2083 Gegrüßet seist du Weidenbaum
Gegrüßte seist du Weidenbaum, an diesem grauen Morgen. Und
alle deine Freunde da unten: der Kirschbaum, der Akazibam, der Hollunder der
arme grausam zurückgestutzte, die Rosen, die Essigbäume und alle anderen im
Hof, und auf der Straßenseite die drei und der eine ums Eck, deren Namen ich
nicht kenne.
Die Stimmen vom Morgenjournal monotonisieren bis herauf;
verstehen kann ich Gottseikrank nichts. Dunkelgrau bläuliches Licht versammelt
sich vorm Zimmerfenster und staut sich an der grauen Hauswand. Aber immerhin
ein kurzer Ausblick, um dessentwillen ich heute Nacht das Rouleau nicht
herunter gelassen habe („Dtu! Nein! Nein!“)
Irgendwo in der Wohnhausschlucht brummt irgendein Motor, der
regelmäßige Hubschrauber macht die tiefere Oberstimme, meine Ohren mit ihrem
Surren halten locker mit und unterlegen diesen musikalischen Cluster mit den
höchsten Tönen. Meine Augen sehen, was sie zweiundzwanzig bis dreiundzwanzig
Stunden am Tag sehen: mein Kemenatenreich und sie mögen diesen Anblick, vor
allem, wenn mein Schauen aus dem Fenster darf; aus dieser Perspektive ein, zwei
Meter bis zur Hauswand.
Wie vor vier Stunden hocke ich im Bett und mache das, was in
der Nacht Abendbetrachtung war zur heutigen Morgenandacht. Das Licht vom
Fenster wird schnell heller und lichter, transparenter könnte ich auch sagen
und sage es. Ich drehe zufällig den Kopf nach links und bestaune den Faltenwurf
des hingeworfenen Taggewandes am überfüllten Sessel. Bald werde ich das
Leselicht, das jetzt zum Schreiben dient, abdrehen und weiterschlafen. Und das
Licht vorm Fenster wird hell und klar wie Luft sein.
(25.11.2020)
©Peter Alois Rumpf
November 2020
peteraloisrumpf@gmail.com
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