702 Eigentlich ist der Theseustempel schön
Eigentlich ist der Theseustempel schön. Den in Wien meine
ich. Im Volksgarten. Die Wirkung ist abgeschwächt, weil er verbarrikadiert ist.
Ich weiß schon, warum.
Volksgarten, Volksmusik, Volkstheater, Volksbelustigung,
Volksvertretung, Volksgesundheit, Volksfest, Volksstimme, Volkssport, Volkspart
…
Ich sitze im Halbschatten; in der Sonne ist mir zu heiß. Ich
kann mich noch erinnern, wie von den „Faulenzern und Schmarotzern beim
Theseustempel“ die Rede war. Vor vielen Jahrzehnten. Vor meiner Zeit in Wien –
nur um das klar zu stellen.
Ganz günstig ist der Platz hier nicht, an dem ich sitze.
Aber das passt; schließlich war ich gestern in der Arbeit wieder schlecht; nur
zwei Interviews. Das übliche Selbstbestrafungsprogramm wegen der Euphorie am
Freitag. Heute scheint mir die Sonne auf die Glatze; nicht mehr lange; der
Schatten kommt schon angekrochen.
Ist diese Ecke da irgendein klandestiner Treffpunkt? Was
scheiß ich mich! Ist mir doch egal. Touristenherden ziehen vorbei. Sie stören
mich nicht, denn ich schaue. Als literarischer Voyeur schaue ich auf alles, im
Prinzip. Im Konkreten dann nicht auf alles.
Eine Salzburger Schülergruppe auf Wienquiztour lenkt mich ab
und amüsiert mich in ihrem leicht angebremsten, aber letztlich doch Eifer.
Es ist eng hier. Ganz entspannen kann ich mich nicht. Die
Fahnen auf der Hofburg – Österreich und Europa – wehen wirklich majestätisch im
Wind. Dahinter kommen schöne Wolkenbänke ganz langsam hinter dem Dach hervor.
Jetzt fällt mir erst auf, daß ich da verdammt nahe am politischen Machtzentrum
Österreichs sitze. Das hat jetzt keine besonderen Auswirkungen auf mich.
Mir geht gerade mein ständig kritischer Geist auf die
Nerven. Er ist mir aufgefallen, als eine alte Frau – das heißt jetzt älter als
ich – vorbeigegangen ist und ich sie beobachtet habe, ob an ihr etwas
Kritikwürdiges zu finden ist. In ihrem Gesicht, in ihren Bewegungen … was
verrät dieses, was verrät jenes? Warum kann ich sie nicht einfach lassen?
Eine geile Studentin – das schreibe ich her, weil sie beim
Telefonieren ständig „geil“ sagt – lenkt mich ab; jedoch nur akustisch. Um sie
zu sehen müßte ich mich nach rechts drehen; das mach ich jetzt aber nicht. Kurz
denke ich auch an das „Geilomobil“. Ich vergesse es besser wieder. „Aus den
Schriften des Waldschulmeisters“ kommt mir plötzlich in den Sinn. Wieso weiß
ich nicht. Den Rosegger lese ich manchmal trotz aller Vorbehalte ganz gern.
Eine ungewöhnliche optische Täuschung läßt mich glauben,
eine menschliche Gestalt käme auf mich zu. Aus den Augenwinkeln wahrgenommen.
Als ich dann reflexartig hinschaue, ist es eine Taube.
Ich kann mich hier nicht entspannen! Es bleibt eine Unruhe.
Mein Kreuz meldet sich, nicht zu Wort, aber zu Schmerz. Eine Warnung? Jetzt
kommt eine Rettung mit Blaulicht angefahren. Ich gehe lieber. Außerdem werde
ich hungrig.
(16.5.2017)
©Peter Alois
Rumpf Mai 2017 peteraloisrumpf@gmail.com
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