2961 Blaue Bänder
8:44 a.m. Trübes,
schmutziges Tageslicht steckt wie ein verirrter, müder, faulender Energiepfropfen
bei mir im Zimmer. Da muß einiges schwarzes Licht beigemengt sein. Ich sehe
nicht, was ich schreibe. Ein paar schwächliche Hustentränen gleiten stockend
die Wangen hinunter. Es ist nicht unangenehm im Bett, aber richtig gemütlich
ist es nicht, obwohl es es sein sollte. Als würde dieses schmutzige Licht etwas
Befremdendes mitbringen. Die stockende Melodie der Regentropfen kann es nicht
sein. Ich bin kurz eingeschlafen und lockere nach dem Aufwachen meine
verkrampft gehaltene linke Hand. Gewaltphantasien rutschen in mein inneres
Gesichtsfeld. Im Nacken und hinter meinem linken Ohr ist etwas nicht gut. Ich drehe
und wiege den Kopf. Ich stelle eine
profane, alltagsaffine, etwas unheimliche Feierlichkeit im Zimmer fest. Wer
oder was gefeiert wird erschließt sich mir nicht. Meine vier Fingerspitzen
meiner linken Hand berühren elegisch, zart poetisch und gebremst melancholisch
die papierenen Seiten des aufgeschlagenen Notizbuches. Das Licht im Zimmer
scheint ein wenig klarer geworden zu sein. Wieder drehe, wackle und bewege ich meinen
Kopf, aber es hilft nichts: er sitzt nicht gut auf seinem Hals, dort stockt es
und Kopf und Leib scheinen ein wenig getrennt; besser: nicht alle Kabeln sind
angeschlossen. Was ist das eigentlich für ein Dienst, den ich hier mache?
Welche Stellung halte ich? Und für oder gegen wen? Irgendwer oder irgendwas arbeitet
an oder mit der elektrischen Ladung meiner Aura. Ich wehre mich nicht und
schlafe ein. Plötzlich werde ich durch ungewohntes, auffälliges Lachen junger
Erwachsener im Stiegenhaus aufgeweckt; wurde mir Strom abgezapft? Lebensstrom
vielleicht? Genau in diesem Moment geht das Getröpfel da draußen in richtigen
Regen über, als hätte sich eine Blockade aufgelöst. Habe ich das Wetter, die
Zeit und das Universum am Weiterentwickeln gehindert und den Fortschritt
aufgehalten? Ich schlafe wieder ein und plötzlich tauchen aus dem Nichts vor
meinem inneren Auge ein ganzes Ensemble blauer Bänder auf – wie einfach so über
die Wirklichkeit geworfen und von einem so schönen, ganz intensiven, starken
Blau wie bei Yves Klein – wie zerschnittene Girlanden liegen sie da. Ein kurzer,
herrlicher Anblick. Ich wache auf, drehe
das Leselicht auf und beschließe – nachdem ich mich genüßlich geräkelt habe – nun
mein Tagewerk zu beginnen. 10:15 a.m.
(4.11.2022)
©Peter Alois Rumpf November
2022 peteraloisrumpf@gmail.com
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