Mittwoch, 26. Juli 2017

705 Ich bin – so halbwegs kommt es hin – beim Lesen eingeschlafen

Ich bin – so halbwegs kommt es hin – beim Lesen eingeschlafen. Die Augen sind mir zugefallen, ich konnte gerade noch Buch und Brille weglegen. Doch jedesmal, wenn die Arbeiter am Dach, die selbiges erneuern, aber jetzt einmal das alte abbauen – die Dachziegel haben sie schon die letzten Tage entfernt – die Tram und Pfosten absägen, ihre Bohrmaschinen und Sägen starten, reißt es mich hoch in die wildeste Verwirrung, aus dem Schlaf, den man nicht den des Gerechten nennen kann.
Es ist ungewöhnlich, daß ich um diese vormittägliche Mittagszeit schlafe, ich schrecke auf, will meine Lesebrille herunternehmen um besser sehen zu können, aber die liegt schon bei der Leselampe. Angstvoll frage ich mich, ob ich die Zeit übersehen habe und schon zu spät zur Arbeit bin; im ersten Moment weiß ich gar nichts, Stück für Stück muß ich mir erst die Realität zusammensuchen. Nein, dort steht die Uhr, da kannst du die Zeit ablesen, es ist überraschend spät, ich muß länger geschlafen haben; das denke ich, obwohl ich nicht sagen kann, wann ich eingeschlafen bin; nicht einmal, wann ich das Buch in die Hand genommen habe.

Der Schlaf des Gerechten soll es meinetwegen nicht gewesen sein, aber ein Schlaf, der aus der tiefen Entspannung aus der Lektüre gekommen ist. Nicht, weil mir dabei langweilig geworden wäre, sondern weil meine Seele von der Erzählung und den Beschreibungen glücklich verlockt sich in tiefere Schichten begeben hat. Oder meine Aufmerksamkeit in tiefere Schichten meiner Seele, um sich dort träumend aufzulösen. Ein Heilschlaf, gewissermaßen. Schade, daß er mehrmals gestört wurde; von außen durch den Lärm der Arbeiter, deren Verrichtungen in unserer Idiotenwelt besser geschützt, fundamentaler begründet und mit selbstverständlicherer Notwendigkeit ausgestattet sind als irgendetwas anderes – früher zum Beispiel waren lärmende Arbeiten in der Nähe einer Kirche während des Gottesdienstes verboten; wenigstens etwas, wenigstens eine kleine Oase für die Begegnung von Himmel und Erde, für die Heilung der Seelen, für die Möglichkeit, das Andere zu ahnen. Mit solchem Luxus ist es heute vorbei. Meinetwegen zu recht, was die Kirchen betrifft, denn mir hat man einmal den Wunsch, in einer Kirche, vor dem Allerheiligsten sozusagen, übernachten und dort schlafen zu dürfen – ich dachte damals an den Schlaf des Prophetenschülers im Tempel – nicht erlaubt. So feig sind sie, und so wenig vertrauen sie auf die Macht ihres Gottes, daß sie ihn mit ihrer Bürokratie schützen zu müssen glauben. Auch sie haben sich der Logik des Materiellen unterworfen. (Naja, ganz fair ist diese Attacke – möglicherweise - nicht.)

Aber auch ich, denn von innen bohrte und sägte lärmend die Sorge, zu spät zur Arbeit zu kommen. Auch ich habe mich unterworfen. Was ist denn das Zu-spät-Kommen im Vergleich zur Heilung der Seele?! Nichts, gar nichts, und trotzdem gebe ich dem mehr Gewicht.







22./24.5.2017)











 ©Peter Alois Rumpf    Mai 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

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