Mittwoch, 26. Juli 2017

713 Der Morgen hat ein besonderes Flair

Der Morgen hat ein besonderes Flair. Wenn ich – aus dem Traum herausgesprungen – noch steif in den Gliedern wankend und unter Schmerzen den Wäschekorb vorsichtig und langsam die Stiegen hinuntertrage, kaum fähig zu gehen oder gar zu sprechen und deshalb undeutlich murmelnd meiner zur Schule aufbrechenden Tochter einen schönen Tag wünsche und meine liebe Frau auf eine falsch abgelegte Papierrolle, die ich als Distanzhalter für die ineinander verkeilten Fensterflügel bei zu Lüftungszwecken spaltbreit geöffnetem Fenster verwende, aufmerksam mache, belehrend und aggressiver als ich es vorhatte – schließlich muß ich mich ja zwingen zu reden und meine Ansage durch eine galertige Schicht an Traumsubstanz hindurchstoßen – ja, dann ist ein schöner Morgen und ich sauge die frische Luft und den Optimismus der frühen Stunde mitsamt dem Tüchtigkeitsbonus des Frühaufstehers genußvoll ein.

Nachdem ich die Wäsche sortiert und die vierziggrädige in die Waschmaschine gestopft habe, das flüssige Waschmittel im Becher beigegeben, einen Schuß Essig zur permanenten Entkalkung von Maschine und Wäsche – alles dank meiner Umsichtigkeit und Umtriebigkeit reichlich vorhanden – hinzugetan, den Wasch- und Temperaturmodus eingestellt und vorm Starten noch den „Mehr-Wasser“-Knopf gedrückt habe – schließlich habe ich die Maschine etwas überfüllt – bin ich nochmals hinaufgegangen und habe mich zum Schreiben wieder ins Bett gelegt.

Zum Schreiben, Durchatmen, Dösen; meine noch nicht ganz aufgeladenen Wachzustandsakkus noch ein wenig nachzuladen.

Allmählich beginnen sich meine Gedanken auf den Abgrund zuzubewegen und ich nehme den Schrecken, der auf meine Gefühle schon einen leichten Schatten wirft, von der Ferne wahr, ohne noch die gute Morgenstimmung komplett zu zersetzen. Noch ist mein Körper in seinem ruhegestützten Wohlgefühl stärker als meine Erinnerungen und Gedanken. Ich blicke starr, aber ohne zu starren – der Blick bleibt weich - auf mein Bücherregal vor mir, das mir immer fremder wird. Nicht schrecklich, sondern interessant. Zum Beispiel: was ich an Buntheit bisher nicht gesehen habe. Aber noch tiefer: dort ist noch etwas, dort ist noch viel mehr.
Eine Reihe glänzender Buchrücken verführt mich zum Gedanken, daß ich schon nahe am Sehen bin. Dabei ist doch alles ganz „natürlich“. Der Wunsch ist Väterchen des Gedankens. Ich muß ob meiner Kindlichkeit lächeln. Wenn ich dies absichtlich erzeuge, müßte es Kindischheit heißen. Trotzdem ist es mir jetzt egal. Kindisch oder kindlich, oder fifty-fifty, was soll's! (Die große Abrechnung wird schon kommen; da kannst du mit all dem Herumpitzeln.)

Irgendein Teil von mir nimmt jedoch mein vorsichtiges Hinaustasten ernst und wertet es nicht ab. Ich weiß nur nicht, ob das ein echter oder ein gefälschter ist.








(7.6.2017)








©Peter Alois Rumpf    Juni 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

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