313 Der schwarze Mittwoch
Unten schreit und weint jemand. Jemand, der klein ist. Ich
jedoch denke an mein Vorhaben, eine Lesung abzuhalten, und bekomme Angst. Sie
ist plötzlich wie ein winziger Punkt in der Gegend des Nabels da, vielleicht
etwas darunter, und dehnt sich rasch aus. Jetzt erstreckt sie sich nicht nur
über mein Vorhaben, sondern auch auf meinen Job. Schließlich habe ich gestern
kein einziges Interview geschafft. Meine unerlöste Seele will auch schreien und
brüllen, die ganze Enttäuschung hinaus, weinen, dieses Nein! Nein! Nein! - das
habe ich nicht verdient! Ich habe es nicht verdient, als ein Telefonkrimineller
angesprochen zu werden, ich hatte diese verächtlich hingespuckte, hingekotzte
Döbereinerberatung nicht verdient, ich hatte es nicht verdient, zum letzten
Dreck gemacht worden zu sein. Meine Seele ist auch ein kleines Kind, aber sie
kann nicht schreien; sie ist stumm; starr vor Angst und Entsetzen. Und sie
fühlt sich schuldig. Schuldig dafür, zu leben, obwohl sie eigentlich weg
gehört. So schaut es in meinem Inneren aus. Aber was jetzt? Was mach ich damit?
Jetzt einmal versuche ich, den Schmerz zuzulassen, ihn zu spüren und
auszuhalten. Er sitzt dort, wo auch die Angst begonnen hat sich auszudehnen.
Die Angst ist jetzt mehr in der Gegend des Herzens. Ein verzagtes Herz habe ich
jetzt. Ich möchte mein Leben aber nicht nur irgendwie aushalten, ich möchte es
leben. Möchten, nicht wollen. Zum Wollen fehlt mir das Selbstwertgefühl. (Meine
ständigen Schreibfehler und Verwechslungen gehen mir auch schon auf die Nerven
- „wir“ schreibe ich statt „mir“, „fehl“ statt „fehlt“ … als ginge meinem
Gehirn allmählich die Kraft aus, sich auf diese feindliche, fremde Welt zu
konzentrieren, als zöge es sich zurück, ziehe es sich zusammen, versulze, wolle
nicht mehr, streike müde, rolle sich ein.) (Ich vergesse auch immer mehr; Namen sowieso, aber auch Abgesprochenes. Und Sachen, die ich mir vornehme. Gestern habe ich vergessen, die Bäume zu grüßen, die ich im Vorbeigehen zu grüßen mir angewöhnt habe, da bin ich noch die hundert Meter zurückgegangen. Heute war ich schon zu weit, als es mir eingefallen ist.) Zum tausendsten Mal fühle ich in
mich hinein, aber gewinne kein Terrain. Gut. Kein Ort, wo sich meine Seele
ungefährdet ausruhen kann. Also auf der Flucht. Wenn ich in menschenleeres
Gebiet komme, könnte aus der Flucht eine Wanderung werden. ... In Wirklichkeit
traue ich mich doch gar nicht raus. In mir ein unzentriertes Karussell aus
Angst, Schock, Entsetzen … Trotz allem: ich verstumme. Auch meine Gefühle sind
verstummt, ich spüre nichts mehr. Höchstens etwas dumpfes. An meinem T-Shirt
sehe ich einen weißen Streifen, den ich nicht verstehe. Ich warte darauf, daß
noch irgendetwas kommt, aber es kommt nichts mehr. Ich glaube, das nennt man
Agonie. Seelenagonie. Meine Seele im Todeskampf, hat eigentlich schon verloren.
Ach, muß das schön sein, sich einfach hinlegen und auflösen. Niemand tut
irgendjemandem irgendetwas an. Vielleicht gibt’s wirklich tote Seelen.
Vielleicht auch nicht. Komm, hör jetzt auf. Es heißt, man solle keine Häuser
betreten, wo man nicht wertgeschätzt wird. Staubabschütteln, umdrehen, gehen.
So, jetzt hörst du aber wirklich und sofort auf mit diesem elenden
Geschreibsel! Schluß! Aus! Und dieser Lärm, immer dieser Lärm, ich sehne mich
so nach Stille. Wieder habe ich mich aufscheuchen lassen.
Tensegrityübung Innere Stille.
Tensegrityübung Träumen. (Stecken geblieben, wußte plötzlich
nicht weiter. Macht nichts, aber eigenartig ist es schon. Wahrscheinlich, weil
ich die Westwoodfolge umgedreht habe und Verzweiflung einem aus dem Innersten
vertreibt.)
Tensegityübung Rekapitulation. (Bin neben mir. Verliere
dauernd den Faden. Innen sehr aufgewühlt- Sturm im Wasserglas?)
Tensegrityübung Eigene Entscheidung. (Ich übe wie unter
Drogen. Verzweiflung als Droge? Wut und Hassattacken; Wut und Hassphantasien.)
Jetzt erst die Aufwärmübung und die zur Reinigung von
physischem Körper und Energiekörper, weil ich die Innere Stille zuerst machen
wollte. Alles läuft wie daneben ab. Ohne inneren Schwerpunkt. Klotz in Hals und
Brust. Druck hinter den Augen. Ziehen im Gesicht. Trotzdem: Schreiben führt
einfach weiter. Nur in der Zeit kann etwas aufhören.
Erdform kurz, Quellform und wieder Reinigungsübung. Flucht
in unpersönliche Sprache. Und essen. Einfach essen. Ein kräftiges Frühstück
high noon.
©Peter
Alois Rumpf März
2016
peteraloisrumpf@gmail.com
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