2965 Bevor ich mich auflöse
9:49 a.m. Es klingt, als würde nebenan gebohrt werden.
Nachdem es dieses Geräusch aber schon seit Jahren immer wieder mal gibt, wird
es etwas anderes sein. Ein Hustenanfall ändert die Richtung meiner
Aufmerksamkeit, deren Richtung ich selbst gerade dabei war zu ändern. Es ist so
grau; sogar mein Zimmerfenster ist beschlagen. Meine Leselampe vergelblicht die
Szenerie nicht ganz vergeblich im tiefer gelegenen Bereich und wärmt ihn
optisch etwas auf. Ein Hustenanfall nach dem andern und dazwischen brüchiger
Stillstand. Während ich meine inneren und äußeren Zustände wahrzunehmen und zu
ergründen versuche, schleicht mein Geist – oder wer oder was das ist – davon
und denkt sich erotische Abenteuer aus. Ein Zeitlupenhustenanfall unterbricht
das, bevor er es allzusehr ausschmücken kann. „Hinfällig!“ Dieses Wort taucht
aus dem nichts auf wie das „Mene mene tekel upharsin“ an der Palastwand beim
Dingsbums, als eine wichtige Eingebung oder gar Offenbarung. Mein Geist – oder
wer oder was das ist – will diesen Einfall gründlich aufbauschen, aber ich –
oder wer oder was das ist – will es ihm nicht abnehmen. Ich bin gerade
prosaisch, rationalistisch und positivistisch unterwegs. Mein Zimmer nehme ich
nur als Gesamtkunstwerk wahr; keine Karte, kein Bild an der Wand, kein Buch,
kein anderes Detail fängt meine Aufmerksamkeit ein und bindet sie an sich.
Dafür spüre ich jetzt diese Bohr- oder Presslufthammergeräusche, die ich da
oben erwähnt habe, in meinem Kopf vibrieren; hinter den Augen und zwischen den
Ohren setzt es sich fest und massiert die Schädeldecke von innen.
Bevor ich mich ganz auflöse, stehe ich doch auf.
(8.11.2022)
©Peter
Alois Rumpf November 2022 peteraloisrumpf@gmail.com
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