Samstag, 13. Januar 2024

3517 Der Gaukler

 



9:09 a.m. Die Frühlingsblumen am Wohnzimmertisch, die Tassen, Untertassen und die kleinen Schüsseln aus Glas: alles geschlichtet und präsentiert wie von einem Gaukler auf seinem Gauklertisch (Tarot!) (Es war ja ich, der das Tageskindergeschirr aus dem Geschirrspüler hier abgelegt hat). Dahinter der große dreifaltige Wohnzimmerbaum, mit Bändern aus seiner Krümmung aufgerichtet und hochgezogen. Wann beginnt die Vorstellung? Oder drückt sich der Gaukler, weil er gar keine echten Tricks auf Lager hat? Ich selbst warte auf das Frühstück, das meine liebe Frau ins Bett servieren wird. Dabei kippt mein verschlafener Kopf nach vorne fast auf die Brust. Die Augen kann ich kaum offen halten. Erst jetzt erkenne ich es: der Wohnzimmerbaum will zum Fenster hinausgreifen, ins Helle, Offene, Freund! Die Müdigkeit übermannt mich. Die Gestalten, die ich vor der inneren Dunkelheit herumgehen sehe, sind Geträumte, oder Scouts aus anderen Dimensionen des Universums, die in unseren Träumen ein und ausgehen, wie es ihnen beliebt.

Gegen 14 Uhr. Oh, was für ein Kaffeerausch! Wenn ich zum Fenster hinausblicke, sehe ich die Trümmer der zerstörten Flotowvilla – der Flotow ist mir egal, aber um das Haus ist es schade. Wäre ich reich, hätte ich es gekauft und saniert. Aber ich schaue gar nicht aus dem Fenster, denn ich habe meine Kaffeerauschvorstellung: ich rede aufgedreht und nicht einbremsbar in einem durch, ein Vortrag nach dem anderen zu allen Themen der Welt und darüber hinaus (Transzendenz), meine Frau und meine Tochter schauen schon etwas betreten und werfen mir Blicke zu, die andern schauen verlegen weg oder führen betont und forciert ihre eigenen Gespräche, ich merke schon: ich könnte den zum Zuhören genötigten Anwesenden schon recht auf die Nerven gehen, aber meine Redeeuphorie ist stärker; ich kann weder stoppen noch aufhören. Bald schnappe ich über. Das alles nur wegen zwei Tassen Kaffee und dem Rückstau an nicht ins Leben gebrachten, beruflich ordentlich gehaltenen Vorträgen (das ist so bei verhinderten Predigern). Wirklich: ich bin ziemlich tatü-tata unterwegs. Meine Frau mahnt schon zum Aufbruch und will mich offensichtlich abziehen; ich nehme an, sie will ihren Vater, ihre Tante und die anderen vor meinem Redeschwall schützen (oder unterstelle ich das bloß?). Ob die Flasche alkoholfreies Bier vorher mit ihrem Restalkohol für meinen Rausch auch eine Rolle spielt, muß ich offen lassen. Ja, ich sehe es ein, so geht das nicht. Ich muß runterkommen. Soll ich jetzt von mir aus zum Aufbruch drängen? Meine Frau strickt um ihr Leben oder zumindest um ihre Contenance, vielleicht darf ich das auch nicht stören; unterbreche ich sie, wer weiß, was ich damit wieder auslöse.

Am Rückweg nach Hause dann setze ich mich ganz hinten in den Bus, abseits und in Distanz zu den andern.


(13.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

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