3063 Die 2er und der 43iger
Die Zweiertour fängt damit an, dass ich in die eher
unsympathischen Bereiche meines Bezirkes gehen muß. Und beim bequemen Warten
auf der Bank auf die Straßenbahn muß ich ein unsympathisches Telefonat
mithören. Zuerst ist kein Fensterplatz in Fahrtrichtung frei. Aber jetzt schon.
Nun geht es vom Schwedenplatz am Donaukanal entlang. Viel fällt mir weder auf
noch ein. Wir biegen rechts ab auf den Ring. Der Reiter mit Sattelgurt. Oder
doch ohne? Ich kann es im Vorbeifahren nicht erkennen. Die Angewandte windet
sich vorüber. Hier steigen viele aus. Am Stadtparkwald. Verdammt! Es geht alles
zu schnell: schauen, aufnehmen, verarbeiten, formulieren, schreiben: das geht
sich nicht aus. Einer mit gefärbten Haaren klickt irrsinnig laut auf seinem
Handy herum. Piazza del Monte Negro. Die Sonne schimmert hinter Hochnebel. Die
Fahrt ist zeitweise recht wackelig. „123Gold“ steht vielversprechend an der
Wand. Ein positives Menetekel für mich? Hm? Opernhafte Menschenströme. Das
Interessanteste ist die ab und zu in den Häuserschluchten zwischen den Wänden
auftauchende Sonne hinter den lichtabsorbierenden Wolken. Viele Kräne. Kunst
und Natur, dazwischen thront Maria Theresia. Das neualte Parlament mit dem
alten Schreihals an seiner protokollarischen Spitze. Das scheußliche Rathaus.
Die Ampeln blinken. Die Straßenbahn fährt ab und biegt nach links. Ich habe
doch tatsächlich die in meinem Gehirn abgespeicherte Geographie Wiens
vergessen! Baustellen. Kräne. Also doch zum St.Josefs-Theater (hihi). Dieses
geballte neunzehnte Jahrhundert! Manchmal verstehe ich den Le Corbusier. Wir
queren den 13A. Es gibt schon viel Wohlstand: teure Autos auch bei jungen
Leuten. Wir stehen unter der Stadtbahnbrücke vulgo U6. Blick in die Bretagne
(Plakat). Nun, Le Corbusier, es ist nicht Gescheiteres nachgekommen: wirkt
alles sehr schnell abgefuckt. Würstelstand wirbt mit Zipferl (Bier!). Jetzt
wird’s eng um meinem Sitzplatz. Jetzt wird’s draußen lichter. Niedrigere
Häuser; die Erdgeschoße stehen leer und verfallen. Oh! Hier ganz in der Nähe
habe ich auch einmal gewohnt. „Heaven No! Hell Yeah!“ steht an der Wand.
Darunter: „Fiasko“. Ein kleiner Weihnachtsmann verdreckt noch außen an einem
Balkon hängend. Hier ist der Radweg rot („Radfahren ist veganes Reiten“ Olaf
Schubert). Ganz, ganz vereinzelte Schneeflocken. Noch ein Weihnachtsmann
verreckt außen an einer Fensterscheibe. „Umpassagierung“ (viele Fahrgäste raus,
viele rein). Ahne Speckbacher. Einer hinter mir redet dauernd und mit so
belegter Stimme, als wäre er ein Oberton-Unterton-Sprecher. Jetzt weiß ich
wieder wo ich bin: Heiligenkreuz im kleinen Astroraster. Straßenbahn biegt nach
rechts ab. Riesensupermarkthalle: alles aus Glas, das sofort verhängt und
verpickt wird. Rote-Wien-Gemeindebauten. Hier, bei Liebknecht, gibt es noch
Schneereste. Dornbach. Aufforderung an der Endstelle auszusteigen. Ich bin
neugierig, wie die Endstelle ausschaut; ich kann keine Erinnerung abrufe. Ohje!
Nicht schön.
Jetzt weiß ich, warum ich nichts abgespeichert habe: dieser
Ort gibt nicht viel her, mitten an einer Hauptstraße. Kein Bach. Keine Dornen.
Außerdem muß ich Ost und West verwechseln, denn für mich haben die
Straßenbahnen der 43iger Linie richtungsmäßig die falschen Aufschriften. Kalt,
nass, hässlich, grau und vor allem: viel zu viel Autoverkehr. Spontaner
Entschluß: ich fahre weiter nach Neuwaldegg. Nun sehe ich einen Weinberg und
viele Bäume. Und Villen. Viele Schneeflocken. Es wird „gebirgig“. Naja. Okay.
