2986 Ich warte auf den Gong
Ich warte auf den Gong. Erwartungsvoll suche ich die
Kunstkarten auf meiner Wand auf und schaue sie nicht wirklich an. Ich lege mir
Musik auf. Die Virgin Prunes finde ich
passend: If I die, I Die. Was ist mit meinen Augen los? Die frankophone
Schweizerin ist wirklich nur mehr schemenhaft. Sie wirkt wieder recht üppig
(was sie in Wirklichkeit so nicht ist). Ein bißchen singe ich mit. „Take a dream and fly away“. Der
leidige Husten gibt im Moment Ruh. Die Musik ist mein direkter Anschluß an die
Welt, an welche Welt auch immer. Auf dem einen Bildchen da drüben
verselbständigen sich schon die festen Weiberbeine der so schön gemalten Frau
und werden eigene Wesen mit eigenem Bewußtsein und eigenen Entscheidungen
(Ent-Scheid-ungen). Der Unterleib der Frau hat die Beine auch abgestoßen. In
meinem Inneren wacht ein Zittern auf; breitet es sich aus? Das ist noch nicht
klar.
Ich wechsle den Pilotstift wegen der Farbe (von Altrosa auf
Mittelblau). Die Strahlen der Deckenlampe versuchen nach mir auszugreifen. Sie
kommen höchstens bis zu meinen angezogenen Knien. Ich lache in mich hinein:
„Hey Mary!“ Mein Zittern hat meine Kinnlade erreicht. Kraftvoll singe ich mit.
Dann erhebe ich mich wieder und gehe herum. Beim Mitsummen erreicht irgendeine
Resonanz mein Gehirn oder umgekehrt, das ist mir leicht unangenehm. Ich lächle
über meine Versuche – gerade habe ich draußen im Vorzimmer auf dem
Campingklapptisch meine gestapelten Zeichenversuche der letzten Monate liegen
gesehen. In meinem prädementen Gedächtnis verlieren sich alle Namen wie
verschluckter Schall und dahinsiechender Rauch. Ich habe übrigens inzwischen
eine andere Begleitmusik: DreamCanteen. Tränen treten mir in die Augen – ich
denke an meine Töchter. Nur kurz, dann rückt gleich wieder etwas ganz anderes
heran (momentan sind es die unglaublichen Bassläufe von Maestro Flea). Ich
heule beim Reach Out wackelig mit. Und wieder die ungeweinten Tränen. Ich
schaue gar nicht mehr auf die Kunstkartenbrüste, sondern in eine leicht gemalte
Landschaft. So eine Art kosmischer Schlaf scheint sich auf mich herabsenken zu
wollen. Aber die Musik hält mich auf Lebensspur. 1980, 1983: in diesem Zeitraum
ist auch in meinem Leben viel passiert. Das Heulen bleibt sehr moderat; wiewohl
sich diese Zeit ein paar aufrichtige, ehrliche Tränen verdient hätte.
(24.11.2022)
©Peter Alois
Rumpf November 2022 peteraloisrumpf@gmail.com
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