Dienstag, 14. Februar 2023

3084 Mittags im Kaffeehaus

 

Und nun im Kaffeehaus. High Noon. Da ist dann so ein Kaffeehaus eher ein Restaurant. Ich schaffe es kaum – mein passiv-autoritärer Charakter! - trotz Mittagszeit nur einen Cappuccino zu konsumieren und Zeitungen zu lesen. Und mitten im Wirbel, im – unterstellten - Konsumationsdruck, bei auf Sitzplätze wartenden Gästen, die beim Eingang stehen, zu schreiben. Aber ich mache es. Zu Hause werde ich mich drei Stunden lang – mindestens! - von dieser psychischen Strapaze erholen müssen. Aber ich muß! Ich muß! Ich muß! Ich will! Ich will! Ich will meine Robustheit trainieren! Alles was recht ist. Sonst müßte ich ins Kloster gehen (in welches? Ach nein, die wolle ja auch keine gescheiterten Existenzen. Obwohl sie jede Menge davon haben). Ich dreh das schief abgestellte Kaffeetablett gerade, will sagen: Kanten Tablett-Tisch parallel. Laut ist es hier. Hauptsächlich hauptsächlich touristisches Geschnatter. Ein kleines Mädchen einer benachbart sitzenden Familie schaut mich an und mir beim Schreiben zu. Ich überlege, ihr den rosa Pilotstift zu schenken; aber ich mache es nicht, weil es ein Übergriff sein könnte (will sagen: ich habe mich nicht getraut. Obwohl ich weiß, dass mein Geschenk arglos gewesen wäre). Heute habe ich aber schon ein wenig kommuniziert: einer alten Dame im Zahnambulatorium habe ich eine neue FFP2-Maske geschenkt, weil bei ihrer eine Schlaufe abgerissen ist. Mit der Zahnärztin und ihrer Assistentin habe ich über einen grünen Punkt an der Decke, der mir während des An-die-Decke-Starrens bei der Behandlung aufgefallen ist, von dem jedoch niemand weiß, weshalb und wofür er da ist, gescherzt und ihnen allen einen schönen Tag gewünscht. Diese Familie am Nebentisch, die mit dem Mädchen, das mich beobachtet hat – die Familie ist inzwischen gegangen – könnte auch jüdisch gewesen sein. Wenn das zutrifft, dann wäre mein Geschenk an das Mädchen niemals arglos gewesen. Als Sohn eine SS-Mannes und einer Mutter aus einer absolut naziverseuchten Familie mit Kriegverbrecher als Bruder hätte das niemals, niemals arglos sein können. Es hätte etwas zutiefst obszön Aufdringliches und schwerst Belastetes gehabt. Gut, dass ich nichts getan habe. Das böse Erbe sitzt mir und vielen meiner Generation im Leben. Wirkliche Unbefangenheit kann es nicht geben, persönliche Schuld hin oder her („Gott straft die Sünden der Väter bis in die dritte und vierte Generation.“ 4Moses(Numeri) 14,18. - eine kluge, empirische Beobachtung! Oder glaubt jemand im Ernst, die können Millionen umbringen, dann kommen sie nach Hause, vögeln ihre Frauen, zeugen ihren Nachwuchs und nichts von ihren beschädigten, verdorbenen, verwüsteten und bösen Energien geht auf die Kinder über?!).

Jetzt wird es hier etwas ruhiger und es gibt schon freie Plätze, aber ich bin reif für den Nachhauseweg. Ungeduldig suche ich den Blickkontakt mit dem Kellner, der mich – entgegen all meine Befürchtungen – völlig in Ruhe meinen Kaffee trinken, die Zeitungen lesen und mein Notizbuch beschreiben lassen hat. Er aber schaut jetzt nie her, ich kann seine Aufmerksamkeit nicht und nicht einfangen, trotz meiner Rufe - “Sir!“ - und ständiges Hinschauen. Ah, jetzt! Jetzt hat es geklappt – ich habe mit meiner Geldbörse gewachelt; von der Weiten ging es besser. Mein Trinkgeld, natürlich völlig übertrieben. Die Schuld zu leben. Nur mühsam bin ich auf dem engen Raum in meinen Hoodie und in die Winterjacke hineingekommen, ohne dabei etwas von den Tischen zu fegen.

 

(14.2.2023)

©Peter Alois Rumpf  Februar 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

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