678 Ich bin nicht empört!
Eine Krähe sitzt auf der schmalen Seitenwand eines flachen
Anhängers eines geparkten Autos und wartet, bis die, die da im Hauseingang auf
den Stufen hocken und essen, ihre Brösel und Kollateralverluste freigeben. Und
das mitten im ersten Bezirk! Ich bin nicht empört. Im Gegenteil, ich
hätte gerne mit der Krähe gesprochen, aber vor den andern? und außerdem in
Sorge, daß ich sie damit verscheuche. Was hat sie schon von einem
dahergelaufenen Idioten (ἰδιώτης, von ἴδιος / idios: abseits befindlich, eigen,
persönlich, eigentümlich, seltsam,
privat, für sich allein …), der gar kein Futter für sie bei sich hat?
Aber so berechnend sind Tiere gar nicht, nicht so; sie geben auch
Geschenke, wie ich im Internet gesehen habe.
Ich sitze im Kaffeehaus. Ich glaube immer, dann wird die
Inspiration groß sein. Ist sie aber nicht. Nicht wirklich. Macht nichts. Die
junge Frau nebenan beugt sich ganz tief über ihre Notizen; ich selber nicht so
tief über die meinen. Ich bleibe oberflächlich.
Ich schaue mich um. Nichts Besonderes, soweit es mein
beschränkter Geist erkennen kann. Ein Blick mit Tiefenschärfe und das wäre
anders: die spannendsten Lebensgeschichten, die archaischsten Tragödien, die umwerfendsten Komödien, die
unglaublichsten Schicksale, die leidenschaftlichsten Lebenskämpfe würden offen
vor einem liegen. Aber wie schon gesagt: ich bin oberflächlich.
Draußen vorm Fenster zieht ein ständiger Strom von
Fußgängern vorbei und erzeugt einen Sog, der mehr der Dynamik eines
schnellfließenden Baches entspricht.
„Hochachtung!“ sage ich zu einem jungen Mann, der im ersten
Stock ein großes Dekorationsbild malt. Er scheint sich wirklich zu freuen und
strahlt über das ganze Gesicht.
Eine Nonne kauft Kuchen. Oder Torte. So weit entfernt sehe
ich keine Details.
Ich bin beim Verzetteln. Im übertragenen Sinn, denn mein
Notizbuch ist ordentlich gebunden. Das Kaffeehaus gehört übrigens zu
Gebäudekomplex eines Stiftes. Was meinen Sie? Wird sich Schottland abspalten?
Eine mehr (sie) oder weniger (er) junge Familie schreitet feierlich zur
Mehlspeistheke. Die Nonne ist schon längst weg, dafür trägt er das Kind am Arm.
Der Kellner greift sich an den Kopf. Ich bringe die
Zeitungen zurück.
Gut, ich muß die Leute in Ruhe lassen; auch mit meinem
inspirationserheischenden Blicken.
Das Lokal wird voller. Jetzt ist auch herinnen viel
Bewegung; der Bach ist übergegangen, herein geronnen und hat ein wenig das Ufer
überschwemmt.
Mein linkes Ohr hat was. Wahrscheinlich von der Zugluft im
Telefonstudio. Selber schuld!
Ich denke, es ist Zeit zu gehen. Ob dieser Impuls aus mir
selber, aus meiner inneren Dynamik kommt, oder von außen, von der größeren
Unruhe hier im Lokal, oder von einer dialektischen Aufschaukelung der beiden
Komponenten – ich weiß es nicht!
(26.4.2017)
©Peter Alois Rumpf April
2017 peteraloisrumpf@gmail.com
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