Donnerstag, 29. Dezember 2016

554 Wundertäterfragment 26

oder:

der Wundertäter spricht zu seiner schlafenden Frau



Der Wundertäter sitzt am Schreibtisch vorm Laptop und liest, surft, spielt, hört sich Musikstücke an, schreibt den einen oder anderen Kommentar und so weiter und so fort. Es ist schon einiges nach Mitternacht, seine Frau ist schon um zweiundzwanzig Uhr zu Bett gegangen und schläft schon längst. Allmählich wird auch der Wundertäter – nicht zu vergessen: es ist ein Wundertäter, der nie ein Wunder vollbringt – müde, „Aber das noch, das lese ich noch“, denkt er sich, „noch ein Solitär, dann mach ich Schluß“, „und noch ein Mahjong“ - gut, aus – es ist soweit. Gegen zwei Uhr. Der Wundertäter ist hundemüde, dreht das Gerät ab, geht ins Badezimmer, putzt seine Zähne, zieht sich um, hüllt sich in seinen Bademantel, nimmt sein Traumtagebuch, sein Notizbuch und seine Taschenlampe, schaltet das Licht aus, geht hinunter, sucht seine Lesesbrille für das untere Stockwerk und einen Kugelschreiber, legt dies alles mit den Büchern und der Taschenlampe auf den Tisch, legt den Bademantel ab und schlüpft ins Bett. Seine Frau wacht ein bißchen auf, geht kurz ins Bad; er denkt sich „sie ist munter – ich kann sie anplaudern“ und – plötzlich recht wach – beginnt er zu ihr zu sprechen.

„Mein Weiblein!“, sagt er in die Dunkelheit hinein – der Wundertäter ist ein wenig nachtblind - „hast du deine Äuglein schon zu?“ und muß schon lachen über seine wunderschöne Anrede. Der Wundertäter kann sich köstlich über seine eigenen Formulierungen amüsieren, vor allem, wenn er dabei Worte seiner Frau aufnehmen und ein wenig verarschen kann. „Meine Äuglein“ hat nämlich sie in die Ehe mit eingebracht und überhaupt kann sich der Wundertäter sehr gut mit sich selbst unterhalten.

Also: „Mein Weiblein, hast du deine Äuglein schon zu?“
„Ja“, haucht sie schlaftrunken.
„Bist du wach?“ fragt er noch fast scheinheilig.
„Hmm“, kommt es von ihr.

Kurz fällt ihm nichts mehr ein, aber eine Welle von Euphorie erfaßt ihn und er redet weiter:
„Ich habe gerade gelesen, daß eine amerikanische Studie die drei Hauptmerkmale besonders intelligenter Menschen herausgefunden hat. Diese drei Eigenschaften sind bei solchen Menschen besonders häufig anzutreffen … Moment!“ Er unterbricht seine Rede, klettert mühsam aus dem Bett, denkt, „das muß ich aufschreiben! Das kann ich vielleicht für einen Text brauchen“, geht zum Tisch, dreht die Taschenlampe auf, schlägt das Notizbuch auf und notiert, nachdem er die Lesebrille aufgesetzt hat, ein paar Stichworte. Dann klappt er das Buch zu, dreht die Lampe und nimmt die Brille ab und klettert wieder ins Bett.

„Also die drei Eigenschaften … hörst du, Zweiäuglein?“ - wieder kichert er über die Formulierung; er wird immer munterer und fährt fort: „Erstens, die superintelligenten Leute haben meistens einen chaotischen, sehr chaotischen Schreibtisch! So wie ich! Ich glaube, das gilt auch für dich.“
„Hmh.“
„Zweitens … Moment, ich muß schnell aufs Klo. Die unbesockten Füße vorhin beim Notizenmachen …“
Er deckt sich tapfer wieder ab, steht auf und geht ins Bad, mit seiner Taschenlampe den Weg beleuchtend. „Diese verdammten Energiesparlampen!“, denkt er, „früher hat man einfach das Licht aufgedreht, und wenn man fertig war, abgedreht. Mit diesen beschissenen Energiesparlampen ist man mindestens schon dreimal fertig, bevor es überhaupt dämmrig, geschweige denn hell wird; dann soll man sie nicht gleich wieder abdrehen, weil sie davon kaputt werden, so sollte man eine dreiviertel Stunde am Klo warten, bis man das Licht wieder abdrehen kann. So eine Idiotie! Welche Vollkoffer uns das eingebrockt haben! Alles nur Zwangsmaßnahmen, damit die Industrie ihren Dreck loswerden kann!“ Er versucht, im Bad die Taschenlampe so hinzulegen, daß sie nicht umfällt, ihn nicht blendet und trotzdem etwas Licht abgibt, um ein wenig sehen zu können. „War bei dieser Energiesparlampengeschichte nicht auch Greenpeace beteiligt? Genau weiß ich's nicht, aber falls: solche Volltrotteln! Die kriegen von mir keinen Heller mehr! Deppen!“
Er verrichtet sein kleines Geschäft - sitzend! Der Wundertäter ist ein notorischer Sitzbrunzer! - wäscht sich die Hände – wieder die schwierige Herausforderung, die Taschenlampe sachgemäß zu platzieren, weil jetzt auch noch der Spiegel mit seinen Reflexionsmöglichkeiten einzubeziehen  (blenden!) und am Waschbeckenrand alles vollgestellt ist. Schließlich hält er die Taschenlampe mit den Zähnen, um beide Hände frei fürs Einseifen, Abwaschen und Abtrocknen zu haben. Gut! Alles erledigt.
Der Wundertäter wandert wieder zurück und schimpft in seinem inneren Monolog weiter auf die für die Energiesparlampen verantwortlichen, überbezahlten Kanaillen.

