Mittwoch, 26. April 2017

678 Ich bin nicht empört!

Eine Krähe sitzt auf der schmalen Seitenwand eines flachen Anhängers eines geparkten Autos und wartet, bis die, die da im Hauseingang auf den Stufen hocken und essen, ihre Brösel und Kollateralverluste freigeben. Und das mitten im ersten Bezirk! Ich bin nicht empört. Im Gegenteil, ich hätte gerne mit der Krähe gesprochen, aber vor den andern? und außerdem in Sorge, daß ich sie damit verscheuche. Was hat sie schon von einem dahergelaufenen Idioten (ἰδιώτης, von ἴδιος / idios: abseits befindlich, eigen, persönlich, eigentümlich, seltsam,  privat, für sich allein …), der gar kein Futter für sie bei sich hat? Aber so berechnend sind Tiere gar nicht, nicht so; sie geben auch Geschenke, wie ich im Internet gesehen habe.

Ich sitze im Kaffeehaus. Ich glaube immer, dann wird die Inspiration groß sein. Ist sie aber nicht. Nicht wirklich. Macht nichts. Die junge Frau nebenan beugt sich ganz tief über ihre Notizen; ich selber nicht so tief über die meinen. Ich bleibe oberflächlich.

Ich schaue mich um. Nichts Besonderes, soweit es mein beschränkter Geist erkennen kann. Ein Blick mit Tiefenschärfe und das wäre anders: die spannendsten Lebensgeschichten, die archaischsten  Tragödien, die umwerfendsten Komödien, die unglaublichsten Schicksale, die leidenschaftlichsten Lebenskämpfe würden offen vor einem liegen. Aber wie schon gesagt: ich bin oberflächlich.

Draußen vorm Fenster zieht ein ständiger Strom von Fußgängern vorbei und erzeugt einen Sog, der mehr der Dynamik eines schnellfließenden Baches entspricht.

„Hochachtung!“ sage ich zu einem jungen Mann, der im ersten Stock ein großes Dekorationsbild malt. Er scheint sich wirklich zu freuen und strahlt über das ganze Gesicht.

Eine Nonne kauft Kuchen. Oder Torte. So weit entfernt sehe ich keine Details.

Ich bin beim Verzetteln. Im übertragenen Sinn, denn mein Notizbuch ist ordentlich gebunden. Das Kaffeehaus gehört übrigens zu Gebäudekomplex eines Stiftes. Was meinen Sie? Wird sich Schottland abspalten? Eine mehr (sie) oder weniger (er) junge Familie schreitet feierlich zur Mehlspeistheke. Die Nonne ist schon längst weg, dafür trägt er das Kind am Arm.

Der Kellner greift sich an den Kopf. Ich bringe die Zeitungen zurück.

Gut, ich muß die Leute in Ruhe lassen; auch mit meinem inspirationserheischenden Blicken.

Das Lokal wird voller. Jetzt ist auch herinnen viel Bewegung; der Bach ist übergegangen, herein geronnen und hat ein wenig das Ufer überschwemmt.

Mein linkes Ohr hat was. Wahrscheinlich von der Zugluft im Telefonstudio. Selber schuld!

Ich denke, es ist Zeit zu gehen. Ob dieser Impuls aus mir selber, aus meiner inneren Dynamik kommt, oder von außen, von der größeren Unruhe hier im Lokal, oder von einer dialektischen Aufschaukelung der beiden Komponenten – ich weiß es nicht!








(26.4.2017)

















 ©Peter Alois Rumpf    April 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

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