Montag, 16. Januar 2017

572 Idealistische Taxifahrt

Mein Name ist Josef Heckenhauer. Ich bin Taxifahrer. Ich habe einmal Philosophie und Soziologie studiert, aber das Studium abgebrochen, aus Enttäuschung und – was ich ungern zugebe – aus Angst davor, damit etwas anfangen zu müssen. Mehr noch, ich würde behaupten, dahinter steckt eine diffuse Angst vor Erfolg. Außerdem hat damals mein Glaube an die Revolution ordentliche Sprünge abbekommen. Nun gut, ich bin beim Taxifahren hängen geblieben. So richtig glücklich bin ich damit nicht, aber ich habe mich damit abgefunden, fremde Leute hin und her zu fahren und – auch das gebe ich ungern zu – das passt sogar ganz gut zu meinem etwas devoten Charakter; das Aufbegehren und Revoltieren war wohl zu aufgesetzt. Aber ein bißchen widerspenstige Attitüde habe ich mir erhalten, ich mache gerne mit, wenn gegen die da oben geschimpft wird und ihre Verdorbenheit und Korruptheit angeprangert wird. Das erlebe ich auch immer wieder mit Fahrgästen, und ich bin froh, wenn ich ein Übereinstimmungsthema habe, wenn schon geplaudert werden soll. Auch mit Arbeitskollegen. Natürlich merke ich auch, daß das oft sehr Rechte sind, die so reden, aber mir ist es recht, ihnen nicht widersprechen zu müssen, oder sollen – weil ich das ungern mache und ich vermeide, das Thema so zu vertiefen, daß die Gegensätze offenkundig werden. Ehrlich gesagt, ich habe ein wenig Angst vor denen.

Daß ich die Leute herumkutschiere, gibt mir aber schon ein bißchen Selbstwertgefühl. Das ich das kann, beruhigt mich. Ich bin ja ein guter und aufmerksamer Fahrer und achte sehr darauf, beschleunigen und abbremsen geschmeidig zu gestalten, nicht ruckartig, daß den Fahrgästen, vor allem Kindern und Betrunkenen schlecht wird. Nein, das mache ich nicht; auch nicht bei Kunden, die mir unsympathisch sind. Nein, das ist mir wichtig, daß ich gut fahre und auch niemand mit dem Geld oder der Fahrroute betrüge. Das kommt wahrscheinlich noch aus meiner katholischen Ministrantenzeit, die ich damals ganz ernst genommen habe. Vergeblich habe ich in meiner „revolutionären“ Phase versucht, dies abzuschütteln, aber jetzt bin ich froh darüber und akzeptiere diesen Charakterzug und will nicht mehr wie die „anderen“ sein. Es gibt mir ein Gefühl von Erhabenheit, auch einen unguten Kunden korrekt zu bedienstleisten, auch wenn er oder sie mir kein Trinkgeld gibt.

Neulich habe ich um drei Uhr früh zwei Studenten und eine Studentin gefahren. Offensichtlich waren sie „revolutionär“, denn sie haben von der Arbeiterklasse und vom Klassenkampf geredet. Daß es das heute noch gibt! Natürlich war es ein ziemlicher Blödsinn, was sie da geredet haben, abgehoben, weltfremd und gefährlich, wenn sie damit ernst machten und ihre Ideen eins zu eins auf die Wirklichkeit übertrügen. Aber ich habe gelächelt. Ich habe lächeln müssen, denn ich erinnere mich genau an so eine Situation in meiner Studentenzeit. Zu dritt im Taxi, leicht betrunken, und vor allem ich habe dauernd etwas von, von Revolution gefaselt und darüber, was die Arbeiterklasse machen müßte. Obwohl ich gespürt habe, daß das dem Taxifahrer gegenüber sehr … blöd, ja, arrogant ist. Bis mir die Feministin neben mir – sie stammte wirklich aus der Arbeiterklasse – zugezischelt hat „Sei still! Das macht man nicht!“ Das war damals. Damals haben auch Feministinnen noch „man“ gesagt.

Wie auch immer, ich mußte lächeln und niemand hat den einen eifrigen Revolutionär, der jetzt fast nur mehr alleine redete, gebremst. Der eifrige Revolutionär hat mein Lächeln als Zustimmung aufgefaßt und immer mehr in meine Richtung gesprochen. Nicht so ganz direkt, das hat er sich – glaube ich – nicht getraut, aber er hat immer wieder verstohlen zu mir hergeschaut, über den Spiegel oder von der Seite, wie ich reagiere.
Mein Gott! Was der für einen Blödsinn geredet hat, daß wir knapp vor einer Revolution stünden, daß man die Arbeiterklasse über die Rechten nur aufklären müsse und so weiter, aber ich mußte – in Erinnerung an meine eigene Dummheit – einfach lächeln. Richtig geantwortet habe ich nicht, nur so undefinierbare Laute abgegeben. Mir kommt vor, daß wurde allmählich auch dem Revolutionsredner etwas unheimlich, denn er ließ seinen Monolog langsam auslaufen. Vielleicht ist er aber auch bloß müde geworden; schließlich waren sie ja einigermaßen angeheitert.

Wir waren am Ziel und die Guten sind ausgestiegen. Ja, ich denke schon, daß man in seiner Jugend seinen Idealismus ganz groß ausdehnen muß, damit es zu einer guten Lebensentscheidung kommt und man oder frau nicht zu früh klein beigibt. Aber dann muß sich der Idealismus von der Wirklichkeit korrigieren lassen; nicht einfach nur anpassen, nein, das nicht, aber in Frage stellen lassen; er muß sich an der Wirklichkeit und im Leben bewähren.
Richtig gefährlich wird es, wenn versucht wird, das Leben und die Wirklichkeit an die Idealvorstellung anzupassen – egal unter welcher Flagge – wenn solche Leute Macht haben, dann gibt es Tote und Straflager, viele.

Aber das habe ich denen beim Aussteigen nicht gesagt; ich habe ihnen im Stillen alles Gute gewünscht. Ich selber habe mir meinen Idealismus viel zu früh abstechen lassen, bevor er sich richtig entfalten konnte, lange vor meiner „revolutionären“ Zeit; ich würde sagen, diese Phase war selber schon ein Produkt meines zusammengeschlagenen Idealismus, der sich noch an irgendeine „schöne“ Idee anklammern wollte. Darum ist es auch zu keiner richtigen Lebensentscheidung gekommen. Nun gut, jetzt fahre ich halt Taxi, aber das will ich gut und integer machen, obwohl es immer schwerer wird, sich damit über Wasser zu halten.
Ich will aber daran glauben, daß auch heutzutage für junge Menschen eine gute Lebens- und Berufsentscheidung möglich ist, auch wenn die gesellschaftliche Lage recht hoffnungslos ausschaut.





(16.1.2017)















©Peter Alois Rumpf    Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

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