2610 Alles verdorben
Uh! Kalt! 6 Uhr. Alles stürzt durch mich hindurch. Passen
Sie auf im Kindergarten, was Sie sagen! Aber er! Sein Leben! Ach ihr Zwerge!
Aschenputtel mitnehmen, das ist zu viel verlangt? Hm?!
Nun ist es hoher Tag (13h), seit einer halben Stunde liege
ich wach und betrachte fromm mein Bücherregal, während ich die Katze streichle
und massiere. Die Luft im Raum moussiert und einiges bewegt sich verstohlen: so
ertappe ich meine frankophone Schweizerin, wie sie mit dem Vesuvstein tanzt.
Und das gesamte Bücherregal ändert gekonnt Farbe und Oberfläche, fast so gut
wie eine lebendige Krake. Aber das ist es nicht. Es ist wie alles ein Fenster
in die Unendlichkeit. Liebe Leserin, lieber Leser (so es euch gibt), wenn Euch
meine ewigen Beschreibungen meines Zimmer und meines Anblicks vom Bett aus
schon langweilen und nerven: auch hier entscheidet sich täglich und in jedem
Moment von Neuem der Kampf zwischen Leben und Tod. Auch hier spielt sich ein
weltbewegendes Drama, ein Krimi, eine Komödie und eine Tragödie ab. Im linken
Ohr dreht auf einmal das Surren so richtig auf; die Filmmusik zu
was-weiß-ich-welchem Film und was weiß ich, wie der heißt. Einige meiner
Langenscheidts rücken nun hin und her - keine Ahnung, was sich der Große
Regisseur oder die Große Regisseurin dabei gedacht hat.
Ich blicke aufs Kastl am Fußende, das Kastl mit den nackten
Weibern, der verwoatakelten Auferstehung, der falschen katholischen Wandlung
und der lieben Platane und – ich bin verlegen, wie ich das hinschreibe – der
Busen der Munchschen Madonna löst echten psychophysischen Schmerz aus. Dann
doch lieber zurück zum Bücherregal, obwohl mich vorhin die frankophone
Schweizerin ganz wild angeschaut hat. Jetzt ist ihr Blick flehentlich: ich
halte sie in diesem Photo vom Gemälde gefangen. Oder mit meinen Gedanken. Aber
noch will ich auf ihren Anblick nicht verzichten und die Kunstkarte verbrennen.
Außerdem sollte sie mit ihrem Maler ein Wörtchen reden, bevor sie sich an mich
wendet, oder? Jessica daneben scheint unbefangen zu sein und es ist ihr egal,
dass ich ihr "Selfie" betrachte. Gut, sie ist bekleidet, aber sie ist auch eine
moderne Frau, die sich im Funktionalen und Langweiligem einzurichten versucht.
Und darunter: den schönen Weiberarsch der Dame im Garten: den bau ich mir mehr
selber im Kopf und aus der Erinnerung zusammen, als dass ich ihn in echt sehen
kann.
Frau Buddha an der linken Wand – der mit dem Hausaltar –
meditiert das Weihrauchkesselchen. Und der Tod als kleiner Tiger. Naja, der
Sensenmeister hockt doch links hinter mir – ich glaube, mit dem kleinen Tiger
übertreibe ich.
Es ist unter dem Surrgedröhne plötzlich so still, dass mir
leicht übel wird. Doch nicht so tapfer, der Herr, angesichts des Todes, wie er gern
angibt? Mir ist tatsächlich ein wenig schlecht. Die festgemauerte
Wahrnehmungsblase, in der ich sitze, beginnt zu schweben. Ein ganz, ganz fernes
Geräusch fängt zu wummern an und verklingt wieder. Muß das sein, dass mir jetzt
dieser bajuwarische Affenarsch in den Sinn kommt? Alles verdorben! Ich breche ab
und gehe frühstücken.
(7.3.2022)
©Peter Alois Rumpf März 2022
peteraloisrumpf@gmail.com
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