Freitag, 16. Dezember 2016

538 Mein Wecker geht pro Tag fünf Minuten vor

Abend. Nacht. Dazwischen ist nichts passiert. Nichts Schriftliches.
Jetzt geschieht auch nichts. Hier. Zumindest nichts, was ich als beschreibungsfähig wahrnehme. Wobei dies ja auch eine Frage der Interpretation ist. Oder so ähnlich.
Ich meine, mein Herz klopft – zum Beispiel. Und was passiert alles, ohne daß ich es merke? Rundherum oder in mir? Irgendwelche Zellen arbeiten wie verrückt herum und verhindern gerade noch irgendwas, oder arbeiten ganz normal oder umgekehrt.
Oder im angrenzenden Haus. Irgendwer wälzt sich schlaflos im Bett, oder schreibt Briefe (analog oder digital), telefoniert, hm … oder umgekehrt: das Bett wälzt sich herum – ja, ja, ich weiß – äußerst unwahrscheinlich, aber was weiß ich schon, was zwischen Himmel und Erde alles möglich ist!? Jetzt zum Beispiel höre ich Schritte, und kaum sind sie verklungen, geht im Lichtschacht die Lüftung los. Das ist doch was!
Einige werden schlafen, und wieviele anorganische Kundschafter gehen in ihren Träumen ein und aus?
Staubmilben zum Beispiel, zwei lieben sich gerade und zeugen Nachkommen. Könnte ja sein, ich weiß doch nicht, ob und wann die Paarungszeiten haben.
Elektronen kreisen. Kräfte wirken.
Das Lüftungsgeheule hat soeben aufgehört, aber was machen die Luftschwingungen jetzt? Sind die heim gegangen? Und wo wohnen sie?
Oder wieviele Zellen meines Körpers beschäftigt meine aufkommende Weihnachtsstimmung? Oder umgekehrt, wieviele Zellen lassen sich nicht anstecken?
Was macht meine Leber gerade? Hat sie Dienst?
Oder warum geht mein Wecker immer vor? Wer hat das veranlaßt? Und was alles passieren mußte, daß genau dieser Wecker, hier bei mir, vor geht!? Meine Eltern mußten mich zum genau richtigen Zeitpunkt gezeugt haben, dieses Sperma, diese Eizelle, genau diese Genmischung (hauptsächlich slawisch, germanisch, keltisch). Die Fabrik, die den Wecker produziert hat, die ArbeiterInnen, ihre Zeugung, der psychologische und soziologische Hintergrund, der Techniker, der Ingenieur – inklusive Zeugung und dem ganzen Pipapo, die ganzen Generationen vor uns, die das alles aufgebaut haben, das richtige Luftgemisch, das auf unserem Planeten entstehen mußte, damit hier Leben möglich ist, der Meteoreinschlag, der die Dinosaurier erledigt hat. Die richtigen Materialien, daß Wecker hergestellt werden können, das richtige Klima, nicht zu heiß, nicht zu kalt; überhaupt: der Urknall!
Das alles, damit hier und jetzt – und schon seit längerer Zeit – und ich wage die Prognose – noch länger in Zukunft – mein Wecker pro Tag um fünf Minuten vor geht!
Die Batterien habe ich ganz vergessen; wer aller daran gearbeitet hat; die Erfinder, ein jeder auf den Schultern seiner Vorgänger stehend; die kosmischen und irdischen chemischen und physikalischen Prozesse. Die psychologischen und soziologischen Entwicklungen, daß das Bedürfnis nach Weckern entsteht. Also eine Nachfrage – ja, verdammt! Die Wirtschaft dahinter! – die behauptet doch immer, daß sie die Grundlage für alles ist. Und zwar immer schon! Die Wirtschaft des Urknalls, die Wirtschaft der Religionssysteme – ich kann das jetzt nicht lückenlos ableiten, aber es ist evident, daß ohne Klöster  und ihre geregelten Zeiten für das Stundengebet und ihre fabricae genannten Wirtschaftsgebäude weder das Bedürfnis nach Weckern, noch die Fähigkeit, sie zu erzeugen, entstanden wären.
Meine Erziehung – familiär und gesellschaftlich, der ganze psychologische Background, daß ich so geworden bin und nicht ein Winnertyp, der entweder gleich bessere Wecker kauft respektive kaufen läßt oder falsch gehende sofort ins Geschäft zurückbringt respektive zurückbringen läßt und auf Schadenersatz klagt und außerdem noch eine Armada an Spitzenjuristen auf das vor-gehende Wecker-verkaufende Geschäft jagt.
Ja und die Wissenschaft dahinter! Angefangen bei Lao Tse und die Sumerer. Nein, noch viel früher!
Es ist einfach überwältigend!

Glücklich der Mensch, der einen Wecker hat, der pro Tag fünf Minuten vor geht!

Ja nicht vergessen: der Rationalisierer in der Weckerfabrik, der aus Einsparungsgründen vorgeschlagen hat, den früher bei Weckern üblichen kleinen Schieber abzuschaffen, mit dem man/frau die Mechanik beschleunigen oder verlangsamen konnte (+ -).





(15./16.12.2016)













©Peter Alois Rumpf     Dezember 2016     peteraloisrumpf@gmail.com

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite