Donnerstag, 28. Dezember 2023

3497 Ich trinke den Tee aus

 



Auf der Couch im Hotel-Salon (Lobby käme mir zu abwertend vor), neben dem wunderbaren Gemälde von Max Weiler. Vorm Fenster bereitet sich der Nachthimmel auf seinen Einsatz vor und läßt noch die dunklen, kahlen Äste der Muruferbäume ins grauglänzende Nichts greifen. Die Silhouetten der Häuser sind scharf wie Scherenschnitte, die Gebäude selbst nur mehr flache Dunkelheit. Ein Vogel fliegt schnell, ich nehme an in seinen Schlafbaum. Sanfter Bar-Jazz und beinah zur Unkenntlichkeit abstrahierter Verkehrslärm vermischt mit hausinternem Gerätegejammer. Ich drehe mich zum wunderschönen Weilerbild (1990) – so wunderbare Farbballungen, dunkel, intensiv, dicht im linken Randbereich; locker, hell und erfrischend im zentralen Bereich, dass einem das Herz aufgeht (mir zumindest).

In der zunehmenden Dunkelheit draußen spiegelt sich das innere Licht – will sagen: die leuchtenden Stehlampen des Salons in den Fensterscheiben. Und jetzt zum Tee.

Mehr möchte ich über das herrliche Weilerbild nicht schreiben, aus Angst alles zu verderben. Draußen gehen Leute, manche schauen herein, während ich hinausschaue. Vorm großen Spiegel eine mehrfach blühende Blume in großem, hellgrün glasiertem Blumentopf. Das Saxophon beklagt sich unaufdringlich und dezent – der moderne Mensch in der ausgeleerten, modernen Welt (immer noch besser als die beliebig vollgestopfte Postmoderne). (Aber so streng bin ich auch wieder nicht. Man muß nehmen, was da ist.) Die Straßenbahn jault eindringlich vorbei, bevor sie abbremst. 3 Andritz. Jetzt klimpert das Klavier höflich verhalten und zurückgenommen. Nun wieder das Saxophon, vom gezupften Bass bestätigt. Blau blinkendes Tatü rast vorbei. Es ist ganz finster geworden. 3 Andritz. Zu meiner Kastner&Öhlergeschichte vor 46 Jahren fällt mir der Begriff „Überschlagshandlung“ ein. „30 Jahre VinziDorf“ fährt Richtung Puntigam vorbei. Vorgebeugt sehe ich den angestrahlten Turm der Mariahilferkirche. Manche Passanten schauen beim Fenster herein, während ich von der Rückwand des Salons aus hinausschaue. Fast alle Männer tragen Hauben. Den Pianisten auf dem Tonträger, der in seiner zurückhaltenden Bescheidenheit beinah vergißt weiterzuspielen, treibt der Bassist mit seinen sanften, aber bestimmten Gezupfe wie in zarten Schlägen weiter. Ich trinke den Tee aus.


(28.12.2023)


©Peter Alois Rumpf Dezember 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

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