Freitag, 3. November 2017

807 Die optimistischen Morgengeräusche

Die auf den ersten Blick (!) optimistischen Morgengeräusche – aufgedrehte Radios mit Stimmen in Animateurmanier - dringen durch die Wände und stecken mich etwas an: der Reiz, gleich fröhlich loszustarten. Jedenfalls rufen sie eine Erinnerung an „früher“ hervor, irgendwelche optimistischen Morgenszenen, die ich aber nicht bildhaft vor mir habe, sondern lediglich als ein Gefühl. Bei uns zu Hause nämlich, in meinem Aufwachsen, ist in der Küche, wo wir uns zum gemeinsamen Frühstück trafen, kein Radio gelaufen. Wo kommt dieses erinnerte Gefühl also her?
Es steckt mich an und will mich verführen, dem Morgen und dem kommenden Tag und mir selber in meinen Handlungen zu vertrauen; (der Animationscharakter der Stimmen und der Musik sollte einen jedoch schon warnen, daß da etwas nicht stimmt.) Dieser Morgenoptimismus stößt mich nämlich gleichzeitig ab. Dieser Morgenoptimismus ist mir – obwohl er mich anzieht – gleichzeitig verdächtig. Weil ich daran denken muß, daß die Nazisoldaten mit ähnlich morgenoptimistischen Liedern auf den Lippen ausgezogen sind, ihre massenhaften Verbrechen zu begehen. Auch wenn ich nicht regelrecht daran denke, die Warnung ist sofort da, auch wenn sie nicht explizit und ausgesprochen im Bewußtsein aufgetaucht ist, sondern als ein bloßes Gefühl, als ein "Achtung!", „Stop!“.
Jetzt war ich natürlich damals nicht dabei, und weiß nicht, ob die wirklich mit solchen Liedern losgezogen sind, aber für mich hat sich dieser (Morgen-)Optimismus unweigerlich mit der Aufbruchsmentalität der Nazis verknüpft. Darum, denke ich, ziehe ich wohl meistens einem solchen animierten Optimismus die (Morgen-)Depression vor. Man kann ja nicht wissen, ob nicht doch etwas ganz Schreckliches herauskommt, wenn man so optimistisch, frisch, fröhlich, frei draufloshandelt. Vor allem „frei“ natürlich unter Anführungszeichen, denn das ist ja die Angst, daß im Untergrund der Seele die Kräfte an eine schreckliche Destruktivität gebunden sind, die dann an die Oberfläche kommt und explodiert.

(Wie steht in der Bibel? Gott straft die Sünden der Väter bis in die dritte Generation. Eine kluge Beobachtung! Vor allem trifft dies zu, wenn die Väter (und Mütter) sich nicht ihren Taten stellen und ihre Sünden nicht aufrichtig und offen bereuen.)


Ja, und im Traum bin ich diese Nacht endlos eine Leiter hinaufgeklettert.








(3.11.2017)











©Peter Alois Rumpf    November 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

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