571 Die Kochlöffel aus Holz
Wir haben ein paar Kochlöffel aus Holz. Da meine Frau als
Tagesmutter arbeitet, gibt es auch welche aus Plastik. Denn es ist auch
Tagesmüttern wie Kindergärten und Betrieben, die an solche Essen liefern,
verboten, Holzkochlöffel zur Zubereitung von Speisen für die Kinder zu
verwenden, weil sich in den Poren und Ritzen irgendwelche Bakterien, Keime
oder-was-weiß-ich-was verstecken könnten.
Ich halte das für einen abgrundtiefen Blödsinn und vermute,
daß das mehr mit Industrielobbying zu tun hat, als mit vernünftigen
Überlegungen, noch dazu, wo kein Mensch weiß, wie sich der Plastikabrieb mit
seinen zweifelhaften Stoffen und Materialien, den wir dann mit der Nahrung
aufnehmen, langfristig auf unsere Gesundheit auswirkt. (Sagen wir halt einmal,
wir wissen es nicht, obwohl es ja schon warnende Studien geben soll.)
Ich beherrsche mich gerade sehr tapfer, jetzt keine
Schimpftirade loszulassen.
Aber meine Frau hält sich an das Gesetz, um ihre geliebte
Arbeit als Tagesmutter und Piklerpädagogin nicht zu gefährden und ich würde es
an ihrer Stelle auch tun. Das bei aller Achtung für die Bio-Händlerin aus Graz,
die sich weigert, sich an dieses bescheuerte Gesetz zu halten, und
Holzkochlöffel und Holzschneidebretter trotz Verbot weiterverwendet und dafür
ins Gefängnis geht.
Also: wenn meine Frau für die Tageskinder kocht, verwendet
sie Plastikkochlöffel; wenn ich gegen Mittag auftauche, um mir aus den Restln
der letzten Tage ein Mischmasch für mein wärmehaltendes Menagereindl - ein
Geschenk der Firma, das ich dann gefüllt mit Nahrung als Verpflegung in die
Arbeit mitnehme – zusammen zu braten, zu schmorren oder zu kochen, dann
verwende ich einen Holzkochlöffel. Es liegen also auf der Anrichte ein
Plastikkochlöffel und mindestens ein Holzkochlöffel. Und fast jedesmal in
dieser alltäglichen Situation beginnt dann dieser mein innerer Film:
Mein innerer Film schaut so aus: ich phantasiere, es taucht
ein Kontrollor der zuständigen Stelle auf und kontrolliert unsere Küche. Er
sieht die Holzkochlöffel und beanstandet sie. Ich erkläre ihm – wie es der
Wahrheit entspricht – daß die Holzkochlöffel nur privat verwendet werden und
für die Tageskinder ausschließlich ein Plastikkochlöffel. Er glaubt es nicht.
Ich weise darauf hin, daß das eine Tageskinderstätte UND ein Privathaushalt ist
und das wir das zu trennen wissen. Er beharrt darauf, die Holzkochlöffel zu
entfernen. Ich erkläre ihm nocheinmal, daß das Gesetz hier nicht gebrochen
wird, weil meine Frau für die Tageskinder mit dem Plastikkochlöffel kocht und
es mir nur um mein Recht geht, als Privatperson die Kochlöffel zu
verwenden, die ich will. Er glaubt es nicht und unterstellt, daß wir ihn
anlügen. Sein Auftreten ist von oben herab und autoritär, mit dem blöden Gesetz
im Rücken fühlt er sich berechtigt, auf inquisitorische Weise in unsere
Privatsphäre einzugreifen, uns bevormundend zu belehren und mit dem Entzug der
Tagesmutterlizenz zu drohen für den Fall, daß die Holzkochlöffel nicht
verschwinden. Wir fangen zu streiten an.
Jetzt gibt es in meinem Film eine Abzweigung. Er spaltet
sich in eine selbstaggressive und eine „normale“, fremdaggressive Variante.
Die selbstaggressive. Ich weigere mich, die Holzkochlöffel
wegzugeben. In meiner Phantasie darf ich unlogisch sein und kann ausblenden,
wie das für meine Frau wäre, wenn sie wegen mir ihre geliebte Arbeit verlöre.
Ich lasse das einfach aus und reduziere diesen Konflikt auf einen zwischen mir
und dem Büttel. In dieser meiner Phantasie bin ich unbeugsam und gehe für meine
Überzeugung ins Gefängnis. Auch da ist mein Film nicht sehr detailliert sondern
ungenau; erst in der Gemeinschaftszelle wird die Phantasie wieder üppiger. Ich
werde dort – schon unter Anleitung der Obrigkeit – von den Mitgefangenen
gequält. Zunächst werde ich nur verbal geschmäht, verspottet, dann tätlich
angegriffen; es gibt Watschen, Schläge, Tritte und schließlich das, wovor ich
die größte Angst habe, die Vergewaltigung (mich alten Knacker? Naja, nachdem es
dabei nicht um Erotik geht, sondern um Machtdemonstration und Unterwerfung und
Lust am Quälen, ist es vielleicht nicht ausgeschlossen. Aber so gut kenne ich
mich mit der Gefängniswelt auch nicht aus.)
Also ich leide, bin das Opfer und koste das Opfer-Sein bis
zur Neige aus. Auch die Justizwachebeamten holen mich dann heraus und foltern
mich und ich ende mit Handschellen an einen Heizkörper gefesselt, die Arme
ausgebreitet wie – na, ihr wißt schon! - und den blutenden Kopf nach vorne
geneigt. Ich glaube, das nennt man „Leidensmanie“ (W. Döbereiner).
Die andere Schlußvariante meines inneren Filmes. Ich gerate
in einen furchtbaren Zorn, schreie den Kontrollbüttel an, werfe ihn
handgreiflich aus der Wohnung; und als er wieder hereinkommt und mit allem
möglichen droht, nehme ich den Baseballschläger und dresche auf ihn ein. Dabei
schreie und schimpfe ich laut und mir, mir fallen spontan und ohne
Unterbrechung passende „Bezeichnungen“ und Schimpfwörter ein; ich bin nicht auf
den Mund gefallen und schließlich brülle ich ihn an, daß er ein Strichjunge der
korrupt und verrückt gewordenen Obrigkeit ist, während ich ihn im Stiegenhaus
draußen die Wirbelsäule zerschlagend die Stiege hinunter dresche. Ja! Jaaa!
Das ist mein innerer Film.
Gell, ganz schön viel Aggression und Hass in mir, nicht
wahr? Wobei die Unterscheidung in selbstaggressiv und "fremd"aggressiv im Kern belanglos ist, denn es bedeutet beides, daß - wie ich vermute - große Mengen meiner Energie in Windmühlenkämpfe mit den Dämonen meiner Kindheit - auch wenn sie in aktualisierten Verkleidungen auftreten - gefangen sind und mir nicht für die Gegenwart zur Verfügung stehen.
(13./14.1.2017)
©Peter Alois Rumpf Jänner
2017 peteraloisrumpf@gmail.com
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