Freitag, 25. November 2022

2986 Ich warte auf den Gong

 

Ich warte auf den Gong. Erwartungsvoll suche ich die Kunstkarten auf meiner Wand auf und schaue sie nicht wirklich an. Ich lege mir Musik auf. Die Virgin Prunes finde ich passend: If I die, I Die. Was ist mit meinen Augen los? Die frankophone Schweizerin ist wirklich nur mehr schemenhaft. Sie wirkt wieder recht üppig (was sie in Wirklichkeit so nicht ist). Ein bißchen singe ich mit. „Take a dream and fly away“. Der leidige Husten gibt im Moment Ruh. Die Musik ist mein direkter Anschluß an die Welt, an welche Welt auch immer. Auf dem einen Bildchen da drüben verselbständigen sich schon die festen Weiberbeine der so schön gemalten Frau und werden eigene Wesen mit eigenem Bewußtsein und eigenen Entscheidungen (Ent-Scheid-ungen). Der Unterleib der Frau hat die Beine auch abgestoßen. In meinem Inneren wacht ein Zittern auf; breitet es sich aus? Das ist noch nicht klar.

Ich wechsle den Pilotstift wegen der Farbe (von Altrosa auf Mittelblau). Die Strahlen der Deckenlampe versuchen nach mir auszugreifen. Sie kommen höchstens bis zu meinen angezogenen Knien. Ich lache in mich hinein: „Hey Mary!“ Mein Zittern hat meine Kinnlade erreicht. Kraftvoll singe ich mit. Dann erhebe ich mich wieder und gehe herum. Beim Mitsummen erreicht irgendeine Resonanz mein Gehirn oder umgekehrt, das ist mir leicht unangenehm. Ich lächle über meine Versuche – gerade habe ich draußen im Vorzimmer auf dem Campingklapptisch meine gestapelten Zeichenversuche der letzten Monate liegen gesehen. In meinem prädementen Gedächtnis verlieren sich alle Namen wie verschluckter Schall und dahinsiechender Rauch. Ich habe übrigens inzwischen eine andere Begleitmusik: DreamCanteen. Tränen treten mir in die Augen – ich denke an meine Töchter. Nur kurz, dann rückt gleich wieder etwas ganz anderes heran (momentan sind es die unglaublichen Bassläufe von Maestro Flea). Ich heule beim Reach Out wackelig mit. Und wieder die ungeweinten Tränen. Ich schaue gar nicht mehr auf die Kunstkartenbrüste, sondern in eine leicht gemalte Landschaft. So eine Art kosmischer Schlaf scheint sich auf mich herabsenken zu wollen. Aber die Musik hält mich auf Lebensspur. 1980, 1983: in diesem Zeitraum ist auch in meinem Leben viel passiert. Das Heulen bleibt sehr moderat; wiewohl sich diese Zeit ein paar aufrichtige, ehrliche Tränen verdient hätte.

 

(24.11.2022)

©Peter Alois Rumpf  November 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

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