807 Die optimistischen Morgengeräusche
Die auf den ersten Blick (!) optimistischen Morgengeräusche
– aufgedrehte Radios mit Stimmen in Animateurmanier - dringen durch die Wände
und stecken mich etwas an: der Reiz, gleich fröhlich loszustarten. Jedenfalls
rufen sie eine Erinnerung an „früher“ hervor, irgendwelche optimistischen
Morgenszenen, die ich aber nicht bildhaft vor mir habe, sondern lediglich als
ein Gefühl. Bei uns zu Hause nämlich, in meinem Aufwachsen, ist in der Küche,
wo wir uns zum gemeinsamen Frühstück trafen, kein Radio gelaufen. Wo kommt
dieses erinnerte Gefühl also her?
Es steckt mich an und will mich verführen, dem Morgen und
dem kommenden Tag und mir selber in meinen Handlungen zu vertrauen; (der
Animationscharakter der Stimmen und der Musik sollte einen jedoch schon warnen,
daß da etwas nicht stimmt.) Dieser Morgenoptimismus stößt mich nämlich gleichzeitig ab. Dieser Morgenoptimismus
ist mir – obwohl er mich anzieht – gleichzeitig verdächtig. Weil ich daran
denken muß, daß die Nazisoldaten mit ähnlich morgenoptimistischen Liedern auf
den Lippen ausgezogen sind, ihre massenhaften Verbrechen zu begehen. Auch wenn
ich nicht regelrecht daran denke, die Warnung ist sofort da, auch wenn
sie nicht explizit und ausgesprochen im Bewußtsein aufgetaucht ist, sondern als
ein bloßes Gefühl, als ein "Achtung!", „Stop!“.
Jetzt war ich natürlich damals nicht dabei, und weiß nicht,
ob die wirklich mit solchen Liedern losgezogen sind, aber für mich hat sich
dieser (Morgen-)Optimismus unweigerlich mit der Aufbruchsmentalität der Nazis
verknüpft. Darum, denke ich, ziehe ich wohl meistens einem solchen animierten
Optimismus die (Morgen-)Depression vor. Man kann ja nicht wissen, ob nicht doch
etwas ganz Schreckliches herauskommt, wenn man so optimistisch, frisch,
fröhlich, frei draufloshandelt. Vor allem „frei“ natürlich unter
Anführungszeichen, denn das ist ja die Angst, daß im Untergrund der Seele die
Kräfte an eine schreckliche Destruktivität gebunden sind, die dann an die
Oberfläche kommt und explodiert.
(Wie steht in der Bibel? Gott straft die Sünden der Väter
bis in die dritte Generation. Eine kluge Beobachtung! Vor allem trifft dies zu,
wenn die Väter (und Mütter) sich nicht ihren Taten stellen und ihre Sünden
nicht aufrichtig und offen bereuen.)
Ja, und im Traum bin ich diese Nacht endlos eine Leiter
hinaufgeklettert.
(3.11.2017)
©Peter Alois Rumpf November 2017
peteraloisrumpf@gmail.com
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