3064 Dass es eine Freude ist
In der Albertina. Wie immer raste ich vor der bewunderten
Werefkin und rutsche in Phantasien und ins Träumen. Am Eingang habe ich
gesehen, wie Eltern das Flascherl mit Trinkwasser für ihr Kleinkind im Buggy
abgeben mußten, weil jetzt Flüssigkeiten mitzunehmen verboten ist.
„Terrorgefahr!“ Ein Beispiel, wie sich Vorschriften und Bürokratie ins
Ornamentale aber verselbständigt haben und damit unsinnig und bösartig werden.
Die Rast vor Kokoschka. Die Aufseher haben enormen Stress;
sie sausen rastlos herum. Dresden (London fehlt). Wie immer: Biermann: „In
Dresden, da steht ja die Elbe so still und die Stadt fließt so träge vorbei
...“ …
Rast vor dem depperten Kardinal, gegenüber mein Spiegelbild
und das des Kardinals, rechts die paar Klees, links ein Jawlensky und ein paar
Kandinskys. Ich bin sehr müde, denn ich bin um 7:20 a.m. aufgestanden, habe die
Tagis vom Augarten nach Hause gekarrt und bin dann sofort ab in die Albertina.
Ich habe viel zu wenig geschlafen. Aber die Vormittagsalbertina ist eine neue
Erfahrung. Ich versuche, ein wenig hier zu bleiben, denn an diesem Platz sitze
ich mit Rückenabstützung. Nachdem das ein schmaler Gang ist, passieren die
Leute so knapp an mir vorbei, dass ich Hemmungen habe, sie anzuschauen und zu
beschreiben. Nicht so sehr, weil sie es bemerken könnten, sondern weil sie mir
so zu nahe gehen. Ich vermute, die umfangreicheren Energiekörper berühren
einander im Vorbeiwalken. Manche Passantinnen zögern, an mir vorbeizugehen.
Verständlich, aber das macht mich jetzt unruhig und nervös auf meinem Sitz.
Vielleicht geht es unten bei den Sphinxen besser? Dort ist der Gang viel
breiter.
Weitere Rast beim freundlichen Arbeiter (Motesiczky), auch
dort sitze ich gern, wenn auch nie lange, wegen der fehlenden Rückenlehne
(Kreuz). Die Farben sind so leicht und schön. Ich blicke von hier bis in den
dritten Saal. Die Wand im Bild hinter dem auf einem einfachen Stuhl sitzenden
Arbeiter kommt mir fast ikonenhaft gemalt vor, wenn auch säkularisiert (Gottseidank!).
Weiter.
Heut rast ich auch vor Chagalls Papierdrachen. Ein wahrhaft
lustiges Bild, das mir sehr gefällt. Heute habe ich echte Hemmungen vor der
Personengafferei. Das ist gut: so bleiben die Bilder und das intensive
Chagall’sche Blau. Und Weiß. Und Rot. Und Grün. Und Braun.
Giacomettis Anette (seine Landschaft fehlt), seine vier
Frauen auf Sockel mit ihren Schatten (und dem des Sockels) und wieder habe ich
mich hingesetzt. Sonst halte ich im Saal nicht allzuviel aus. Aber jetzt
vibrieren der Fußboden und die Bank, auf der ich sitze, so stark, dass es eine
Freude ist. Ich warte auf den nächsten Passanten, der das Ganze in Schwingung
bringt. Dazu das leise Röhren der Klimaanlage. Es schaukelt einen richtig
durch, wenn wer den Raum durchschreitet. Max Ernst’s Wald und Sonne gehen auch;
und sein Monument des Stillstandes.
Nachschlag
Hiemit beende ich meine Kaffeehauskaffeeschimpfereien: im
wirklich altwiener Tirolerhof habe ich am Kaffee nichts auszusetzen. Draußen
zupft schon ein stärkerer Wind an Zweigen, Dekor und Planen und es sieht so
aus, als will er sich auf Hochform auflaufen. Die Sonne scheint noch. Noch
vertreibt der Wind die Wolken. Ein interessantes Wetter. Ich selbst bin k.o.
Aber ach was! Ich geh zu Fuß in die Therapie: kleine Stadtwanderung. Die Sonne glitzert
stark. Ich zögere etwas mit dem Aufbruch. Raus in den beginnenden Sturm. Auf!
Auf! Meine Trinkgeldwirtschaft ist schlicht und einfach entartet. Der Wind
bläst stark draußen, die sonnenbeleuchteten Flecken strahlen in so einem
reinen, verklärenden Licht und werden aus der gewöhnlichen Welt gehoben.
(30.1.2023)
©Peter Alois
Rumpf Jänner 2023 peteraloisrumpf@gmail.com
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