3139 Kleine Wanderung
14:06 (die Zeitangabe
ist mir anscheinend schon zum Zwang geworden.) Als ich heute aufgewacht bin, hatte
ich das Bild eines Aussichtsplatzes vor mir, den ich jahrelang nicht mehr
besucht hatte, und so sitze ich jetzt hinterm Kobenzl am Abhang des Latisberges
und blicke durch die Gitter eines Geländers in die östliche Weite bis zu den
Kleinen Karpaten. Freilich: ganz entspricht die äußere Wirklichkeit da drüben
nicht meinem inneren Bild, aber so ungefähr kommt es hin. Ganz grob. Die Sonne
im Rücken und von der Höhenstraße kommt – wie immer – ein ekelhafter Autolärm
(dass das Aufblasen des Egos = αυτός immer so viel Lärm braucht!). Die Senke
vor mir im Vorfrühling; will sagen: die Wiesen sind zumeist noch braun und die
Bäume kahl. Knospen könnte es schon geben. Der Wind, wenn er herkommt, ist sanft
und kalt. Sehr kalt für den warmen Tag. Die Sonne wärmt mir den Rücken. Das
Gitter ist an meiner Stelle etwas deppert; will sagen: unnötig verschnörkselt
und überkandidelt, an anderen Stellen ist es schlicht und man sähe besser
durch. Die Senke vor mir, mit ihren Hängen und Leiten, ihren Wäldchen und
Baumreihen, ihren Wiesen und Weingärten beruhigt mein Auge und berührt mein
Herz. Schönes Licht liegt auf den vornehmlich grauen Baumstämmen und die kahlen
Bäume mit ihrem kahlen Geäst strahlen zur Sonne zurück und zu mir her. Ohne den
sinnlosen Autolärm wäre es hier richtig schön. Die Ferne verliert sich im
Dunst, die Bergrücken der Slowakei sind bloß eine niedrige, vernebelte
Begrenzung für den Blick, sanft und unaufdringlich. Unzählige Windräder stehen elegisch in der Ebene und hinter dem gegenüberliegenden Hügel der Senke
schimmert eine Reihe weißer Betonbauten hervor.
14:50 Jetzt blicke
ich Richtung Süden auf die Stadt. Ich bin nämlich zur Bellevuewiese gewandert,
dem schönsten Platz am Rande Wiens. Die Stadt glitzert von unter herauf; die
Weite, die sich dem Blick öffnet, ist atemberaubend (ich seufze tief), die Luft
in der Nähe noch klar und sonnig, in der Ferne dunstig. Hinterm Prater
kommt ein wenig Donau (die Zweite) zum Vorschein. Im Weingarten vor mir am
Abhang zur Stadt ackert ein Traktor (ich gebe zu: genaugenommen weiß ich nicht,
was er tatsächlich macht). Ich suche unten den Stephansdom und finde ihn
schnell (jetzt bleibt mein Blick am scharfen, tiefen, dunklen und
transzendierenden Schatten meines Pilotstiftes hängen, während eine Krähe vier
Mal ruft). Viele heraufglitzernde Stellen da unten in der Stadt. Hunde sausen
hin und her und queren mein Blickfeld. Japaner (ich habe sie an der Sprache
erkannt) photographieren (ich habe heute keine Lust, Photos zu machen, obwohl
es ein herrlicher Tag mit herrlichem Licht ist). Drei deutsche Frauen (ich habe
sie an der Sprache erkannt) in dicken, gesteppten Wintermänteln gehen und
reden. Es ist moderat warm, aber der Schatten und vor allem der Wind ist kalt.
Drei Uhr Läuten. Ich werde das Schlagen der Turmuhren und das Läuten der
Glocken immer lieben. Im Südwesten die Hügeln und Berge des Wienerwaldes und in
der Ferne der Schneeberg. Von hier ist die Stadt so schön und vielversprechend.
Ich gehe weiter. Zunächst noch zur Freud’schen Traumstelle.
(16.3.2023)
©Peter Alois Rumpf März
2023 peteraloisrumpf@gmail.com
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