Mittwoch, 3. Januar 2024

3503 Die Lacke vor mir

 



Die Lacke vor mir hält viele der welken, baumabgeworfenen Blätter gefangen. Ich vermute, dass sie darin festgefroren waren und jetzt vollgesogen mit Wasser nicht mehr entkommen. Der Wind bläst heftig und treibt die freien Blätter vor sich her. Dabei wechselt er mehrmals seine Richtung. Die Sonne steht tief, direkt vor mir und blendet mich (204° SW). Die Windböen reißen nicht nur an den Blättern, sondern auch an den Seiten meines Notizbuches. Die Lacke glitzert unverschämt in der Sonne. Die Passanten – ich kann sie gegen die Sonne nicht anschauen und halte sowieso meinen Kopf gesenkt – schweben wie Schattenwesen oder Traumgestalten oder dreidimensionale Projektionen von Was-weiß-ich-woher vorbei. Ich vermute, ich könnte durch sie hindurchgreifen. Der Wind wird stürmisch und heult. Die herumgejagten Blätter rascheln. Die Kinder rufen (die könnten real sein!). Die Projektionen sind so perfekt, so gewieft, dass sie sogar die Geräusche von Schritten nachahmen können. Ein neuerlicher Windstoß. Ich betrachte die tiefen, blauen Schatten der Steinchen des Schotterweges. Die Welt ist so fremd, das Vertraute nur ein Schmäh. Wir werden für dumm verkauft. Die Schatten der Steinchen sind größer als die selbst und jeder birgt Welten über Welten. Ein Blatt purzelt vor meine Füße und rastet für ein paar Sekunden, sein Schatten zittert vor Aufregung, dann hüpft das Blatt wieder weiter (hat es mich um Hilfe gebeten und ich habe es nicht verstanden? Ich hätte auch nicht gewußt, wie ich ihm helfen könnte). Es ist unglaublich viel Spannung in der Schöpfung; nichts passt wirklich. Man könnte Angst bekommen. Ich schalte auf Gleichgültigkeit. Eine Krähe kommt angeflogen, stellt sich vor mich hin und schaut mich herausfordernd an. Die nächste Botin der anderen Welt? Es geht nicht immer um Nahrung (obwohl sie es bei den Leuten auf der Nachbarbank mit Betteln probiert). Die Krähe ist immer bereit zur Flucht. Ein Hund stapft brav an der Leine durch die Lacke vor mir. Deren Glitzern wird immer psychodelischer (das liegt in den Erscheinungen. Nicht bei mir. Ich bin nüchtern). Unter meiner Haube, an der Stirn, staut sich jetzt Wärme. Also doch mein drittes Auge, das aufzuwachen beginnt? Der ständige Wind bläst mir dauernd meine Haare ins Gesicht. Ich werde nun herumgehen.

Ein Stück folge ich meinem Schatten, der vor mir hergeht, dann drehe ich mich nach links in die große, breite Allee und mein Schatten begleitet mich rechter Hand. Der Wind heult durch die Bäume, reißt an meinem romantisch langen Schal, an meiner Mütze und die Bäume recken ihre gestutzten Äste verzweifelt und um Hilfe rufend in das Blau und die große, weiße Wolke dort oben schaut aus wie ein mehr oder weniger gut getarntes Raumschiff irgendwelcher Aliens (kommen die schon den Bäumen zu Hilfe?). Der übertrieben eingemummelte männliche Radfahrer, der grinsend vorbei fährt und mich eindringlich anschaut, ist mir auch nicht ganz unverdächtig (schon ein Scout der Aliens?). Kinder schreien hysterisch – die Buben ahmen wilde Kerle nach – aber die armseligen irdischen Angeber; von den anderen, den wirklichen, scheinen sie nichts zu ahnen.


(3.1.2024)


©Peter Alois Rumpf Jänner 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

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