Ich habe Vuillards Blaues Zimmer im Sitzen betrachten
können; und aus ein paar Metern Entfernung. Da fällt mir zum ersten Mal das
weiße Licht links neben und an der Seite der Frauengestalt auf. Etwas von
anderwo her strahlt da in die Szene herein und sucht den menschlichen Körper
und verwandelt ihn an seiner rechten Seite und den Raum rechts, rechts von der
Frau aus gesehen. Eine Erscheinung kündigt sich an. Fast hätte ich gesagt:
Mariae Verkündigung. Ihr Kopf neigt sich schon hingebungsvoll zur Seite, den
Erzengel Gabriel in seinem Auftauchen nicht abwehrend; und sie beginnt schon zu
leuchten.
Mich interessiert an Kunst nur, ob und wenn Transzendenz,
besser gesagt: Nagual durchkommt. Echte Transzendenz, nicht frömmelnd
ausgedachte und egal ob dieses Durchschimmern vom Maler, der Malerin bewußt
angestrebt ist oder nicht.
Echte auch bei Werefkin, deren zwei Bilder auch fast
bersten vor lauter Anderem.
Wenn die Kunst rein irdisch ist beziehungsweise sein will –
echter Kunst gelingt das gar nicht – dann wenigstens Licht vel Erotik (auch
echte Erotik gemeint, nicht sexualfrömmelnd ausgedacht).
Den bunten Berg bei Oberstdorf (Jawlensky)(bevor es die
depperte Sprungschanze und die Bergbahnen gab – nehme ich an) nehm ich im
Vorbeigehen auch noch mit.
Jetzt wieder meine Große Erholung, mein Großes Aufatmen vor
Kokoschkas Städten. Das himmlische London – das himmlische Jerusalem bekommt
Konkurrenz – und das Sonnen-untergehende Dresden. Das Himmel-Hölle-Spiel. Beide
Bilder sind wunderschön.
Und hier der siebenblättrige Klee und der dreiblättrige
Kandinsky (der manzusche Kardinal wird ignoriert). Der Beginn eines Festes voll
gelber Vorfreude und Erwartung. Aber der Mond weint schon. Er weiß schon. Denn
auf den zweiten Blick: irgendetwas stimmt nicht! Nicht im Bild, beim Fest,
oder? Sein Zwergmärchen so rund und überhaupt nicht kindisch.
Entstehungsjahr Geburtsjahr meiner Mutter. Immer wieder mein Entsetzen, was die
braunen Banden an Entwicklung zerstört haben. Ich als Nachkomme mußte wieder
weit vor Klee anfangen zu entdecken und mich weiterzuentwickeln! Keine
Tradition, auf deren Schultern man stehen konnte.
Der Arbeiter der Motesiczky strahlt verhalten, sanft im
persönlichen Umgang und lächelnd, bescheiden: ein echter Prophet; ob nach
Ninive oder noch vorher; in Warteposition auf seine Stunde oder im Ausgedinge
nach vollbrachter Tat – das kann ich nicht sehen.
Auch ihre Straße in Hinterbrühl leuchtet und die
Transzendenz drängt sich überdeutlich von hinten, von unten, von innen an und
strahlt auch via Sonne her. Was für Bilder!
Ich raste sitzend vor Chagalls Papierdrachen, so ernst,
lustig, tiefsinnend und blau. Blau, blau, dieses Blau!
Vor Giacomettis vier Frauen auf Sockel und ihre
transzendierenden Schatten raste ich wieder. Mein Blick wandert auch hinüber zu
seiner berührend verzweifelten Landschaft (auch die gesamte Schöpfung harrt der
Erlösung, die sich im Licht ankündigen könnte) und streift manchmal Max Ernsts
gelbgrüne, verfarnte Scheibe.
(21.10.2020)
©Peter Alois Rumpf Oktober 2020
peteraloisrumpf@gmail.com
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