83 Nachruf
Am 5. April 2014 ist der
Astrologe Wolfgang Döbereiner gestorben. Obwohl ich schon vor Jahren
mit ihm gebrochen hatte, merkte ich, daß ich trauerte, als ich davon
hörte. Was immer das bedeuten mag. Ich hatte schon jahrelang keinen
persönlichen Kontakt mehr zu ihm und der döbranitischen Szene,
besuchte keine Seminare mehr; ich schickte ihm nur noch einige
Briefe, in denen ich versuchte, ihm Fragen, die mir auf der Seele
brannten, zu stellen und zu artikulieren, was ich an seinem
Denksystem nicht (mehr) mittragen will und was – wie ich glaubte –
bei meiner Beratung durch ihn schief gelaufen ist. Diese Briefe haben
dann – im Laufe der Zeit - zum Teil schon den Charakter einer
Abrechnung mit ihm bekommen. Ein paar Tage vor seinem Tod hatte ich
ihm noch die Kassette, auf der die Beratung, die ich von ihm bekommen
habe, aufgezeichnet ist, geschickt, mit der Anmerkung, daß das sein
Werk sei und ich es deshalb nicht dorthin schmeißen könne, wo es
hingehöre, nämlich auf den Mist und daß er darüber verfügen
möge, wie er wolle. (Wobei ich nicht davon ausgegangen bin, daß er
das liest oder es sich gar anhört). Auch deswegen bin ich bei der
Nachricht von seinem Tod erschrocken.
Wegen all dem fühle ich
mich nicht wirklich berufen, einen Nachruf auf ihn zu schreiben –
aber weil sein Tod anscheinend so sang- und klanglos zur Kenntnis
genommen zu werden scheint – es kannten ihn ja viele Menschen –
schreibe das jetzt hin.
Wolfgang Döbereiner hat
die moderne Astrologie entscheidend geprägt; aber auch dazu kann ich
nicht mehr sagen, da ich schon jahrelang keine Astrologie mehr
betreibe und auch kaum weiß, was in der Szene los ist.
Jedenfalls hat die
Begegnung mit ihm mein Leben und mein Denken nachhaltig beeinflußt.
Im Großen und im Kleinen. Viele Gleichnisse und Formulierungen haben
sich bei mir tief eingeprägt, weil sie einen Sachverhalt präzise,
knapp, bildhaft und treffend darstellen. Um nur zwei seiner
Formulierungen als Beispiele zu erwähnen: „tapfer gegen das eigene
Empfinden handeln“ oder „die eigene Verdorbenheit als Maßstab
für andere nehmen“ - da braucht man doch nichts mehr erklären,
oder?
Ich werde auch nie
vergessen, wie ich eines Tages Anfang der Neunzigerjahre eher aus
Langeweile die Idee hatte, eine Bemerkung Döbereiners über die
astrologischen Konstellationen für Baustellen mit Erdaushub – also
wenn eine Straße aufgegraben wird – aufzugreifen und für die
aktuellen Konstellationen in Wien auszuprobieren. Fleißig und
intensiv rechnete und zeichnete ich im Stadtplan von Wien herum und
schließlich zog ich – streng der astrologischen Methode
Döbereiners folgend – mit dem Bleistift im Stadtplan eine Linie
vom Urban-Loritz Platz bis zur Wienzeile, an der entlang den
Berechnungen nach am heutigen Tag Baustellen mit Aufgrabungen neu
eröffnet haben sollten.
