Donnerstag, 23. März 2023

3147 Hannakenbrunnen

 

Bald werde ich an einem der schönsten Plätze Wiens, nämlich herunten unter Maria am Gestade sitzen und mich fragen, ob es denn darum geht, vom Ufer aus ins beruhigende Wasser zu schauen (das es da realiter gar nicht mehr gibt), oder nicht eher darum, endlich an ein festes Ufer zu schwimmen.

In Wirklichkeit sitze ich im Wartezimmer der Zahnambulanz und ja! - ich bin herspaziert, zu Fuß, wie es der Name verspricht. Der diskrete Charme der staatsnahen Verwaltung. Der Wanduhr nach müßte ich in sechs Minuten drankommen, aber das wird sich nicht ausgehen. (Nachtrag: Doch! Diesmal pünktlich drangekommen.) Die Bildschirmuhr geht falsch – ich mag diese Screenerei sowieso nicht. Die Wanddekoration – seitlich photographiertes Gras – ist bemüht und es gibt wahrlich Hässlicheres. Und die aktuellen Botschaften am Infoscreen – ich kann es nicht vermeiden, dass mich eine Bewegung am Bildschirm an der Wand hinschauen läßt – sind zirka drei Jahre alt: Abstandregeln in der Pandemie, bevorstehende Einführung von ELGA („was man spricht, das ist man selber, sagt die Tante (H)Elga!“ „Was die Tante Elga spricht, nein, das int’ressiert mich nicht“). Zehn Minuten ist die Bildschirmzeitanzeige hinten; der Wetterbericht ist vom 15.10.2020. Der Vogel am Bildschirm befreit sich schon seit Jahren aus dem Käfig und startet doch immer wieder dortselbst von Neuem. Mundschutzreisen – wenn man am Bildschirm gerade den Übergang von Info zu Werbung erwischt. So! Schluß! Ich bereite mich seelisch auf die Zahnbehandlung vor. Ich schwitze unter der Maske, die hier noch vorgeschrieben ist.

Jetzt steh ich an Marias Gestade (ich dachte, das heißt herunten Passauerplatz) beim trockenen Brunnen, weil keine Sitzbank frei ist und schaue den steinernen Fischern zu, wie sie einen der ihren retten („steinern“ – schaut eher wie gegossen aus). (Nachtrag: Oh! Ganz falsch! Hannakenbrunnen: ganz andere Geschichte!). Das Gesicht der einen Figur schaut irgendwie aus, aber wie? Einerseits in seine „Arbeit“ vertieft, sachlich, aber auch – andrerseits – wenn es denn überhaupt eine andere Seite ist – ein wenig desinteressiert, gleichgültig. Jedenfalls sehr ernsthafte Männer, alle drei. Kein Geschrei! Kein Ausnahmezustand, als wäre diese Rettung alltäglich. (Nachtrag: ganz so falsch bin ich nicht gelegen, weil in alten Zeiten an dieser Stelle ein Bader residiert haben soll, genannt Hannakenkönig, der nächtlichen Passanten in der Dunkelheit Prügeln vor die Füße werfen hat lassen, damit er dann an der Kurierung der Verletzten verdienen konnte!) Ein Hund ist auch dabei und ein umgestürzter Krug, aus dem eine Flüssigkeit rinnt. Im wasserleeren Brunnenbecken liegen unzählige Pistazienschalen. Ziemlich porös die Männer vom Brunnen! Ich spöttel so herum, aber irgendwie gefällt mir der Brunnen, oder ist es der Platz, der mich so nachsichtig und weichherzig macht?

Nun sitze ich auf der Stiege zur Kirche rauf und schaue hinunter zum Brunnen. Aus dieser Entfernung fallen mir erst die Fischköpfe auf, die ganz blöd dreinschauen und aus denen im Sommer Wasser sprudeln wird (werden wir genug Wasser dafür haben?).

Jetzt habe ich eine freie Bank gefunden, die vielleicht etwas unglücklich steht (wenn auch regengeschützt). Mittagsläuten. Der Platz ist wirklich sehr schön, aber der Mistkübel stört enorm. Dieses überdesignte Zeug kann und will sich nicht ins Ambiente einfügen, muß auffallen und alles rundherum dominieren. Da ist mir die Dominanz des Glockengeläutes eindeutig lieber. Die Passanten – beruflich und touristisch – alles gelungene Leute, scheint mir. Wer macht dann diese Mistkübel? Eine Taube setzt sich auf den Kopf der zentralen Figur. Der Staub, der Dreck und die Verwitterung tun den Brunnengestalten gut. Der metallene Mistkübel stört hier so besonders, weil der Platz autofrei ist und gegen die Straße und deren Blechverkehr durch ein Mäuerchen abgegrenzt und geschützt.

Anscheinend kommen wieder die blau-weiß gestreiften Latzhosen auf. Heute schon die zweite.

Nun sitze ich auf einer anderen Bank näher am Brunnen, wo ich den unseligen Mistkübel fast im Rücken habe und fast ignorieren kann, dafür liegen auf den Bodenplatten zwei Meter vor mir zwei Hundstrümmerl (die DNA aller Hunde in der Stadt sollte registriert sein und jedes Hundstrümmerl auf den Verursacher rückführbar und ordentlich bestraft werden!). Okay, man kann nicht alles haben. Jetzt weiß ich gar nicht mehr, was ich hier will und die Sonne scheint mir auf meine lichtscheue Glatze. Aufstehen! Die ein wenig runtergerutschte Hose hochziehen und Abmarsch.

 

(23.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

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