Freitag, 4. November 2022

2961 Blaue Bänder

 

8:44 a.m.  Trübes, schmutziges Tageslicht steckt wie ein verirrter, müder, faulender Energiepfropfen bei mir im Zimmer. Da muß einiges schwarzes Licht beigemengt sein. Ich sehe nicht, was ich schreibe. Ein paar schwächliche Hustentränen gleiten stockend die Wangen hinunter. Es ist nicht unangenehm im Bett, aber richtig gemütlich ist es nicht, obwohl es es sein sollte. Als würde dieses schmutzige Licht etwas Befremdendes mitbringen. Die stockende Melodie der Regentropfen kann es nicht sein. Ich bin kurz eingeschlafen und lockere nach dem Aufwachen meine verkrampft gehaltene linke Hand. Gewaltphantasien rutschen in mein inneres Gesichtsfeld. Im Nacken und hinter meinem linken Ohr ist etwas nicht gut. Ich drehe und wiege den Kopf. Ich stelle eine profane, alltagsaffine, etwas unheimliche Feierlichkeit im Zimmer fest. Wer oder was gefeiert wird erschließt sich mir nicht. Meine vier Fingerspitzen meiner linken Hand berühren elegisch, zart poetisch und gebremst melancholisch die papierenen Seiten des aufgeschlagenen Notizbuches. Das Licht im Zimmer scheint ein wenig klarer geworden zu sein. Wieder drehe, wackle und bewege ich meinen Kopf, aber es hilft nichts: er sitzt nicht gut auf seinem Hals, dort stockt es und Kopf und Leib scheinen ein wenig getrennt; besser: nicht alle Kabeln sind angeschlossen. Was ist das eigentlich für ein Dienst, den ich hier mache? Welche Stellung halte ich? Und für oder gegen wen? Irgendwer oder irgendwas arbeitet an oder mit der elektrischen Ladung meiner Aura. Ich wehre mich nicht und schlafe ein. Plötzlich werde ich durch ungewohntes, auffälliges Lachen junger Erwachsener im Stiegenhaus aufgeweckt; wurde mir Strom abgezapft? Lebensstrom vielleicht? Genau in diesem Moment geht das Getröpfel da draußen in richtigen Regen über, als hätte sich eine Blockade aufgelöst. Habe ich das Wetter, die Zeit und das Universum am Weiterentwickeln gehindert und den Fortschritt aufgehalten? Ich schlafe wieder ein und plötzlich tauchen aus dem Nichts vor meinem inneren Auge ein ganzes Ensemble blauer Bänder auf – wie einfach so über die Wirklichkeit geworfen und von einem so schönen, ganz intensiven, starken Blau wie bei Yves Klein – wie zerschnittene Girlanden liegen sie da. Ein kurzer, herrlicher Anblick. Ich wache auf, drehe das Leselicht auf und beschließe – nachdem ich mich genüßlich geräkelt habe – nun mein Tagewerk zu beginnen. 10:15 a.m.

(4.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

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