727 Ich bin ein willensschwaches Arschloch
Ich bin ein willensschwaches Arschloch und steige als
Hänschen klein ging allein in die weite Welt hinein zum Wunderbaum hinauf.
Alles noch in Sichtweite der Hütten. Wie damals als Sechszehnjähriger, der
alleine auf eine Berghütte gehen wollte, aber dann trotz Markierung den Weg
nicht fand, vermutlich aus Panik, und sich dann auf der Leistenalm in die Wiese
setzte, alles in Sichtweite des Elternhauses, des Heimatortes und am Abend
wieder zurückkehrte, voller Scham, sich mit viel Gerede herausredend, was
jedoch für alle durchschaubar war, die verzweifelt aufrecht zu erhalten
versuchte Fassade - vielleicht gar nicht wegen mir, sondern wegen der Eltern –
ich selber wußte ja schon, daß ich nichts wert bin – möglicherweise war das
doch ein Versuch, irgendetwas zustande zu bringen – jedenfalls die Fassade
aufrecht zu erhalten mißlang.
Nur daß ich jetzt gar nichts mehr suche, nur ein kleines,
kindisches Abseits, um ein wenig Ruhe zu haben, zum Lesen, Schreiben, meine
eigenen Gedanken – oder wo immer die herkommen – wieder zu finden, in meine
Träumen und Phantasien zu schwelgen, reichlich spät, jetzt, am Lebensabend,
viel zu spät, aber egal, es ist ein herrlicher Sommernachmittag, heiß, wenn die
Sonne runterbrennt, angenehm, wenn sich eine der schönen, weißen Wolken
vorschiebt, still, bis auf das Rauschen des nahen Baches, das Gesumme der
Insekten, das Säuseln des leichten Windes, alles Geräusche, die noch dem
Bereich der Stille angehören – sozusagen – oder zumindest dem der Ruhe, sogar
das ferne Flugzeugdröhnen wirkt beinahe naturgegeben.
Direkt vor mir nur der steile Wiesenabhang, links von mir
der dichte, steile Wald. Das Vogelgezwitscher habe ich noch nicht erwähnt.
Ich schaue von oben zu den Almhütten hinab, herausgehoben,
wie ich mich wohler fühle, aber es ist jederzeit möglich, daß ich in die
sichere – mehr oder weniger, echt oder bloß vorgetäuscht – Gemeinschaft und
unter das Hüttendach zurückkehre; nicht mehr als zehn Minuten würde ich dafür
brauchen.
Die Brise geht in Wellen über die Gräser, auch ein paar
Blumem schaukeln mit, auch einzelne Baumwipfel wiegen sich, nur einzelne. Die
weißen Wolken ziehen und ziehen flott dahin, als hätten sie ein Ziel, dem sie
unausweichlich zustreben. Angeblich arbeiten die Lebewesen ihr ganzes Leben
daran, zu sterben; ihre in ihren Körpern, ihre Gestalt eingeschlossene Energie
will wieder dorthin zurück, wo sie hergekommen ist. Besser ist es, mit
Erfahrung angereichert zurückzukommen.
Ich bin nicht direkt beim Wunderbaum, zehn, zwölf Meter
höher oben am Hang, am Waldrand, im Schatten, den die Sonne sticht hier heroben
auf 1400 Meter sehr kräftig. Fernes Lachen und Rufen der Kinder dringt
undeutlich bis herauf. Ich verstehe nichts und mir fällt ein, daß die meisten
der Kinder schon Teenager sind.
Wo sind die Bergfräulein, oder die Saligen, um mich für
eines oder hundert Jahre zu entführen? Ach, ich bin dafür schon viel zu alt;
solche Geschichten passieren nur jungen Menschen. Mich kommt höchstens noch der
Teufel holen. Außerdem: ein Teil von mir, möglicherweise der größere, ist
sowieso nie hier auf Erden angekommen oder ganz schnell wieder in andere
Dimensionen geflohen, und das, was man „ich“ nennt, blieb hier nur
scheinanwesend.
Jetzt wird es etwas unbequem hier zu sitzen (soviel
Weltkontakt ist da), der Hang ist steil, ich muß mich gut abstützen, um nicht
in den nächsten Kuhfladen abzurutschen und bald wird die Sonne meinen
Schattenplatz erreichen. Ich schaue mich nach einem besseren Sitzplatz um.
Jetzt bin ich im Heidelbeerbereich, von einer dichten Fichte
gut gegen das stechende Sonnenlicht abgeschirmt, wieder sehr steil. Gut
versteckt luge ich durch die Äste hindurch auf die Alm hinab. Kurz bin ich zum
Wunderbaum hin, auch dort kein gemütlicher Sitzplatz zu finden, alles zu steil.
Der Wunderbaum ist nicht der Wunderbaum meiner Kindheit, sondern der meiner
Kinder. Anscheinend nasche ich da noch mit.
Wegen dem Kacken wieder in die Zi-Vi-Li-Sa-Ti-On zurückgekehrt
sitze ich nun vor der Hüttentür, während sich der Himmel immer mehr mit Wolken
überziehen läßt.
(6./12.7.2017)
©Peter Alois Rumpf
Juli 2017
peteraloisrumpf@gmail.com
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]
<< Startseite