713 Der Morgen hat ein besonderes Flair
Der Morgen hat ein besonderes Flair. Wenn ich – aus dem
Traum herausgesprungen – noch steif in den Gliedern wankend und unter Schmerzen
den Wäschekorb vorsichtig und langsam die Stiegen hinuntertrage, kaum fähig zu
gehen oder gar zu sprechen und deshalb undeutlich murmelnd meiner zur Schule
aufbrechenden Tochter einen schönen Tag wünsche und meine liebe Frau auf eine
falsch abgelegte Papierrolle, die ich als Distanzhalter für die ineinander
verkeilten Fensterflügel bei zu Lüftungszwecken spaltbreit geöffnetem Fenster
verwende, aufmerksam mache, belehrend und aggressiver als ich es vorhatte –
schließlich muß ich mich ja zwingen zu reden und meine Ansage durch eine
galertige Schicht an Traumsubstanz hindurchstoßen – ja, dann ist ein schöner
Morgen und ich sauge die frische Luft und den Optimismus der frühen Stunde
mitsamt dem Tüchtigkeitsbonus des Frühaufstehers genußvoll ein.
Nachdem ich die Wäsche sortiert und die vierziggrädige in
die Waschmaschine gestopft habe, das flüssige Waschmittel im Becher beigegeben,
einen Schuß Essig zur permanenten Entkalkung von Maschine und Wäsche – alles
dank meiner Umsichtigkeit und Umtriebigkeit reichlich vorhanden – hinzugetan,
den Wasch- und Temperaturmodus eingestellt und vorm Starten noch den
„Mehr-Wasser“-Knopf gedrückt habe – schließlich habe ich die Maschine etwas
überfüllt – bin ich nochmals hinaufgegangen und habe mich zum Schreiben wieder
ins Bett gelegt.
Zum Schreiben, Durchatmen, Dösen; meine noch nicht ganz
aufgeladenen Wachzustandsakkus noch ein wenig nachzuladen.
Allmählich beginnen sich meine Gedanken auf den Abgrund
zuzubewegen und ich nehme den Schrecken, der auf meine Gefühle schon einen leichten
Schatten wirft, von der Ferne wahr, ohne noch die gute Morgenstimmung komplett
zu zersetzen. Noch ist mein Körper in seinem ruhegestützten Wohlgefühl stärker
als meine Erinnerungen und Gedanken. Ich blicke starr, aber ohne zu starren –
der Blick bleibt weich - auf mein Bücherregal vor mir, das mir immer fremder
wird. Nicht schrecklich, sondern interessant. Zum Beispiel: was ich an Buntheit
bisher nicht gesehen habe. Aber noch tiefer: dort ist noch etwas, dort ist noch
viel mehr.
Eine Reihe glänzender Buchrücken verführt mich zum Gedanken,
daß ich schon nahe am Sehen bin. Dabei ist doch alles ganz „natürlich“. Der
Wunsch ist Väterchen des Gedankens. Ich muß ob meiner Kindlichkeit lächeln.
Wenn ich dies absichtlich erzeuge, müßte es Kindischheit heißen. Trotzdem ist
es mir jetzt egal. Kindisch oder kindlich, oder fifty-fifty, was soll's! (Die
große Abrechnung wird schon kommen; da kannst du mit all dem Herumpitzeln.)
Irgendein Teil von mir nimmt jedoch mein vorsichtiges
Hinaustasten ernst und wertet es nicht ab. Ich weiß nur nicht, ob das ein
echter oder ein gefälschter ist.
(7.6.2017)
©Peter Alois Rumpf
Juni 2017
peteraloisrumpf@gmail.com
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