572 Idealistische Taxifahrt
Mein Name ist Josef Heckenhauer. Ich bin Taxifahrer. Ich
habe einmal Philosophie und Soziologie studiert, aber das Studium abgebrochen,
aus Enttäuschung und – was ich ungern zugebe – aus Angst davor, damit etwas
anfangen zu müssen. Mehr noch, ich würde behaupten, dahinter steckt eine
diffuse Angst vor Erfolg. Außerdem hat damals mein Glaube an die Revolution
ordentliche Sprünge abbekommen. Nun gut, ich bin beim Taxifahren hängen
geblieben. So richtig glücklich bin ich damit nicht, aber ich habe mich damit
abgefunden, fremde Leute hin und her zu fahren und – auch das gebe ich ungern
zu – das passt sogar ganz gut zu meinem etwas devoten Charakter; das Aufbegehren
und Revoltieren war wohl zu aufgesetzt. Aber ein bißchen widerspenstige
Attitüde habe ich mir erhalten, ich mache gerne mit, wenn gegen die da oben
geschimpft wird und ihre Verdorbenheit und Korruptheit angeprangert wird. Das
erlebe ich auch immer wieder mit Fahrgästen, und ich bin froh, wenn ich ein
Übereinstimmungsthema habe, wenn schon geplaudert werden soll. Auch mit
Arbeitskollegen. Natürlich merke ich auch, daß das oft sehr Rechte sind, die so
reden, aber mir ist es recht, ihnen nicht widersprechen zu müssen, oder sollen
– weil ich das ungern mache und ich vermeide, das Thema so zu vertiefen, daß
die Gegensätze offenkundig werden. Ehrlich gesagt, ich habe ein wenig Angst vor
denen.
Daß ich die Leute herumkutschiere, gibt mir aber schon ein bißchen Selbstwertgefühl. Das ich das kann, beruhigt mich. Ich bin ja ein guter
und aufmerksamer Fahrer und achte sehr darauf, beschleunigen und abbremsen
geschmeidig zu gestalten, nicht ruckartig, daß den Fahrgästen, vor allem
Kindern und Betrunkenen schlecht wird. Nein, das mache ich nicht; auch nicht
bei Kunden, die mir unsympathisch sind. Nein, das ist mir wichtig, daß ich gut
fahre und auch niemand mit dem Geld oder der Fahrroute betrüge. Das kommt
wahrscheinlich noch aus meiner katholischen Ministrantenzeit, die ich damals
ganz ernst genommen habe. Vergeblich habe ich in meiner „revolutionären“ Phase
versucht, dies abzuschütteln, aber jetzt bin ich froh darüber und akzeptiere
diesen Charakterzug und will nicht mehr wie die „anderen“ sein. Es gibt mir ein
Gefühl von Erhabenheit, auch einen unguten Kunden korrekt zu bedienstleisten,
auch wenn er oder sie mir kein Trinkgeld gibt.
Neulich habe ich um drei Uhr früh zwei Studenten und eine
Studentin gefahren. Offensichtlich waren sie „revolutionär“, denn sie haben von
der Arbeiterklasse und vom Klassenkampf geredet. Daß es das heute noch gibt!
Natürlich war es ein ziemlicher Blödsinn, was sie da geredet haben, abgehoben,
weltfremd und gefährlich, wenn sie damit ernst machten und ihre Ideen eins zu
eins auf die Wirklichkeit übertrügen. Aber ich habe gelächelt. Ich habe lächeln
müssen, denn ich erinnere mich genau an so eine Situation in meiner
Studentenzeit. Zu dritt im Taxi, leicht betrunken, und vor allem ich habe
dauernd etwas von, von Revolution gefaselt und darüber, was die Arbeiterklasse
machen müßte. Obwohl ich gespürt habe, daß das dem Taxifahrer gegenüber sehr …
blöd, ja, arrogant ist. Bis mir die Feministin neben mir – sie stammte wirklich
aus der Arbeiterklasse – zugezischelt hat „Sei still! Das macht man nicht!“ Das
war damals. Damals haben auch Feministinnen noch „man“ gesagt.
Wie auch immer, ich mußte lächeln und niemand hat den einen
eifrigen Revolutionär, der jetzt fast nur mehr alleine redete, gebremst. Der
eifrige Revolutionär hat mein Lächeln als Zustimmung aufgefaßt und immer mehr
in meine Richtung gesprochen. Nicht so ganz direkt, das hat er sich – glaube
ich – nicht getraut, aber er hat immer wieder verstohlen zu mir hergeschaut,
über den Spiegel oder von der Seite, wie ich reagiere.
Mein Gott! Was der für einen Blödsinn geredet hat, daß wir
knapp vor einer Revolution stünden, daß man die Arbeiterklasse über die Rechten
nur aufklären müsse und so weiter, aber ich mußte – in Erinnerung an meine eigene
Dummheit – einfach lächeln. Richtig geantwortet habe ich nicht, nur so
undefinierbare Laute abgegeben. Mir kommt vor, daß wurde allmählich auch dem
Revolutionsredner etwas unheimlich, denn er ließ seinen Monolog langsam
auslaufen. Vielleicht ist er aber auch bloß müde geworden; schließlich waren
sie ja einigermaßen angeheitert.
Wir waren am Ziel und die Guten sind ausgestiegen. Ja, ich
denke schon, daß man in seiner Jugend seinen Idealismus ganz groß ausdehnen
muß, damit es zu einer guten Lebensentscheidung kommt und man oder frau nicht
zu früh klein beigibt. Aber dann muß sich der Idealismus von der Wirklichkeit
korrigieren lassen; nicht einfach nur anpassen, nein, das nicht, aber in Frage
stellen lassen; er muß sich an der Wirklichkeit und im Leben bewähren.
Richtig gefährlich wird es, wenn versucht wird, das Leben
und die Wirklichkeit an die Idealvorstellung anzupassen – egal unter welcher
Flagge – wenn solche Leute Macht haben, dann gibt es Tote und Straflager,
viele.
Aber das habe ich denen beim Aussteigen nicht gesagt; ich
habe ihnen im Stillen alles Gute gewünscht. Ich selber habe mir meinen
Idealismus viel zu früh abstechen lassen, bevor er sich richtig entfalten
konnte, lange vor meiner „revolutionären“ Zeit; ich würde sagen, diese Phase
war selber schon ein Produkt meines zusammengeschlagenen Idealismus, der sich
noch an irgendeine „schöne“ Idee anklammern wollte. Darum ist es auch zu keiner
richtigen Lebensentscheidung gekommen. Nun gut, jetzt fahre ich halt Taxi, aber
das will ich gut und integer machen, obwohl es immer schwerer wird, sich damit
über Wasser zu halten.
Ich will aber daran glauben, daß auch heutzutage für junge
Menschen eine gute Lebens- und Berufsentscheidung möglich ist, auch wenn die
gesellschaftliche Lage recht hoffnungslos ausschaut.
(16.1.2017)
©Peter Alois Rumpf Jänner
2017 peteraloisrumpf@gmail.com
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