Freitag, 12. Januar 2024

3516 Mehr Rationalität

 



9:12 a.m. Die Gegenstände im Zimmer sind wieder ganz stabil und halten sich an die Vorschriften der Wahrnehmungsverordnungen des Common Sense. Mein Geist ist zumindest für diesen Augenblick des Aufsetzens hellwach und von asketischer Nüchternheit. Nur fängt jetzt wieder das Gähnen an und Müdigkeit beginnt sich heranzuschleichen und aus Leib und Gliedern aufzutauchen. Eh schön und angenehm das Ganze mit seiner morgendlichen Bettlust (gemeint ist die Lust aufs Bett). Jetzt muß ich doch kurz aufstehen und in die Kälte raus. Der Weg ins Badezimmer ist ja nicht weit, das werden wir schon schaffen.

Zurück im Bett. Was jetzt? Sollen wir ins Internet schauen? Bislang habe ich das zu dieser Stunde und von diesem Ort aus vermieden. Also die näher hängenden Bilder sind schon noch scharf und fest, bei den entfernteren im nicht gänzlich ausgeleuchteten Bereich bin ich mir nimmer sicher. Mißtrauisch kontrolliere ich, ob sich dort etwas zu bewegen beginnt. Nein, doch nicht.

Doch! Doch! Ganz leicht, kaum merklich hat’s angefangen, jetzt, wo ich länger hinschau. Ich merke, ich bin noch nicht völlig ausgeschlafen. Das Rettenschoessbild wirkt brütend und melancholisch. Bitte fragt den kosmischen Einflüsterer, was das heißen soll! Gut, dieser eine, etwas absurde blaue Berg sitzt breitarschig auf der Wiese im Bild und dünstet heute eine dumme, unbeholfene Schwermut aus („strahlt“ wäre zu hell). Ich habe mit dieser Schwermut jetzt nichts zu tun! Mali Lošinj? Flacher als sonst. Mit schiefem Kopf gaffe ich weiter an der Leselampe vorbei auf das Bild und da ist nun einiges los: Wolkenhimmel, Stadt, Landschaft und Meer verändern sich; sie wechseln ständig ihre Aggregatzustände und manchmal sogar ein wenig ihre Konturen, in Rettenschoess auch die Wiesen, Hügel und Berge. Als würde am rechten Rand ein Dämon auftauchen, der das Bild und seine Landschaft in Besitz nehmen will und sich immer deutlicher ins Bild wölbt. Mali Lošinj scheint sich wieder einigermaßen beruhigt zu haben und Veli Lošinj war gar nicht aufgeregt. Und das kleine Photo der blauen Abfahrt von der Riesneralm? Das entwickelt mit Hilfe seiner vernebelten Sonne einen sanften Sog, mit dem es mich und meine Aufmerksamkeit hineinziehen will, nicht brutal, nicht rustikal gewalttätig, sondern freundlich und verlockend (die saligen Fräulein der Riesneralm werden es trotzdem nicht sein, denke ich).

Bei Veli Lošinj muß ich immer über den eigenartigen Baum links im Bild den Kopf schütteln, irgendwie so unnatürlich geometrisch, mit einem unnatürlich herabhängenden Ast; nicht einmal mit der Vorstellung, dass er abgeknickt ist, läßt sich sein Erscheinungsbild rechtfertigen oder erklären. Ah! Das Bild offeriert eine eigene neue Lösung: der Ast löst sich endgültig vom Baum und verwandelt sich in einen Teil der Landschaft im Hintergrund. Ich drehe die Leselampe hoch, um aufs Bild zu leuchten, damit ich schauen kann, ob sich das ausgeht. Das Bild ist so vage, unentschlossen, möglicherweise schlecht gemalt, dass ich das von hier aus nicht sagen kann (das Bild hat er selbst gemalt! - der innere Wärter über wahr und unwahr). In Rettenschoess bäumen sich Teile der Wiesen und Hügel auf (auch wenn sie nicht bewaldet sind), fangen zu krabbeln an und scheinen gegen den zentralen, unnatürlichen blauen Berg zu rebellieren. Mein innerer Wächter will jetzt den ins Phantastische ausufernden Schreibprozeß stoppen und fordert mehr Disziplin, Nüchternheit, Rationalität und Strenge ein (er will mich zur Räson bringen!). „Na gut!“ seufze ich „dann lassen wir das!“


(12.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite