Freitag, 27. Oktober 2017

801 Jeder kann Arbeit finden

Schwer kämpfe ich mich jetzt am Morgen durch das Schlafbedürfnis und die Traumverfangenheit. Ich habe eine Idee für diesen Tag, aber all meine Körpersysteme inklusive Gehirn springen nicht richtig an und arbeiten nur im untersten Drehzahlbereich. Ich komme nicht auf Touren. Das Schnurren der Katze verstärkt noch das Trägheitsmoment.

Langsam breiten sich auf meinem Seelensee leichte Wellen von Erwartungsfreude und von einer Erregung, wie sie dem Tatendrang (oder Katastrophen) vorausgeht, aus.

Was wird heute meine erste Tat sein? Frühstücken oder vorher noch aus dem Haus gehen und Besorgungen machen? Geplant war zuerst Erledigung und dann Frühstück in einem Kaffeehaus. Jetzt bin ich dabei zu kneifen und doch zuerst zu Hause zu frühstücken. Geldersparnis ist bei solchen Ideen immer ein fast unwiderlegbares Argument; schließlich habe ich es nicht „a so“, denke ich.

Ich starte eine innere Überredungskampagne, doch die unvernünftig teure und – wie sage ich das? - „großbürgerlichere“ und irgendwie angstbesetzte Variante - ich habe mich doch schon in Resignation fast komplett aus der Welt zurückgezogen! - zu riskieren.

Allerdings gehe ich nicht gern mit leerem Magen in die Welt raus. Als ich vor Jahrzehnten einmal drei Tage total gefastet habe und dann hinaus bin, bin ich völlig unvorbereitet Zeuge einer unschönen, irritierenden Szene geworden, gegen deren erschütternde Wirkung ich mich in meinem geschwächten Zustand innerlich – äußerlich war ich überhaupt nicht involviert – nicht wehren konnte.

Ich stehe auf, wasche mich, putze mir meine wackeligen Zähne, kleide mich an und gehe zur Ubahnstation. Ein altbekannter Bettler steht dort. Mein Weg hat seinen Standort schon länger nicht mehr gekreuzt, so gebe ich ihm etwas und betrete dann den Lift. Eine Frau mit Hund kommt auch herein und spricht mich an. Vorsichtig geht sie es an, mir nachzuweisen, daß ich dem Bettler hätte nichts geben sollen. Es machte mir großem Spaß, meinen Trumpf auszuspielen, daß ich nämlich selber acht Jahre lang in Armut gelebt habe, so – wie oft schreibe ich das noch her! - daß ich mir das Einheizen im Winter nicht leisten konnte. Das war ein wenig unpräzise, denn ich konnte mir einmal, zweimal die Woche das Einheizen schon leisten und im letzten Jahr öfter. Dafür habe ich noch andere Einschränkungen nicht erwähnt. Trotzdem, da bin ich der Experte! Ungefähr so habe ich gesprochen: Ich war selber acht Jahre lang arm und weiß, was es heißt, sich im Winter das Einheizen nicht leisten zu können. Ich war weder pensions- noch krankenversichert – daß ich damals nur ein ganz geringes Einkommen aus Taglöhnertätigkeiten und keinen Anspruch auf Arbeitslose oder Notstandshilfe hatte, hatte ich vergessen. Und: ich war kein Alkoholiker, sondern habe mich nur in der Welt nicht zurechtgefunden – das habe ich auch noch angebracht. Sie hat dann gesagt: wer in Österreich eine Arbeit sucht, kann eine finden.

Das Ganze ist durchaus in einem höflichen Ton abgegangen, auch ich war äußerlich ruhig, aber daß ich innerlich schon ganz aufgeregt war, erkenne ich nachträglich daran, daß ich das mit „jeder kann Arbeit finden“ unwidersprochen gelassen habe, denn ich kann selber bezeugen, daß dem nicht so ist. Nun, da ich das schreibe, empfinde ich es fast als Verrat an viele meiner Jobkollegen und Innen, die – oft gut ausgebildet und gewissenhafte, gute, fleißige Leute - keine Chance mehr haben, ordentliche Arbeit zu finden, sondern sich im Callcenter und mit idiotischen, sinnlosen AMS-Kursen abquälen. Das sind Leute, die früher gute Jobs hatten, die haben jetzt, erst recht, wenn sie über fünfzig sind, am Arbeitsmarkt keine Chance mehr. Frauen auch schon über vierzig nicht. Und Junge auch nicht. Wie gesagt, da sind gut ausgebildete Leute dabei, mit viel Erfahrung in verantwortungsvollen Jobs, viele AkademikerInnen, die alle weit unter ihrem Wert gehandelt werden. Das alles war in meiner unbemerkten Aufregung wie weggeblasen. (Was? Warum haben die ihre Arbeit aufgegeben? Schon etwas von Firmenpleiten und Rationalisierungsmaßnahmen gehört? Wo irgendwelche weltfremde Schnösel von der Wirtschaftsuniversität  … ach was! ...)

Naja, und weil ich natürlich nicht wissen kann, ob dieser konkrete Bettler da wirklich sehr arm ist, habe ich noch dazugesagt, daß ich bei meinen Steuern auch nicht weiß, was mit dem Geld passiert. Ich wollte damit andeuten, daß sich bei meinen Steuern auch viele, aber da wirklich fette und aufgeblasene Sozialschmarotzer bedienen. (Bankenrettung sei nur ein Stichwort.) Aber ich habe noch – zum Thema Betteln - hinzugefügt: „Das da ist sicher kein leichter Job!“ Ich nehme an, die können sich einiges anhören und bekommen – ausgesprochen oder unausgesprochen – einiges an Haß und Ablehnung und Verachtung zu spüren. (Ein bißchen kann ich das als Callcentertelefonierer nachvollziehen.) Festzuhalten ist, daß sicher nicht alle Passanten abweisend und aggressiv reagieren.

Weg von diesem Thema! Ich fahre zum Praterstern und mache meine Erledigungen und gehe zum Bankomaten (ich hasse es, wenn die neuerdings alle in „Geldautomat“ umbenannt werden; Anschluß ans deutsche „Reich“ - nein danke!) um mir Geld für mein geplantes Kaffeehausfrühstück abzuheben. Ein alkoholischer Bettler spricht mich freundlich an, ich signalisiere ihm, er solle warten, und weil mir das mit dieser Frau zunehmend zu ärgern beginnt, gebe ich ihm als Draufgabe und Protest gegen dieses Weib zehn Euro. (Sozusagen als heilige Rache an dieser Frau. "St.Rache" – danke Knut Ogris für dieses - hier jetzt verdrehte - Wortspiel). Nicht wahr, da kann ich doch sicher sein, daß das ein armer Hund ist, oder? Außerdem hat er mich mit „Sir“ angesprochen – ich finde, das ist ein guter Tauschhandel! („Ironie ist ein Idealismus, der sich nicht traut“ Zitat Romano Guardini, dessen Seligsprechungsprozeß am 24. Oktober 2017 offiziell eröffnet wurde. Manchmal traue ich mich und mache ein (orthodoxes!) Kreuzzeichen, wenn ich einem Bettler Geld gebe.) (Wie konservativ ich bin, merke ich daran, daß ich beim Eingeben des Namens „Romano Guardini“ auf Wikipedia, um die Prozeßfakten – jetzt eh nicht mehr als dessen Beginn – zu recherchieren, es nicht zustandebringe, den Namen klein zu schreiben, obwohl ich natürlich weiß, daß das genügen würde.)

Auf dem Weg in ein Kaffeehaus beginne ich mich immer mehr über die Frau zu ärgern und ich werde in Gedanken immer aggressiver und zynischer. Wie kommt sie dazu, das Handeln des Bettlers und mein Tun zu kritisieren? Ich habe viel zu höflich und viel zu sanft reagiert. Und außerdem vieles vergessen zu sagen, was zu sagen gewesen wäre. Ich hätte ihr ordentlich über das Maul fahren sollen, im übertragenen und vielleicht auch im wörtlichen Sinn. Das wäre echte Notwehr gewesen! Wie komme ich dazu, mich dieser Frau mit Hund gegenüber zu rechtfertigen! Mit Hund! Es gibt keinen deutlicheren Ausdruck für innere Leere als Menschen mit ihren in Wohnungen gefangenen Hunden. … (Gut, mit Katzen natürlich auch.)

Jetzt sitze ich im cafemima (klein geschrieben!) und warte auf mein Frühstück – Frühstück mit Erlaubnis zum Kaffee! - der Kaffee steht schon am Tisch, das Essen noch nicht. Ein paar Schluck habe ich schon eingenommen.

Wo bin ich eigentlich? In meiner Phantasie spiele ich die Szene „Frau mit Hund“ in hundert besseren Varianten durch. Besser, weil ich dabei besser aussteige.

Jedenfalls: Essen dient als Schutz. Darum wäre Fasten so wichtig. Ich bin schon recht hungrig. Erbarmen? Mit dem Kellner? (Ich warte schon lange auf mein Frühstück. Der Kaffee wirkt schon, man/frau kann es am zerfallenden Text merken.)

(Der Kellner hatte vergessen, mein Mimafrühstück einzutippen; vermutlich, weil ich ihn mit meiner Kaffeediskussion – welcher Kaffee wäre jetzt der richtige – abgelenkt habe.) (Ich kann es manchmal schon ganz gut vortäuschen, ein souveräner Bürger zu sein, der frei und unbefangen handeln und sich – grundsätzlich einmal – selbst behaupten kann. Nur wenn es wirklich darauf ankommt, funktioniert meine Maskerade nicht. Vielleicht jedoch täuscht auch mein Gegenüber sein Hereinfallen auf meine Maske bloß vor!)
(Wobei es schon arrogant ist, daß ich unterstelle, daß sich der Kellner am meine Kaffeediskussion erinnert. Er hat schließlich auch anderes zu tun. Arrogant ist eventuell falsch; eher kommt da ein heimlicher, ganz infantiler Größenwahn durch.)

(Durch solche Fehler wie der des Kellners wird eine solche berufliche Beziehung intensiviert beziehungsweise kann man/frau sie persönlicher machen.) (Ende der Belehrung!) (Und mein Text ist auch länger geworden. Danke, Kellner!)

(Wenn ich hier so dasitze und frühstücke, dann glaube ich, daß ich wirklich leben kann.)

(Doch, ich liebe die schöne, bunte, neue Welt.)

(Ach ja! Danke, Frau mit Hund! Ihnen verdanke ich ein Gutteil dieser Geschichte.)







(27.10.2017)













©Peter Alois Rumpf    Oktober 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

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