Wie ich zum
Urban-Loritz-Platz hingehe, fällt mir auf: ich habe mich im Datum
geirrt! Ich habe alles auf den 15.9 berechnet, heute war aber der
14.9.! Kurz ärgere ich mich über den Fehler, aber weil ich zu faul
war, wieder zurückzugehen und alles nochmals neu zu berechnen, denke
ich mir: „is ja wurscht! Wenn morgen die Baustelle eröffnet wird –
vielleicht kann man schon heute etwas sehen.“
Ich gehe weiter und –
tatsächlich! - ich erreiche den Urban-Loritz-Platz und da stehen
Tafeln: „Baustelle, halten verboten, gültig ab 15.9.“ Zuerst
lächle ich ungläubig und weiß noch nicht recht, ob es Zufall ist
oder nicht. Ich gehe mit dem Stadtplan in der Hand zur nächsten
Stelle, wo meine imaginäre Linie eine Gasse kreuzt (was sich in den
Gebäuden an Umbauten für den 15.9. abgespielt hat, konnte ich
natürlich nicht überprüfen) und tatsächlich!: da steht eine
Halteverbotstafel, gültig ab 15.9. und daneben ein abgezäuntes
Areal mit Bauhütte, Rohren und ähnlichem Material. Jetzt bin ich
schon etwas aufgeregt und mein Herz klopft. Ich will die ganze
Schilderung abkürzen: als ich fast ganz unten bei der Wienzeile bin,
hatte ich schon sechs oder sieben solcher Baustellen mit Schildern
gültig ab 15.9. exakt auf „meiner“ Linie gefunden. Dort unten
gibt es noch die kleine Fallgasse, die nur ein kurzes Stück zur
Wienzeile geht, und ich schaue so von Weitem in die Gasse und sehe
nichts von einer Baustelle. Ich denke: „es genügt schon! Ich dreh
jetzt um, ich bin schon müde.“ Dann gehe ich doch noch rein in die
Fallgasse und finde ein Straßenschild: Baustelle; Halten verboten;
gültig ab 15.9.
Jetzt zittern mir die Knie
und ich stehe wohl unter einer Art leichten Schock; ich reiße mich
zusammen und schaffe es noch über den Wienfluß in den fünten
Bezirk zu gehen – immer der Linie folgend – und nach zwei
weiteren Baustellenankündigungen für 15.9. reicht es mir und ich
breche erschöpft meine Expedition ab. Ich war jetzt erschüttert
und tief getroffen, daß ich einen Blick in die Gesetzmäßigkeiten
und in die Tiefendimension der uns umgebenden Wirklichkeit machen
durfte. Ich betone nochmals: diese astrologische Methode, die ich da
angewendet habe, ist ausschließlich von Wolfgang Döbereiner und
sonst niemandem.
Insoferne hatte ich kein
Problem, Döbereiners Aussage über sich, er sei ein Genie, wie es
nur alle zweitausend Jahre gibt, ohne Zynismus ernst zu nehmen und
nicht als Hybris, sondern als nüchterne Einschätzung der Tatsachen
zu akzeptieren.
Ich werde aber auch nie
vergessen, wie er in seinen Seminaren herumgebrüllt hat und ich
voller Angst drinnen sitzend kaum den Kopf zu heben wagte, oder noch
vorher, bei meiner ersten persönlichen Begegnung mit ihm, wie ich,
den Termin zur Beratung wahrnehmend, seine Praxis betreten habe –
so in der Vorstellung, ich werde jetzt jemandem begegnen, der – wie
Moses z.B. - tatsächlich die Gesetze des Himmels herunterholen kann
und sie mir – auf meine Situation gewendet – auslegen kann und
dadurch mit entsprechender Ehrfurcht und Angst, mit Herzklopfen und
Aufregung – wie er also dann – mit den Kopf auf mich deutend –
zu seiner Frau sagte: „Was is denn des da!“ Bei der Beratung
selber – so behaupte ich – ist einiges schief gegangen, obwohl
ich es dieser Beratung verdanke, daß ich mein abgebrochenes Studium
dann abgeschlossen habe. Aber dennoch habe ich – eingeschüchtert –
wohl „tapfer gegen das eigene Empfinden“ falsche
Lebensentscheidungen getroffen. (Wobei klar ist, daß es in meiner
Verantwortung liegt, mich ihm so ausgeliefert zu haben). Diese Beratung hatte auch bewirkt, daß ich die Malerei aufgegeben und - wenn auch erst ein paar Jahre später - alle meine Bilder und Zeichnungen zerrissen und verbrannt habe.
Ja, mehr möchte ich dazu
jetzt nicht sagen.
©Peter Rumpf 2014
peter_rumpf_at@yahoo.de
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