Er klettert wieder ins Bett. „Die zweite Eigenschaft habe ich vergessen. … Was war das? Verdammt! Was war das bloß? Es fällt mir nicht ein! Mein Gedächtnis wird immer schlechter! Wahrscheinlich habe ich Alzheimer. Verfluchte Scheiße! … Welcher Hirngestörte hinterläßt seinen Namen auf einer Krankheit und will sich so verewigen! Himmel, Arsch und …  Bist du noch da?“
„...“
„Die dritte Eigenschaft hochintelligenter Leute jedenfalls war – laut dieser Studie, daß sie viel fluchen. Ihr Wortschatz diesbezüglich ist sehr groß! [Anmerkung für die LeserInnen: daß hier jetzt der diesbezügliche Wortschatz etwas mager ausfällt, möge man/frau mir verzeihen; es ist jetzt Dreizehnuhrfünfundzwanzig nachmittags, meine schöpferische Hochzeit ist in der Nacht] Ich habe es auch am Text gemerkt, wie schwer sich die Amis mit einer positiven Haltung zum Fluchen tun. Diese armen, puritanischen Wi ...“
„...“
„Ah! Jetzt fällt mir auch wieder die zweite Eigenschaft ein: sie sind nackt – äh – nachtaktiv. Ihre besten Einfälle kommen ihnen in der Nacht. Was sagst du dazu? Trifft alles auf mich zu einhundertzwanzig Prozent zu! Nicht schlecht, was?! … Schläfst du?“
„...“
„Ja, es ist einfach toll! Ich finde das Leben überhaupt ganz toll. Ich bin gerade euphorisch! Findest du nicht auch, daß es mir in letzter Zeit besser geht? … Ich wundere mich selber! [als Wundertäter?! Anmerkung vom Setzer], dabei habe ich nichts genommen. Du weißt ja, ich nehme nichts!“

Der Wundertäter denkt an eine Karikatur und muß wieder vor sich hin kichern und lachen. Er hat kapiert, daß seine Frau schläft und will sie nicht stören, aber er kann sein Lachen nicht ganz unterdrücken. Über dieses Bild lacht er schon den ganzen Tag in Stundenabständen.

„Ich kann diese Karikatur nicht erklären … hmha … der Toaster, wie die Brotscheiben rausspringen hahaha … und wie das Paar dreinschaut!  Die haben auch schon viele Jahre Kampferfahrung hahaha … man weiß nicht, sind die schon in der Ehehölle oder kriegen sie es noch hin? Was sagst du?“
„...“

„Ja vielleicht nicht Hölle, sondern nur Fegefeuer. … Obwohl der Vergleich stimmt ja nicht! Das Fegefeuer ist ja ein Reinigungsort, das Ziel ist ja die Erlösung, als Loslösung von den Fesseln, ein Befreiungsort, da geht was weiter. Sicher kann das schmerzhaft sein, alle die halbherzigen, unfertigen Taten, Manöver und Gedanken seines Lebens anzuschauen, aber eine Sackgasse ist es nicht. Ich stelle mir das Fegefeuer als eine nachträgliche Rekapitulation des Lebens vor. Das ganze Leben wird wiedererlebt, aber sub specie aeternitatis (Angeberei muß auch durchgearbeitet werden!), also so, wie es dein echtes, freies Bewußtsein erlebt hat, unverstellt von irgendwelchen fremden Installationen oder Verbogenheiten. Da - so stelle ich mir das vor – kann schon einiges, was man getan hat, weh tun, gleichzeitig versteht man auch warum man so und nicht anders gehandelt hat. Und so weiter. Also ich freue mich aufs Fegefeuer! … Mein Weiblein, schläfst du?“

Der Wundertäter steht wieder auf, um etwas zu notieren, denn er hat eine geniale Idee. Er notiert: neuer Wundertätertext: „der Wundertäter spricht zu seiner schlafenden Frau“.

Kichernd kriecht er wieder ins Bett zurück und kann wieder nicht aufhören zu lachen. Er amüsiert sich an seiner Idee. Noch dazu, wo seine Frau die Wundertätertexte besonders liebt.

Seine Frau dämmert so ein wenig in den Wachzustand hinein und fragt: „Was?“

Der Wundertäter lacht und sagt, „ich habe eine geniale Idee, aber ich verrate noch nichts.“ Er kann sich kaum beruhigen. „Hahahihi, übrigens, „Weiblein“ habe ich vom Castaneda. Aus der Szene, wo er dem Todestrotzer zum zweitenmal begegnet; du weißt schon, der alte Seher, der schon zehntausend Jahre lebt. Bei dieser zweiten Begegnung erscheint er ihm als Frau. Als echte Frau! Keine Travestie! Die alten Zauberer konnten das. Einfach alles auf den Energiekörper transferieren, dort irgend Energiedings umdrehen – was genau habe ich vergessen – und dann wieder retour. Als echte Frau. … diese Techniken waren schon vergessen,  … der Todestrotzer hat sie ihnen wieder gezeigt. … Im Jahre 1723 … dem Nagual Sebastian erschienen … … … der war Messner (für deutsche Leserinnen: Küster) … mehr oder weniger gezwungen … Handel … weil … klingt alles verrückt, ich weiß …    …   du weißt schon   … ich gaub' das wirklich ….“

„...“

„...“

„...“






(29.12.2016)











©Peter Alois Rumpf     Dezember 2016     peteraloisrumpf@gmail.com


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