665 Ich spüre die Angst
Ich spüre die Angst, wie sie mir im Bauch sitzt und mich
auffrisst. Ich zittere und mir ist beinah schlecht. Jeden Morgen diese
unglaubliche Angst vorm Leben, um die Existenz. Ja, es stimmt, ich sehe mich
mit dem da draußen nicht hinaus. Ich bin ein ungeheuer tapferer und mutiger
Mensch, daß ich trotzdem jeden Tag aufstehe. Oder einer, der sich bis zur
Selbstaufgabe unterworfen hat („tapfer gegen das eigene Empfinden“) und sich
nicht wehrt.
Was könnte mich in diese Welt locken? Was mich anziehen? So,
daß ich freudig den Tag beginne? Etwas, wo ich mich einbringen kann, wo ich
mich entfalten kann? Eine Perspektive? Hoffnung wenigstens?
Was mir noch nicht klar ist: einerseits kommt diese Angst
aus den Träumen; ich wache ja oft zitternd auf. Das hat mit den Begegnungen in
den Traumwelten zu tun, die für Selbstbild und Weltbild bedrohlich sind, weil
sie deren Selbstverständlichkeit und Ausschließlichkeit auflösen. Es stärkt
aber auch das Bewußtsein, daß es da mehr gibt, als wir es uns vorstellen.
Soweit klar. Andererseits richtet sich die Angst auch auf die Alltagswelt, mit
der zurechtzukommen ich mir überhaupt nicht zutraue. Was ist also was? Die
schlimmste Angst, die ich jemals erlebt habe, war in einem Traum, aber – so
blöd das klingt – gerade vor der habe ich mich überhaupt nicht gefürchtet
(siehe hier in der Schublade Nr. 84 „Fut frißt Hose“). Ich wollte diesen Traum
nächste Nacht gleich nochmals erleben. Diese Angst habe ich als kreatürlich
empfunden. Die Angst vor den Menschen und der Alltagswelt wird – denke ich –
eine soziale Angst sein. Nicht kreatürlich, sondern angelernt. Das gibt ihr
einen so unguten Beigeschmack von Versagen oder Ähnlichem. Bei der
kreatürlichen Angst spielt das alles keine Rolle; was ist an einer Kreatur, die
stirbt, schon zu kritisieren oder zu bewerten? Gar nichts.
Wenn ich mich erinnere, wie ich zum Beispiel meine
Ausstellungen vorbereitete, damals, als ich noch als Künstler herumgelaufen
bin, da waren diese sozialen Ängste auch da, manchmal sehr stark – ist das gut
genug? Was werden die anderen Künstler und die Kritiker sagen? etc. - aber ich bin oft voller Elan in den Tag
gestartet, ich wußte, ich habe viel Arbeit, aber ich hatte Freude daran. Es gab
ein starkes Gegengewicht zur Angst. Ich hatte die Möglichkeit, mich
einzubringen, mein Werk zu zeigen, eine Chance auf Anerkennung – so klein die
Anerkennung auch gewesen sein mag – und die Chance darauf, wahrgenommen zu
werden. Und ich hatte noch viele Hoffnungen und Illusionen, was sich daraus
noch alles entwickeln könnte. Und – das muß hier angeführt werden – ich habe
die Angst gelegentlich mit Alkohol gedämpft. Das muß nicht immer so krass
gewesen sein. Aber ein paar Schlückchen Bier zum Beispiel federten schon die
Auswirkungen der sozialen Angst ab. Ich war gelassener, kommunikativer, konnte
alles besser händeln.
Heute habe ich weniger Illusionen und Hoffnungen und
verwende keine Angstdämpfer. Ich habe – auf sozialer Ebene und was mein
öffentliches Wirken betrifft – keine „Auftrittsmöglichkeiten“ mehr. Ich sehe
meine damaligen künstlerischen Arbeiten viel kritischer und – natürlich, im
Alter – meine Möglichkeiten und Chancen schwinden. Mein Lebensresümee fällt in
meinen Augen meist nicht gut aus. Meine Illusionen reichen kaum noch für eine
kleine Euphorie. Ja, das Schreiben! Das
ist der letzte Zipfel, an den ich mich noch festhalte (und wo noch ein paar
Illusionen und Hoffnungen dranhängen).
(12./13.4.2017)
©Peter Alois Rumpf April
2017 peteraloisrumpf@gmail.com
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