan habe. Das böse Erbe
sitzt mir und vielen meiner Generation im Leben. Wirkliche Unbefangenheit kann
es nicht geben, persönliche Schuld hin oder her („Gott straft die Sünden der
Väter bis in die dritte und vierte Generation.“ 4Moses(Numeri) 14,18. - eine
kluge, empirische Beobachtung! Oder glaubt jemand im Ernst, die können
Millionen umbringen, dann kommen sie nach Hause, vögeln ihre Frauen, zeugen
ihren Nachwuchs und nichts von ihren beschädigten, verdorbenen, verwüsteten und
bösen Energien geht auf die Kinder über?!).
Jetzt wird es hier etwas ruhiger und es gibt schon freie
Plätze, aber ich bin reif für den Nachhauseweg. Ungeduldig suche ich den
Blickkontakt mit dem Kellner, der mich – entgegen all meine Befürchtungen –
völlig in Ruhe meinen Kaffee trinken, die Zeitungen lesen und mein Notizbuch
beschreiben lassen hat. Er aber schaut jetzt nie her, ich kann seine Aufmerksamkeit
nicht und nicht einfangen, trotz meiner Rufe - “Sir!“ - und ständiges Hinschauen.
Ah, jetzt! Jetzt hat es geklappt – ich habe mit meiner Geldbörse gewachelt; von
der Weiten ging es besser. Mein Trinkgeld, natürlich völlig übertrieben. Die
Schuld zu leben. Nur mühsam bin ich auf dem engen Raum in meinen Hoodie und in
die Winterjacke hineingekommen, ohne dabei etwas von den Tischen zu fegen.
(14.2.2023)
©Peter Alois
Rumpf Februar 2023 peteraloisrumpf@gmail.com
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