Dienstag, 8. November 2022

2965 Bevor ich mich auflöse

 

9:49 a.m. Es klingt, als würde nebenan gebohrt werden. Nachdem es dieses Geräusch aber schon seit Jahren immer wieder mal gibt, wird es etwas anderes sein. Ein Hustenanfall ändert die Richtung meiner Aufmerksamkeit, deren Richtung ich selbst gerade dabei war zu ändern. Es ist so grau; sogar mein Zimmerfenster ist beschlagen. Meine Leselampe vergelblicht die Szenerie nicht ganz vergeblich im tiefer gelegenen Bereich und wärmt ihn optisch etwas auf. Ein Hustenanfall nach dem andern und dazwischen brüchiger Stillstand. Während ich meine inneren und äußeren Zustände wahrzunehmen und zu ergründen versuche, schleicht mein Geist – oder wer oder was das ist – davon und denkt sich erotische Abenteuer aus. Ein Zeitlupenhustenanfall unterbricht das, bevor er es allzusehr ausschmücken kann. „Hinfällig!“ Dieses Wort taucht aus dem nichts auf wie das „Mene mene tekel upharsin“ an der Palastwand beim Dingsbums, als eine wichtige Eingebung oder gar Offenbarung. Mein Geist – oder wer oder was das ist – will diesen Einfall gründlich aufbauschen, aber ich – oder wer oder was das ist – will es ihm nicht abnehmen. Ich bin gerade prosaisch, rationalistisch und positivistisch unterwegs. Mein Zimmer nehme ich nur als Gesamtkunstwerk wahr; keine Karte, kein Bild an der Wand, kein Buch, kein anderes Detail fängt meine Aufmerksamkeit ein und bindet sie an sich. Dafür spüre ich jetzt diese Bohr- oder Presslufthammergeräusche, die ich da oben erwähnt habe, in meinem Kopf vibrieren; hinter den Augen und zwischen den Ohren setzt es sich fest und massiert die Schädeldecke von innen.

Bevor ich mich ganz auflöse, stehe ich doch auf.

 

(8.11.2022)

 

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

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