Mittwoch, 26. Juli 2017

716 Keine Schutzschilder

Als in der Arbeit fünf Angerufene hintereinander sehr unfreundlich bis aggressiv reagiert haben, ist mir fast schlecht geworden. Ich habe gezittert und mich aufgeregt und war gegen die Angriffe wehrlos. Ich kann mir das Ganze noch so sehr im Kopf zurechtlegen und mir die Gründe klar machen – in der konkreten Situation bin ich wehrlos. Und ich meine damit nicht, daß ich  „zurückschlagen“ sollte oder den Disput gewinnen, sondern lediglich, daß ich seelisch heil und unbeschädigt aus der Situation herauskomme. Es geht nur darum, daß ich mich vor der Aggression schützen können will und eben nicht wie gelähmt bin, sondern gegen die Attacke ein Schutzschild aufzustellen in der Lage. Ich habe nämlich keine Schutzschilder. Ich lebe mein ganzes Leben schon wie in einem besetzten Land. Darum auch immer dieses ekelhafte Gefühl der eigenen Korruptheit, wenn ich bei einem Spaziergang  zum Beispiel unbehelligt bleibe oder irgendwo – vielleicht gar als Gast - mein Mittagessen verzehre. Und wenn ich einmal „gut drauf“ bin, denke und fühle ich selber: das ist manisch, größenwahnsinnig; ich beanspruche viel zu viel Raum und Zeit, und Aufmerksamkeit, Ressourcen, ich rede zu viel (schreibe zu viel)  … - die Götter werden eifersüchtig und aggressiv werden und mich vernichten. (Ja, ja, mit dem Intellekt durchschaue ich das schon und kann es analysieren; nur: meine Seele ist noch immer gefangen.) Ich habe selber nicht das Gefühl, daß ich berechtigt bin, für meinen Lebensunterhalt Leute anzurufen, meine Arbeit zu machen et cetera.

Jetzt, wo ich das aufschreibe, geht zuerst eine Welle von Verzweiflung über mich, dann eine Welle von Wut. (Zuerst der Selbstmord, dann das Massaker – wobei ich mich bei ersterer Phantasie als Angreifer, bei der zweiten jedoch nur als mich verteidigend empfinde. Auch interessant!)

Ich müßte mich nur schützen können, nur schützen. Daß etwas in mir ist, das es nicht zuläßt, daß mich die Aggressoren definieren. Aber so etwas habe ich nicht in mir! In mir gibt es kein Selbstwertgefühl. Ich kann und konnte auch meinen Kindern nicht – glaubwürdig – gegenübertreten als Vater, der ihnen die Welt erklärt, weil ich die Welt nie verstanden und mich in ihr nie zurecht gefunden habe. Wenn ich …


Wenn ich zu einem Buch greife, aus dem Bereich der Psychologie oder über Therapien, Kindererziehung, Partnerschaft oder was auch immer, dann schreiben die über Menschen, die in einer höheren Liga spielen als ich und die daher ihre Therapien zum Beispiel von einem viel höheren Niveau aus starten. Ich finde mich darin nur in Teilaspekten wieder, nicht in meiner existentiellen Grundverfaßtheit. Das gilt auch für die Literatur. Viel stärker erkenne ich mich in Biographien über Nazitäter wieder, wie etwa Franz Stangl was ihre „Psychologie“ betrifft, obwohl die natürlich auch „erfolgreicher“ waren als ich (Das ist der Punkt, wo ich froh bin, in meinem Leben nicht erfolgreich gewesen zu sein). Das Grundproblem ist aber das gleiche: den innersten Seelenkern nicht kennen, das eigene wahre Lebenspotential nicht entfalten, von sich selber nichts wissen, die eigenen Bedürfnisse nicht kennen, außenorientiert sein, abhängig, unselbständig ... weiß der Teufel, was noch.

Ich kenne jedoch keine positiven Beispiele von solchen deformierten Menschen, wie sie sich ihrer Wahrheit, ihren Beschädigungen, ihren Lebensanforderungen stellen und wachsen, reifen und ausheilen können. Die Heilungsprozesse, die ich aus der Literatur kenne, setzen auf einem höheren Level an, und die Lebensgeschichten von Leuten meiner Liga erzählen von und enden alle in Katastrophen.

Kennt jemand eine gelungene Heilungsgeschichte, die zu mir passen könnte?

Selektive Wahrnehmung?

Die Rekapitulation – ich habe sie nicht geschafft.










(8./9./10./12.6.2017)















©Peter Alois Rumpf    Juni 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

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