Freitag, 22. Dezember 2023

3494 Der Christbaum ist gekommen

 



Es ist winterlich düsterer Nachmittag, ich habe eine Zeitung durchgeblättert und warte auf die Christbaumlieferung, die – möglicherweise – heute um vier Uhr stattfinden könnte. So genau weiß man das nicht. Die Zeitungslektüre hat mir nicht gut getan, ein übler Nachgeschmack von Leere und Überdruß bleibt zurück (ich mußte im veralteten Österreichischen Wörterbuch nachschauen, ob man „Überdruß“ mit scharfem S schreibt; anscheinend setzt sich bei mir langsam die neue Rechtschreibung durch – aber noch wehre ich mich außer beim „dass“). Ich bemühe mich so eine Art inneres Gleichgewicht aufrecht zu erhalten, nichts leichtfertig aufzuwühlen, mein labiles System nicht sinnlos ins Wanken zu bringen, nirgends gedankenlos anzuecken und meine ängstliche Seele nicht allzusehr zu verstören. Ich starre in die leidlich weiße Wand und registriere die an der Stelle, an der mein Blick auftrifft, erscheinenden optisch fragwürdigen Gestalten und Formen. Die Bewußtmachung vertreibt sie wieder. Ich wiederhole das Narrenkastlspiel. Es funktioniert nicht mehr richtig (es merkt die Absicht und ist verstimmt). Ideenlos zupfe ich an der papierenen Etikette auf dem Pilotstift herum, die schon jahrelang dranklebt, bis ich sie endlich vorsichtig und ohne sie zu zerreißen ablöse. Übrigens: „ich“, das ist der, der händisch ins Notizbuch schreibt; „der Eintipper“ ist der, der den handgeschriebenen Text in das Laptop tippt (da muß er sich wieder mit seinen unnötigen Ansagen wichtig machen; noch dazu im falschen Text; das hätte wenn schon dann eher in den vorigen gehört! - der Eintipper). (Halt! Geschwindelt! Das hat der „ich“ von vornherein selber händisch ins Buch notiert! Das giltet nicht! - der Eintipper!)

Ah! Der Christbaum ist gekommen. Ganz pünktlich um vier Uhr. Ich befreie ihn von seinem Netz. Der Geruch ist schon mal nicht schlecht. Und wie er die Äste ausbreitet: prächtig.

Auf der einen Seite bleiben die Zweige von der Netzgefangenschaft noch nach oben gebogen und es ist unglaublich, wie groß meine Hemmung ist, in diesen natürlichen Vorgang (das Ausbreiten der befreiten Äste des Baumes) einzugreifen. Ich müßte mir sicher sein, dass der Baum meine Hilfe will. Es fällt mir auch schwer, den Baum im Wissen, dass er ein Lebewesen mit Bewußtsein ist und jetzt stirbt, arglos anzuschauen. Aber das werde ich schon noch zur Seite schieben; nur in stillen Momenten kommt es mich an (und solche wird es in den nächsten Tagen wenige geben).

Ach ja! Zehn Minuten später habe ich doch an dem Baum herumgezupft und herumgegriffen, ohne Hemmungen und meine vorgegebene Sensibilität war schon perdu.


(22.12.2023)


Peter Alois Rumpf Dezember 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

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