Freitag, 22. Dezember 2023

3493 Gesundheitskassenzahnambulatorium

 



8:29 a.m. Ich bin seit 6:12 auf. Der leidige Zahnarzttermin. Vorher fünfzig Drohmails, dass ich den Termin um 8h ja nicht vergesse und ja hinkomme. Als ich hinkomme stellt sich heraus, dass er ausfällt. Warum werde ich nicht vorher informiert? (Also: „Drohmails“ ist genauso übertrieben wie 50. Eine Erinnnerungsmail. Und nachträglich hat sich herausgestellt, dass die einen Fehler in seiner Telephonnummer hatten, deshalb hatte der Absageanruf nicht geklappt. Wer schuld an dem Fehler ist, kann ich nicht sagen – der Eintipper) Das war also der Acht-Uhr-Parodontose-Beratungstermin. Um 10:30 habe ich noch einen normalen Behandlungstermin bei der Zahnärztin im selben Haus (ÖGK-Zahnambulatorium). Die Dame am Schalter meinte es gut mit mir und schickt mich gleich zur Zahnärztin, damit ich nicht umsonst so früh gekommen bin. Ich von mir aus – brav, demütig, fügsam und handsam wie ich bin - wäre einfach gegangen und knapp vor 10:30 wiedergekommen. Ich freue mich aber über das freundliche Entgegenkommen und über die sinnvolle, kundenfreundliche und unbürokratische Vorreihung - nicht ohne die Dame vorher noch sicherheitshalber darauf aufmerksam gemacht zu haben, dass der Termin erst um 10:30 ist - und steige die Stiegen in den ersten Stock hinauf. Dort werde ich aber angepflaumt, warum ich zweieinhalb Stunden zu früh komme. Jetzt zucke ich aus (und das verheißt nie was Gutes – der Eintipper), denn ich habe eine Vorreihung doch überhaupt nicht eingefordert, sondern bin nur brav der Anweisung der Dame unten gefolgt. Aber das ist mir jetzt zu viel! Ich komme mir vor wie ein Ochs, den die einen mit „hä! hä! Hä!“ in die eine Richtung, die andern mit „du Trottel! Marschier gefälligst in die andere Richtung!“ wieder zurück treiben. Das ist der Unverschämtheit zu viel. Ich schreie herum, nenne das hier einen Sauhaufen, wo die eine Hand nicht weiß, was die andere tut, und sage noch anderes, das ich schon wieder vergessen habe. Kurz: ich rege mich furchtbar auf. (Wie immer ist das sinnlos und im Nachhinein stellt sich heraus, dass er sich zum Deppen gemacht hat – der Eintipper.)

Ich sitze jetzt im Versuch, mir irgendwas Gutes zu tun, im überteuerten Innenstadtkaffehaus und will so die Wartezeit bis zum Termin um 10:30 absitzen. Ich kann mich kaum beruhigen. Ich hasse die Welt. Ich kann mich selbst in ihr nicht mehr aushalten. Die Zeitungslektüre hat nichts geholfen. Ich bin auch hier schon nervös und angespannt, weil ich befürchte, schon zu lange bei meinem einen Cappuccino zu sitzen – schließlich wollen die hier auch ein Geschäft machen. Mit mir ist aber kein richtiges Geschäft zu machen. Ich schaue nun zum Fenster auf die Straße hinaus (auch das noch! Als schlechter Kunde auf einem begehrten Fensterplatz sitzen!) und beobachte flüchtig, schlampig, unkonzentriert und undeutlich die Innenstadtpassanten, alle die, die es anscheinend oder scheinbar geschafft haben. Ich habe es nicht geschafft. Naja, ich werde dem Schuldgefühl nachgeben und den Ort wechseln; ein wenig bleibe ich noch, trinke noch aus, dann werde ich die Wartezeit auf den Straßen der Stadt abgehen, wie es Leute wie mir zusteht: raus aus dieser Komfortzone, in die du dich geschwindelt hast, als Dalit ist dein Platz im Öffentlichen draußen vor der Tür. Ich versuche mein Selbstmitleid – hinter dem immer Selbstüberschätzung steckt – in den Griff zu bekommen – es gelingt nicht.

Gut, ich seh schon: ein Passant hat gerade geschluckt. Keine Speise, keinen Trank, sondern die Angst vielleicht oder Unsicherheit. Ein anderer wollte gerade etwas zu sich selber sagen – eine Aufforderung, einen Befehl sich zusammenzureißen zum Beispiel – aber als er mich hinter der Fensterscheibe sieht, wie ich hinausschaue, versucht er sofort seine Mundbewegung zu stoppen. Einer schaut mit gesenktem Kopf zu Boden, so, als könnte er nicht mehr anders. Einer fletscht seine Zähne, als würde er sich auf einen Kampf vorbereiten wollen, in den er jetzt hineingehen muß und der ihn überfordert. Na und?! Weil die andern auch leiden, leidest du weniger? Das hilft mir auch nichts!

