Freitag, 17. März 2023

3139 Kleine Wanderung

 

14:06  (die Zeitangabe ist mir anscheinend schon zum Zwang geworden.) Als ich heute aufgewacht bin, hatte ich das Bild eines Aussichtsplatzes vor mir, den ich jahrelang nicht mehr besucht hatte, und so sitze ich jetzt hinterm Kobenzl am Abhang des Latisberges und blicke durch die Gitter eines Geländers in die östliche Weite bis zu den Kleinen Karpaten. Freilich: ganz entspricht die äußere Wirklichkeit da drüben nicht meinem inneren Bild, aber so ungefähr kommt es hin. Ganz grob. Die Sonne im Rücken und von der Höhenstraße kommt – wie immer – ein ekelhafter Autolärm (dass das Aufblasen des Egos = αυτός immer so viel Lärm braucht!). Die Senke vor mir im Vorfrühling; will sagen: die Wiesen sind zumeist noch braun und die Bäume kahl. Knospen könnte es schon geben. Der Wind, wenn er herkommt, ist sanft und kalt. Sehr kalt für den warmen Tag. Die Sonne wärmt mir den Rücken. Das Gitter ist an meiner Stelle etwas deppert; will sagen: unnötig verschnörkselt und überkandidelt, an anderen Stellen ist es schlicht und man sähe besser durch. Die Senke vor mir, mit ihren Hängen und Leiten, ihren Wäldchen und Baumreihen, ihren Wiesen und Weingärten beruhigt mein Auge und berührt mein Herz. Schönes Licht liegt auf den vornehmlich grauen Baumstämmen und die kahlen Bäume mit ihrem kahlen Geäst strahlen zur Sonne zurück und zu mir her. Ohne den sinnlosen Autolärm wäre es hier richtig schön. Die Ferne verliert sich im Dunst, die Bergrücken der Slowakei sind bloß eine niedrige, vernebelte Begrenzung für den Blick, sanft und unaufdringlich. Unzählige Windräder stehen elegisch in der Ebene und hinter dem gegenüberliegenden Hügel der Senke schimmert eine Reihe weißer Betonbauten hervor.

14:50  Jetzt blicke ich Richtung Süden auf die Stadt. Ich bin nämlich zur Bellevuewiese gewandert, dem schönsten Platz am Rande Wiens. Die Stadt glitzert von unter herauf; die Weite, die sich dem Blick öffnet, ist atemberaubend (ich seufze tief), die Luft in der Nähe noch klar und sonnig, in der Ferne dunstig. Hinterm Prater kommt ein wenig Donau (die Zweite) zum Vorschein. Im Weingarten vor mir am Abhang zur Stadt ackert ein Traktor (ich gebe zu: genaugenommen weiß ich nicht, was er tatsächlich macht). Ich suche unten den Stephansdom und finde ihn schnell (jetzt bleibt mein Blick am scharfen, tiefen, dunklen und transzendierenden Schatten meines Pilotstiftes hängen, während eine Krähe vier Mal ruft). Viele heraufglitzernde Stellen da unten in der Stadt. Hunde sausen hin und her und queren mein Blickfeld. Japaner (ich habe sie an der Sprache erkannt) photographieren (ich habe heute keine Lust, Photos zu machen, obwohl es ein herrlicher Tag mit herrlichem Licht ist). Drei deutsche Frauen (ich habe sie an der Sprache erkannt) in dicken, gesteppten Wintermänteln gehen und reden. Es ist moderat warm, aber der Schatten und vor allem der Wind ist kalt. Drei Uhr Läuten. Ich werde das Schlagen der Turmuhren und das Läuten der Glocken immer lieben. Im Südwesten die Hügeln und Berge des Wienerwaldes und in der Ferne der Schneeberg. Von hier ist die Stadt so schön und vielversprechend. Ich gehe weiter. Zunächst noch zur Freud’schen Traumstelle.

 

(16.3.2023)

©Peter Alois Rumpf  März 2023   peteraloisrumpf@gmail.com

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