Dienstag, 26. September 2023

3405 Weniger menschenleer

 



Im Augarten sitze ich auf einer Bank. In zweiter Reihe sozusagen, im Baumschatten und schaue auf den großen, weiten Platz mit den vielen Blumenbeeten. Ein Steinchen im Schuh habe ich schon entfernt; manche Männer auf den sonnigen Bänken der ersten Reihe auf der anderen Seite der Allee haben sich bis auf die Unterhose ausgezogen, während Frauen bestenfalls ihre Röcke und Kleider schürzen. Die mannshohen Gräser wiegen sich im leichten Wind, ganz zart, ihre Ähren schaukeln in langen Reihen rund um den Platz hin und her. Die Kinder am nahen Spielplatz schreien. Die Luft ist trocken, so auch der Anblick, nur die Wiesen und Wege sind zum Teil vom Gießen nass. Schulklassen wandern – fast alle ihre Smartphones zur Hand – vorbei, zu oder von ihren schulischen Sportplätzen. Eine Krähe ruft mit heiserer Stimme ganz nah, eine andere ruft trocken von weiter weg. Ein Baby wird hinter mir vorbeigeschoben und singt sich in den Schlaf. Von Ferne drescht ein Schlagzeug – vermute ich, ich glaube nicht, dass das von einer Baustelle kommt. Der obligatorische Traktor. Ein bisschen Dunst hängt über allem, aber die Trockenheit siegt. Ein Flugzeug dröhnt bedrohlich durch den Himmel und die Sonne versteckt sich hinter einer dunklen Wolke. Schmetterlinge torkeln die Blumenbeete entlang. Wieder toben sich Baustellen, Autoverkehr und Flugzeuge in disziplinierter rationalistischer Formatierung aus, während die Kinder in ihrem Geschrei freier klingen. Ich schaue 203° Südwest, kann die Zahl aber jederzeit ändern, indem ich mit dem Smartphone herumfuchtel. Eine Nebelkrähe stolziert zu Fuß an mir vorbei und trinkt dann aus der Lacke auf der anderen Seite der geschotterten Parkallee. Sofort kommen mehr Krähen. Auch sie trinken und eine badet jetzt. Ich habe den Eindruck, einzelne wollen mich auffordern, sie zu füttern; mir kommt vor, sie geben mir mit ihrem Schnabel solche Zeichen. Da hätten sie bei mir gute Chancen, wenn ich etwas zum Essen bei mir hätte. Stattdessen wische ich mir die Reste von Zahnpasta mit Spucke von meiner linken Hand, die ich erst jetzt bemerkt habe (die Zahnpasta, nicht die Hand!). Und nun kommen mehrere Traktoren von ihren offiziellen, possiblen Missionen zurück; ich denke, inoffiziell machen sie Feierabend (6 bis 14 Uhr: 8 Stunden; oder 6:30 bis 14:30; jetzt ist es 14:15; oder die halbstündige Mittagspause wird nicht mehr zur Arbeitszeit gerechnet). Das Sitzen geht schon auf mein Kreuz. Ein mühsames, aber selbstverständliches Paar geht an mir vorbei; die meisten Passanten nehmen die Route hinter meiner Bank. Das alles hier ist weniger menschenleer als ich es beschreibe.

(26.9.2023)

Peter Alois Rumpf September 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

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