Eine Frau (die Frauen sind mir meistens zu schnell um sie zu erfassen) trinkt im Gehen aus einem Coffee-to-go-Becher, auch sie schreitet tapfer in bewußter Vermeidung der andrängenden, angstgesteuerten Hektik in eine für sie unhaltbare Situation in der Arbeit zum Beispiel und will sich so dafür noch rüsten. Manche Passanten schauen drein, als würden sie gleich losheulen. Die sich in ihren Autos verstecken und abschotten sehe ich natürlich nicht. Die würde ich gerne aus ihren Sicherheitscontainern herausholen und verprügeln. Schließlich finanzieren wir Steuerzahler ihren Psychopanzer mit und bezahlen die Folgen ihres destruktiven Verhaltens. Eine Frau schaut im Vorbeigehen beim Fenster herein, sieht mich und ihre Augen verraten: sie hat Angst. Ein junger Mann träumt sich im Gehen in eine andere Wirklichkeit - ich sehe es an seinem zu Boden gerichteten Lächeln. Ich muß hier raus! Regnet es jetzt?

Jetzt sitze ich im Freien Am Gestade, fast umzingelt von Christbäumen. Die frühneuzeitlichen Häuser vor mir: warum wohne ich nicht darin? Würde mir zustehen. (Ja wer weiß, wie es sich darin wohnt.) Die dünnen weißen Wolken jagen über den Himmel, sogar mehrschichtig, die niederen schneller als die höheren, aber mein Verbitterung kriege ich trotzdem nicht los. Der Wind zupft und zerrt an den Bäumchen und an ihren papierenen Markierungsstreifen. Oh mein Grant! - will nicht und nicht aufgeben! Eine Krähe schreit zornig. Die Müdigkeit nach einer schlecht verschlafenen Nacht kommt jetzt. Vielleicht läßt die meinen Grant versiegen. Dreiviertel Zehn schlägt die Uhr von Maria am Gestade. Beim polnischen Institut geht ein Fenster auf. Ich pisse auf den Katholizismus! Auf Evangelische und Konsorten sowieso. Ahja! Am Hintern wird mir auf der Sitzbank kalt und ich werde bald aufs Klo müssen. Also doch klein beigeben und demütig mit gesenktem Haupt und eingezogenen Schwanz zum kranken Gesundheitskassenzahnambulatorium schleichen.

Nun sitze ich im ÖKG-Zahnambulatorium und betrachte am Bildschirm die verkündeten Coronaregeln und die Wetterprognose für den 20.10.2020 (sic!). Ja, das haben die nicht geschafft, den Scheiß auf den neuesten Stand zu bringen oder wenigstens – das wäre noch besser – diese Belästigung abzuschalten. Zimmer 113; Uranus-Neptun: die versunkene Wahrheit. Heute bilde ich mir ein, dass ich das bin: eine versunkene Wahrheit. Mein Grant läuft natürlich ins Leere, bewirkt nichts, bringt nichts, kann nichts, vielleicht geht ihm bald die Luft aus. Ich lese am verhassten ÖKG-Infobildschirm, dass demnächst die elektronische Gesundheitsakte ELGA eingeführt werden soll und sehe das Grinsen in Zeitlupe einer Frau Doktor Soundso, die etwas ganz Wichtiges zu sagen hat. Die Wetterprognose bezieht sich jetzt auf den 25.10.2020 (sic!) (Essling: 12 Grad). Und dann wieder ganz banale, grausliche, demütigende Werbung - und man kann so einen Bildschirm im Gesichtsfeld kaum ignorieren. Ich halte meinen Kopf weggedreht, aber an den Rändern meines Gesichtsfeldes zuckt und zappelt es ständig und irgendwann verliere ich die wache Aufmerksamkeit und meine Beherrschung und schaue unwillkürlich und ungewollt hin. Ich ertrage die Welt nicht mehr und mich nicht darin. Diese östlich-südlich-orientalische Frau, die so taff und selbstbewußt ausschaut, und dann mit übertrieben hohen Stimmchen den Mann daneben anzirzt! Verdammt! Ich wer’s nicht los! Ich werd’s nicht los! (diesen letzten, verdoppelten Satz habe ich von Chlodwig Poth gestohlen). (Und andere wartende Kunden als die zwei sind jetzt nicht da.) In Graz wird es am 15.10.2020 (sic!) 9 Grad haben.

Natürlich hat das Ganze damit geendet, dass ich mich für meinen Auszucker oben und unten (zu ebener Erde und im ersten Stock) entschuldigt habe. Brav, handlich und in verlogener, verquälter Bescheidenheit habe ich gesagt, dass es mir leid tut. Ich komme mir jetzt ganz deppert und wie ein Volltrottel vor (das war bei seinen Auszuckern schon immer so; aber er merkt sich’s nicht! - der Eintipper). Mit solchen Aktionen gewinnt man keine Millimeter Terrain – im Gegenteil, man verliert.


(22.12.2023)


Peter Alois Rumpf Dezember 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

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