2080 Mit sanfter Gewalt
Das Schönste an meinem Abendritual (heute um 2:17 a.m.) ist
das Öffnen des Zimmerfensters zum Zwecke der Frischluftzufuhr. Frischluft ist
vielleicht etwas übertrieben, denn der Luft aus dem Lichtschacht haftet immer
etwas modriges an. Aber egal. Zwar muß ich mich zum Lüften immer etwas
überreden – einer meiner inneren Konsorten sagt: Ach was! Lüft halt nicht! -
aber wenn ich dann das Fenster öffne, mach ich es gern.
Mein Zimmerfenster ist ein altes Kastenfenster, zweimal zwei
Fensterflügel, und die äußeren zwei sind schon recht lädiert. Ich muß mich über
den Schreibtisch gebeugt recht strecken, um die Triebolive (so heißt das Ding
zum Auf- und Zumachen des Fensters; habe extra nachgeschaut, ich hätte es
provisorisch Fensterschnalle genannt) zu erreichen und durch drehen derselben
die Sperre zu öffnen. An und für sich würde man nach der Entsperrung an diesem
Drehding den rechten Fensterflügel aufziehen, aber das geht hier nicht, denn
das T-förmige Ding ist in der Achse abgebrochen. Das heißt, ich kann das Ding
(man merkt, ich bin mit dem gerade gegoogelten Wort „Triebolive“ noch nicht
heimisch geworden) zwar zum Öffnen drehen, aber wenn ich anziehe, habe ich den
Griff – genauer gesagt: den Querbalken vom T und ein Stück vom Längsbalken – in
der Hand und das Fenster ist zu geblieben. Dieses Stück dürfte deshalb
abgebrochen sein, weil der verzogene Flügel etwas klemmt. Also kann ich das
Fenster auch nicht öffnen, indem ich den Flügel einfach beim Rahmen packe und
aufziehe. Ich muß nämlich den Rahmen unten etwas anheben, damit sich das
Fenster öffnen läßt. Dieses Anheben sollte recht konzentriert und sanft vor
sich gehen. Wirklich sanft, sonst hebe ich den Fensterflügel aus seinen Angeln
(wie Tischler sagen: das Weibl vom Mandl) und er kippt bestenfalls mir
entgegen, schlimmstenfalls saust er den Lichtschacht hinunter und knallt dort
auf. Und meines Wissens sind dort unten auch zwei Wohnungseingangstüren. Gut, um
diese Zeit werden eher wenige Leute unterwegs sein. Aber dennoch.
Und genau dieses konzentrierte und wahrlich sanfte,
beherrschte Hochheben des Fensterflügels liebe ich: meine Kraft muß genau im
richtigen Ausmaß eingesetzt werden. Eine schöne Abendübung, wo ich jedesmal
Unlust, Müdigkeit und Ungeduld bezähmen muß und die dabei entstandene Stille
genießen darf.
(23./24.11.2020)
©Peter Alois Rumpf
November 2020
peteraloisrumpf@gmail.com
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