Mittwoch, 26. Juli 2017

727 Ich bin ein willensschwaches Arschloch

Ich bin ein willensschwaches Arschloch und steige als Hänschen klein ging allein in die weite Welt hinein zum Wunderbaum hinauf. Alles noch in Sichtweite der Hütten. Wie damals als Sechszehnjähriger, der alleine auf eine Berghütte gehen wollte, aber dann trotz Markierung den Weg nicht fand, vermutlich aus Panik, und sich dann auf der Leistenalm in die Wiese setzte, alles in Sichtweite des Elternhauses, des Heimatortes und am Abend wieder zurückkehrte, voller Scham, sich mit viel Gerede herausredend, was jedoch für alle durchschaubar war, die verzweifelt aufrecht zu erhalten versuchte Fassade - vielleicht gar nicht wegen mir, sondern wegen der Eltern – ich selber wußte ja schon, daß ich nichts wert bin – möglicherweise war das doch ein Versuch, irgendetwas zustande zu bringen – jedenfalls die Fassade aufrecht zu erhalten mißlang.

Nur daß ich jetzt gar nichts mehr suche, nur ein kleines, kindisches Abseits, um ein wenig Ruhe zu haben, zum Lesen, Schreiben, meine eigenen Gedanken – oder wo immer die herkommen – wieder zu finden, in meine Träumen und Phantasien zu schwelgen, reichlich spät, jetzt, am Lebensabend, viel zu spät, aber egal, es ist ein herrlicher Sommernachmittag, heiß, wenn die Sonne runterbrennt, angenehm, wenn sich eine der schönen, weißen Wolken vorschiebt, still, bis auf das Rauschen des nahen Baches, das Gesumme der Insekten, das Säuseln des leichten Windes, alles Geräusche, die noch dem Bereich der Stille angehören – sozusagen – oder zumindest dem der Ruhe, sogar das ferne Flugzeugdröhnen wirkt beinahe naturgegeben.
Direkt vor mir nur der steile Wiesenabhang, links von mir der dichte, steile Wald. Das Vogelgezwitscher habe ich noch nicht erwähnt.
Ich schaue von oben zu den Almhütten hinab, herausgehoben, wie ich mich wohler fühle, aber es ist jederzeit möglich, daß ich in die sichere – mehr oder weniger, echt oder bloß vorgetäuscht – Gemeinschaft und unter das Hüttendach zurückkehre; nicht mehr als zehn Minuten würde ich dafür brauchen.

Die Brise geht in Wellen über die Gräser, auch ein paar Blumem schaukeln mit, auch einzelne Baumwipfel wiegen sich, nur einzelne. Die weißen Wolken ziehen und ziehen flott dahin, als hätten sie ein Ziel, dem sie unausweichlich zustreben. Angeblich arbeiten die Lebewesen ihr ganzes Leben daran, zu sterben; ihre in ihren Körpern, ihre Gestalt eingeschlossene Energie will wieder dorthin zurück, wo sie hergekommen ist. Besser ist es, mit Erfahrung angereichert zurückzukommen.

Ich bin nicht direkt beim Wunderbaum, zehn, zwölf Meter höher oben am Hang, am Waldrand, im Schatten, den die Sonne sticht hier heroben auf 1400 Meter sehr kräftig. Fernes Lachen und Rufen der Kinder dringt undeutlich bis herauf. Ich verstehe nichts und mir fällt ein, daß die meisten der Kinder schon Teenager sind.

Wo sind die Bergfräulein, oder die Saligen, um mich für eines oder hundert Jahre zu entführen? Ach, ich bin dafür schon viel zu alt; solche Geschichten passieren nur jungen Menschen. Mich kommt höchstens noch der Teufel holen. Außerdem: ein Teil von mir, möglicherweise der größere, ist sowieso nie hier auf Erden angekommen oder ganz schnell wieder in andere Dimensionen geflohen, und das, was man „ich“ nennt, blieb hier nur scheinanwesend.

Jetzt wird es etwas unbequem hier zu sitzen (soviel Weltkontakt ist da), der Hang ist steil, ich muß mich gut abstützen, um nicht in den nächsten Kuhfladen abzurutschen und bald wird die Sonne meinen Schattenplatz erreichen. Ich schaue mich nach einem besseren Sitzplatz um.

Jetzt bin ich im Heidelbeerbereich, von einer dichten Fichte gut gegen das stechende Sonnenlicht abgeschirmt, wieder sehr steil. Gut versteckt luge ich durch die Äste hindurch auf die Alm hinab. Kurz bin ich zum Wunderbaum hin, auch dort kein gemütlicher Sitzplatz zu finden, alles zu steil. Der Wunderbaum ist nicht der Wunderbaum meiner Kindheit, sondern der meiner Kinder. Anscheinend nasche ich da noch mit.

Wegen dem Kacken wieder in die Zi-Vi-Li-Sa-Ti-On zurückgekehrt sitze ich nun vor der Hüttentür, während sich der Himmel immer mehr mit Wolken überziehen läßt.







(6./12.7.2017)













©Peter Alois Rumpf    Juli 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

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