Donnerstag, 13. April 2017

665 Ich spüre die Angst

Ich spüre die Angst, wie sie mir im Bauch sitzt und mich auffrisst. Ich zittere und mir ist beinah schlecht. Jeden Morgen diese unglaubliche Angst vorm Leben, um die Existenz. Ja, es stimmt, ich sehe mich mit dem da draußen nicht hinaus. Ich bin ein ungeheuer tapferer und mutiger Mensch, daß ich trotzdem jeden Tag aufstehe. Oder einer, der sich bis zur Selbstaufgabe unterworfen hat („tapfer gegen das eigene Empfinden“) und sich nicht wehrt.

Was könnte mich in diese Welt locken? Was mich anziehen? So, daß ich freudig den Tag beginne? Etwas, wo ich mich einbringen kann, wo ich mich entfalten kann? Eine Perspektive? Hoffnung wenigstens?


Was mir noch nicht klar ist: einerseits kommt diese Angst aus den Träumen; ich wache ja oft zitternd auf. Das hat mit den Begegnungen in den Traumwelten zu tun, die für Selbstbild und Weltbild bedrohlich sind, weil sie deren Selbstverständlichkeit und Ausschließlichkeit auflösen. Es stärkt aber auch das Bewußtsein, daß es da mehr gibt, als wir es uns vorstellen. Soweit klar. Andererseits richtet sich die Angst auch auf die Alltagswelt, mit der zurechtzukommen ich mir überhaupt nicht zutraue. Was ist also was? Die schlimmste Angst, die ich jemals erlebt habe, war in einem Traum, aber – so blöd das klingt – gerade vor der habe ich mich überhaupt nicht gefürchtet (siehe hier in der Schublade Nr. 84 „Fut frißt Hose“). Ich wollte diesen Traum nächste Nacht gleich nochmals erleben. Diese Angst habe ich als kreatürlich empfunden. Die Angst vor den Menschen und der Alltagswelt wird – denke ich – eine soziale Angst sein. Nicht kreatürlich, sondern angelernt. Das gibt ihr einen so unguten Beigeschmack von Versagen oder Ähnlichem. Bei der kreatürlichen Angst spielt das alles keine Rolle; was ist an einer Kreatur, die stirbt, schon zu kritisieren oder zu bewerten? Gar nichts.


Wenn ich mich erinnere, wie ich zum Beispiel meine Ausstellungen vorbereitete, damals, als ich noch als Künstler herumgelaufen bin, da waren diese sozialen Ängste auch da, manchmal sehr stark – ist das gut genug? Was werden die anderen Künstler und die Kritiker sagen? etc. -  aber ich bin oft voller Elan in den Tag gestartet, ich wußte, ich habe viel Arbeit, aber ich hatte Freude daran. Es gab ein starkes Gegengewicht zur Angst. Ich hatte die Möglichkeit, mich einzubringen, mein Werk zu zeigen, eine Chance auf Anerkennung – so klein die Anerkennung auch gewesen sein mag – und die Chance darauf, wahrgenommen zu werden. Und ich hatte noch viele Hoffnungen und Illusionen, was sich daraus noch alles entwickeln könnte. Und – das muß hier angeführt werden – ich habe die Angst gelegentlich mit Alkohol gedämpft. Das muß nicht immer so krass gewesen sein. Aber ein paar Schlückchen Bier zum Beispiel federten schon die Auswirkungen der sozialen Angst ab. Ich war gelassener, kommunikativer, konnte alles besser händeln.

Heute habe ich weniger Illusionen und Hoffnungen und verwende keine Angstdämpfer. Ich habe – auf sozialer Ebene und was mein öffentliches Wirken betrifft – keine „Auftrittsmöglichkeiten“ mehr. Ich sehe meine damaligen künstlerischen Arbeiten viel kritischer und – natürlich, im Alter – meine Möglichkeiten und Chancen schwinden. Mein Lebensresümee fällt in meinen Augen meist nicht gut aus. Meine Illusionen reichen kaum noch für eine kleine Euphorie.   Ja, das Schreiben! Das ist der letzte Zipfel, an den ich mich noch festhalte (und wo noch ein paar Illusionen und Hoffnungen dranhängen).







(12./13.4.2017)














 ©Peter Alois Rumpf    April 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

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