Samstag, 14. Januar 2017

571 Die Kochlöffel aus Holz

Wir haben ein paar Kochlöffel aus Holz. Da meine Frau als Tagesmutter arbeitet, gibt es auch welche aus Plastik. Denn es ist auch Tagesmüttern wie Kindergärten und Betrieben, die an solche Essen liefern, verboten, Holzkochlöffel zur Zubereitung von Speisen für die Kinder zu verwenden, weil sich in den Poren und Ritzen irgendwelche Bakterien, Keime oder-was-weiß-ich-was verstecken könnten.
Ich halte das für einen abgrundtiefen Blödsinn und vermute, daß das mehr mit Industrielobbying zu tun hat, als mit vernünftigen Überlegungen, noch dazu, wo kein Mensch weiß, wie sich der Plastikabrieb mit seinen zweifelhaften Stoffen und Materialien, den wir dann mit der Nahrung aufnehmen, langfristig auf unsere Gesundheit auswirkt. (Sagen wir halt einmal, wir wissen es nicht, obwohl es ja schon warnende Studien geben soll.)
Ich beherrsche mich gerade sehr tapfer, jetzt keine Schimpftirade loszulassen.

Aber meine Frau hält sich an das Gesetz, um ihre geliebte Arbeit als Tagesmutter und Piklerpädagogin nicht zu gefährden und ich würde es an ihrer Stelle auch tun. Das bei aller Achtung für die Bio-Händlerin aus Graz, die sich weigert, sich an dieses bescheuerte Gesetz zu halten, und Holzkochlöffel und Holzschneidebretter trotz Verbot weiterverwendet und dafür ins Gefängnis geht.

Also: wenn meine Frau für die Tageskinder kocht, verwendet sie Plastikkochlöffel; wenn ich gegen Mittag auftauche, um mir aus den Restln der letzten Tage ein Mischmasch für mein wärmehaltendes Menagereindl - ein Geschenk der Firma, das ich dann gefüllt mit Nahrung als Verpflegung in die Arbeit mitnehme – zusammen zu braten, zu schmorren oder zu kochen, dann verwende ich einen Holzkochlöffel. Es liegen also auf der Anrichte ein Plastikkochlöffel und mindestens ein Holzkochlöffel. Und fast jedesmal in dieser alltäglichen Situation beginnt dann dieser mein innerer Film:

Mein innerer Film schaut so aus: ich phantasiere, es taucht ein Kontrollor der zuständigen Stelle auf und kontrolliert unsere Küche. Er sieht die Holzkochlöffel und beanstandet sie. Ich erkläre ihm – wie es der Wahrheit entspricht – daß die Holzkochlöffel nur privat verwendet werden und für die Tageskinder ausschließlich ein Plastikkochlöffel. Er glaubt es nicht. Ich weise darauf hin, daß das eine Tageskinderstätte UND ein Privathaushalt ist und das wir das zu trennen wissen. Er beharrt darauf, die Holzkochlöffel zu entfernen. Ich erkläre ihm nocheinmal, daß das Gesetz hier nicht gebrochen wird, weil meine Frau für die Tageskinder mit dem Plastikkochlöffel kocht und es mir nur um mein Recht geht, als Privatperson die Kochlöffel zu verwenden, die ich will. Er glaubt es nicht und unterstellt, daß wir ihn anlügen. Sein Auftreten ist von oben herab und autoritär, mit dem blöden Gesetz im Rücken fühlt er sich berechtigt, auf inquisitorische Weise in unsere Privatsphäre einzugreifen, uns bevormundend zu belehren und mit dem Entzug der Tagesmutterlizenz zu drohen für den Fall, daß die Holzkochlöffel nicht verschwinden. Wir fangen zu streiten an.

Jetzt gibt es in meinem Film eine Abzweigung. Er spaltet sich in eine selbstaggressive und eine „normale“, fremdaggressive Variante.

Die selbstaggressive. Ich weigere mich, die Holzkochlöffel wegzugeben. In meiner Phantasie darf ich unlogisch sein und kann ausblenden, wie das für meine Frau wäre, wenn sie wegen mir ihre geliebte Arbeit verlöre. Ich lasse das einfach aus und reduziere diesen Konflikt auf einen zwischen mir und dem Büttel. In dieser meiner Phantasie bin ich unbeugsam und gehe für meine Überzeugung ins Gefängnis. Auch da ist mein Film nicht sehr detailliert sondern ungenau; erst in der Gemeinschaftszelle wird die Phantasie wieder üppiger. Ich werde dort – schon unter Anleitung der Obrigkeit – von den Mitgefangenen gequält. Zunächst werde ich nur verbal geschmäht, verspottet, dann tätlich angegriffen; es gibt Watschen, Schläge, Tritte und schließlich das, wovor ich die größte Angst habe, die Vergewaltigung (mich alten Knacker? Naja, nachdem es dabei nicht um Erotik geht, sondern um Machtdemonstration und Unterwerfung und Lust am Quälen, ist es vielleicht nicht ausgeschlossen. Aber so gut kenne ich mich mit der Gefängniswelt auch nicht aus.)
Also ich leide, bin das Opfer und koste das Opfer-Sein bis zur Neige aus. Auch die Justizwachebeamten holen mich dann heraus und foltern mich und ich ende mit Handschellen an einen Heizkörper gefesselt, die Arme ausgebreitet wie – na, ihr wißt schon! - und den blutenden Kopf nach vorne geneigt. Ich glaube, das nennt man „Leidensmanie“ (W. Döbereiner).

Die andere Schlußvariante meines inneren Filmes. Ich gerate in einen furchtbaren Zorn, schreie den Kontrollbüttel an, werfe ihn handgreiflich aus der Wohnung; und als er wieder hereinkommt und mit allem möglichen droht, nehme ich den Baseballschläger und dresche auf ihn ein. Dabei schreie und schimpfe ich laut und mir, mir fallen spontan und ohne Unterbrechung passende „Bezeichnungen“ und Schimpfwörter ein; ich bin nicht auf den Mund gefallen und schließlich brülle ich ihn an, daß er ein Strichjunge der korrupt und verrückt gewordenen Obrigkeit ist, während ich ihn im Stiegenhaus draußen die Wirbelsäule zerschlagend die Stiege hinunter dresche. Ja! Jaaa!

Das ist mein innerer Film.

Gell, ganz schön viel Aggression und Hass in mir, nicht wahr? Wobei die Unterscheidung in selbstaggressiv und "fremd"aggressiv im Kern belanglos ist, denn es bedeutet beides, daß - wie ich vermute - große Mengen meiner Energie in Windmühlenkämpfe mit den Dämonen meiner Kindheit - auch wenn sie in aktualisierten Verkleidungen auftreten - gefangen sind und mir nicht für die Gegenwart zur Verfügung stehen.







(13./14.1.2017)

















©Peter Alois Rumpf    Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com


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