Die Endstelle 43. Als erstes fällt mir die Kloanlage auf. Okay. Es ist die schlechteste
Jahreszeit: alles wirkt dreckig und tot. Die Straßenbahn fährt leer um ein
Kirchlein herum, das ich erst jetzt registriert habe. Oh! Sankt Peter und Paul!
Wie die Kirche meines Aufwachsens. Aber geschlossen. Verstößt das nicht gegen
das Kirchenrecht? Müssen Kirchen nicht tagsüber wenigstens zeitweise für Beter
geöffnet sein? Okay! Für Beter – nicht für Peter. Okay! Ich suche hier in der
verkehrsreichen Einöde, die einstens sicherlich schön war, ein Café. Dafür gehe
ich zu Fuß ein Stück des Weges zurück, denn von der Straßenbahn aus ist mir
eine Bäckerei aufgefallen. Ich wundere mich immer wieder, wie ruhig ich es
im Gegensatz zu hier heraußen in meiner Kemenate mitten in der Stadt habe.
Einsiedler, kommt alle in die Stadt herein!
Im Souterrain des Cafés. Das hier hat schon etwas Ländliches
in seiner typischen, ein wenig aufgetakelten „modernisierten“ Variante.
Erinnert mich an die Cafés in den Märkten am Land. Vorstadt halt. Wie alte
Häuser geupdatet wurden, aber ihre Herkunft nicht ganz verleugnen können. Im
Moment ist mir das nicht unsympathisch – ob ernsthaft oder aus Schwäche weiß
ich nicht. Auch die Klientel und ihre Kommunikation hat etwas Nicht-Urbanes.
Der Dekor sowieso. Der Kaffee geht. Keine Offenbarung, aber ich habe mir einen
schlechteren erwartet (im Gegensatz zur Lucy-Bar: dort erwarte ich einen
besseren. Möglicherweise sind die Kaffees eh gleich). Durch die modern
befensterte Luke (nicht vergessen: jetzt sind wir in der Postmoderne) blicke
ich auf eine alte Pawlatsche, so passend für die Rückseite eines organisch
gewachsenen Hauses. Gefällt. Jemand schaut im Vorbeigehen von der
vorbeiführenden Straße herein. Kurzer, beidseitig unbeabsichtigter
Blickkontakt. Hier herinnen ist es ruhig, auch wenn zwei Frauen und besonders
drei Kinder lebhaft und ständig reden. Die Vorbeigehenden sieht man in etwa von
den Knien bis zu Brust oder Hals. Das kommt natürlich darauf an, wie nahe oder
wie weit entfernt vom Fenster sie vorbeigehen. Langsam werde ich nach Hause
aufbrechen.
Zurück mit dem 43iger. Die Infoscreens stören enorm, weil
sie mit ihrem optischen Gedudel meine Aufmerksamkeit an sich ziehen. Heute bin
ich sehr milde gestimmt und kann auch Villenvierteln etwas abgewinnen.
Industriebauten sind um diese Jahreszeit besonders trist. Eine richtig schwarze
Krähe sitzt in einem kahlen Baum. Watt-Gassen! (kleiner Knicks vor Bernhard).
Diese unsäglich hässlichen Wettcafés! (Wetten! - weiterer Knicks vor Bernhard).
(Das wird heute noch viel Arbeit: zweimal Wäsche, zweimal Geschirr, Texte
eintippen.) Arbeiterherrlichkeit an der Hauswand. Oh! Da war ich vor kurzem:
eines Buches wegen, das es nur in dieser Zweigstelle der Städtischen Bücherei
gab. Allmählich gerate ich in gut bekanntes Terrain. Turnverein im Erdgeschoß
(Turn! Turn! Turn! - Peter Paul and Mary – so hatte ich das Lied von Peet
Seeger kennengelernt). Ich betrachte die Menschen an der Gegenhaltestelle.
Einzelne drehen sich zur Seite. Wir kommen an meiner alten Arbeitsstelle
vorbei. Trotz Zimmermanngasse kein Erlöser. Aber meine alten Freunde: die große
und die „kleine“ Platane, die Birke, und die Bäumchen 007 bis 1010. Wir treffen
auf den 13A. Ich packe das Notizbuch in mein Albertinatascherl. Finita la
commedia!
(27.1.2023)
©Peter Alois
Rumpf Jänner 2023 peteraloisrumpf@gmail.com
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