3147 Hannakenbrunnen
Bald werde ich an einem der schönsten Plätze Wiens, nämlich
herunten unter Maria am Gestade sitzen und mich fragen, ob es denn darum geht,
vom Ufer aus ins beruhigende Wasser zu schauen (das es da realiter gar nicht
mehr gibt), oder nicht eher darum, endlich an ein festes Ufer zu schwimmen.
In Wirklichkeit sitze ich im Wartezimmer der Zahnambulanz
und ja! - ich bin herspaziert, zu Fuß, wie es der Name verspricht. Der diskrete
Charme der staatsnahen Verwaltung. Der Wanduhr nach müßte ich in sechs Minuten
drankommen, aber das wird sich nicht ausgehen. (Nachtrag: Doch! Diesmal
pünktlich drangekommen.) Die Bildschirmuhr geht falsch – ich mag diese
Screenerei sowieso nicht. Die Wanddekoration – seitlich photographiertes Gras –
ist bemüht und es gibt wahrlich Hässlicheres. Und die aktuellen Botschaften am
Infoscreen – ich kann es nicht vermeiden, dass mich eine Bewegung am Bildschirm
an der Wand hinschauen läßt – sind zirka drei Jahre alt: Abstandregeln in der
Pandemie, bevorstehende Einführung von ELGA („was man spricht, das ist man
selber, sagt die Tante (H)Elga!“ „Was die Tante Elga spricht, nein, das
int’ressiert mich nicht“). Zehn Minuten ist die Bildschirmzeitanzeige hinten;
der Wetterbericht ist vom 15.10.2020. Der Vogel am Bildschirm befreit sich
schon seit Jahren aus dem Käfig und startet doch immer wieder dortselbst von
Neuem. Mundschutzreisen – wenn man am Bildschirm gerade den Übergang von Info
zu Werbung erwischt. So! Schluß! Ich bereite mich seelisch auf die
Zahnbehandlung vor. Ich schwitze unter der Maske, die hier noch vorgeschrieben
ist.
Jetzt steh ich an Marias Gestade (ich dachte, das heißt
herunten Passauerplatz) beim trockenen Brunnen, weil keine Sitzbank frei ist
und schaue den steinernen Fischern zu, wie sie einen der ihren retten
(„steinern“ – schaut eher wie gegossen aus). (Nachtrag: Oh! Ganz falsch!
Hannakenbrunnen: ganz andere Geschichte!). Das Gesicht der einen Figur schaut
irgendwie aus, aber wie? Einerseits in seine „Arbeit“ vertieft, sachlich, aber
auch – andrerseits – wenn es denn überhaupt eine andere Seite ist – ein wenig
desinteressiert, gleichgültig. Jedenfalls sehr ernsthafte Männer, alle drei.
Kein Geschrei! Kein Ausnahmezustand, als wäre diese Rettung alltäglich.
(Nachtrag: ganz so falsch bin ich nicht gelegen, weil in alten Zeiten an dieser
Stelle ein Bader residiert haben soll, genannt Hannakenkönig, der nächtlichen
Passanten in der Dunkelheit Prügeln vor die Füße werfen hat lassen, damit er
dann an der Kurierung der Verletzten verdienen konnte!) Ein Hund ist auch dabei
und ein umgestürzter Krug, aus dem eine Flüssigkeit rinnt. Im wasserleeren
Brunnenbecken liegen unzählige Pistazienschalen. Ziemlich porös die Männer vom
Brunnen! Ich spöttel so herum, aber irgendwie gefällt mir der Brunnen, oder ist
es der Platz, der mich so nachsichtig und weichherzig macht?
Nun sitze ich auf der Stiege zur Kirche rauf und schaue
hinunter zum Brunnen. Aus dieser Entfernung fallen mir erst die Fischköpfe auf,
die ganz blöd dreinschauen und aus denen im Sommer Wasser sprudeln wird (werden
wir genug Wasser dafür haben?).
Jetzt habe ich eine freie Bank gefunden, die vielleicht
etwas unglücklich steht (wenn auch regengeschützt). Mittagsläuten. Der Platz
ist wirklich sehr schön, aber der Mistkübel stört enorm. Dieses überdesignte
Zeug kann und will sich nicht ins Ambiente einfügen, muß auffallen und alles
rundherum dominieren. Da ist mir die Dominanz des Glockengeläutes eindeutig
lieber. Die Passanten – beruflich und touristisch – alles gelungene Leute,
scheint mir. Wer macht dann diese Mistkübel? Eine Taube setzt sich auf den Kopf
der zentralen Figur. Der Staub, der Dreck und die Verwitterung tun den
Brunnengestalten gut. Der metallene Mistkübel stört hier so besonders, weil der
Platz autofrei ist und gegen die Straße und deren Blechverkehr durch ein
Mäuerchen abgegrenzt und geschützt.
Anscheinend kommen wieder die blau-weiß gestreiften
Latzhosen auf. Heute schon die zweite.
Nun sitze ich auf einer anderen Bank näher am Brunnen, wo
ich den unseligen Mistkübel fast im Rücken habe und fast ignorieren kann, dafür
liegen auf den Bodenplatten zwei Meter vor mir zwei Hundstrümmerl (die DNA
aller Hunde in der Stadt sollte registriert sein und jedes Hundstrümmerl auf
den Verursacher rückführbar und ordentlich bestraft werden!). Okay, man kann
nicht alles haben. Jetzt weiß ich gar nicht mehr, was ich hier will und die
Sonne scheint mir auf meine lichtscheue Glatze. Aufstehen! Die ein wenig
runtergerutschte Hose hochziehen und Abmarsch.
(23.3.2023)
©Peter Alois Rumpf März
2023 peteraloisrumpf@gmail.com
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