801 Jeder kann Arbeit finden
Schwer kämpfe ich mich jetzt am Morgen durch das
Schlafbedürfnis und die Traumverfangenheit. Ich habe eine Idee für diesen Tag,
aber all meine Körpersysteme inklusive Gehirn springen nicht richtig an und
arbeiten nur im untersten Drehzahlbereich. Ich komme nicht auf Touren. Das
Schnurren der Katze verstärkt noch das Trägheitsmoment.
Langsam breiten sich auf meinem Seelensee leichte Wellen von
Erwartungsfreude und von einer Erregung, wie sie dem Tatendrang (oder
Katastrophen) vorausgeht, aus.
Was wird heute meine erste Tat sein? Frühstücken oder vorher
noch aus dem Haus gehen und Besorgungen machen? Geplant war zuerst Erledigung
und dann Frühstück in einem Kaffeehaus. Jetzt bin ich dabei zu kneifen und doch
zuerst zu Hause zu frühstücken. Geldersparnis ist bei solchen Ideen immer ein
fast unwiderlegbares Argument; schließlich habe ich es nicht „a so“, denke ich.
Ich starte eine innere Überredungskampagne, doch die
unvernünftig teure und – wie sage ich das? - „großbürgerlichere“ und irgendwie
angstbesetzte Variante - ich habe mich doch schon in Resignation fast komplett
aus der Welt zurückgezogen! - zu riskieren.
Allerdings gehe ich nicht gern mit leerem Magen in die Welt
raus. Als ich vor Jahrzehnten einmal drei Tage total gefastet habe und dann
hinaus bin, bin ich völlig unvorbereitet Zeuge einer unschönen, irritierenden
Szene geworden, gegen deren erschütternde Wirkung ich mich in meinem geschwächten
Zustand innerlich – äußerlich war ich überhaupt nicht involviert – nicht wehren
konnte.
Ich stehe auf, wasche mich, putze mir meine wackeligen
Zähne, kleide mich an und gehe zur Ubahnstation. Ein altbekannter Bettler steht
dort. Mein Weg hat seinen Standort schon länger nicht mehr gekreuzt, so gebe
ich ihm etwas und betrete dann den Lift. Eine Frau mit Hund kommt auch herein
und spricht mich an. Vorsichtig geht sie es an, mir nachzuweisen, daß ich dem
Bettler hätte nichts geben sollen. Es machte mir großem Spaß, meinen Trumpf
auszuspielen, daß ich nämlich selber acht Jahre lang in Armut gelebt habe, so –
wie oft schreibe ich das noch her! - daß ich mir das Einheizen im Winter nicht
leisten konnte. Das war ein wenig unpräzise, denn ich konnte mir einmal,
zweimal die Woche das Einheizen schon leisten und im letzten Jahr öfter. Dafür
habe ich noch andere Einschränkungen nicht erwähnt. Trotzdem, da bin ich
der Experte! Ungefähr so habe ich gesprochen: Ich war selber acht Jahre lang
arm und weiß, was es heißt, sich im Winter das Einheizen nicht leisten zu
können. Ich war weder pensions- noch krankenversichert – daß ich damals nur ein
ganz geringes Einkommen aus Taglöhnertätigkeiten und keinen Anspruch auf
Arbeitslose oder Notstandshilfe hatte, hatte ich vergessen. Und: ich war kein
Alkoholiker, sondern habe mich nur in der Welt nicht zurechtgefunden – das habe
ich auch noch angebracht. Sie hat dann gesagt: wer in Österreich eine Arbeit
sucht, kann eine finden.
Das Ganze ist durchaus in einem höflichen Ton abgegangen,
auch ich war äußerlich ruhig, aber daß ich innerlich schon ganz aufgeregt war,
erkenne ich nachträglich daran, daß ich das mit „jeder kann Arbeit finden“
unwidersprochen gelassen habe, denn ich kann selber bezeugen, daß dem nicht so
ist. Nun, da ich das schreibe, empfinde ich es fast als Verrat an viele meiner
Jobkollegen und Innen, die – oft gut ausgebildet und gewissenhafte, gute,
fleißige Leute - keine Chance mehr haben, ordentliche Arbeit zu finden, sondern
sich im Callcenter und mit idiotischen, sinnlosen AMS-Kursen abquälen. Das sind
Leute, die früher gute Jobs hatten, die haben jetzt, erst recht, wenn sie über
fünfzig sind, am Arbeitsmarkt keine Chance mehr. Frauen auch schon über vierzig
nicht. Und Junge auch nicht. Wie gesagt, da sind gut ausgebildete Leute dabei,
mit viel Erfahrung in verantwortungsvollen Jobs, viele AkademikerInnen, die
alle weit unter ihrem Wert gehandelt werden. Das alles war in meiner
unbemerkten Aufregung wie weggeblasen. (Was? Warum haben die ihre Arbeit
aufgegeben? Schon etwas von Firmenpleiten und Rationalisierungsmaßnahmen
gehört? Wo irgendwelche weltfremde Schnösel von der
Wirtschaftsuniversität … ach was! ...)
Naja, und weil ich natürlich nicht wissen kann, ob dieser
konkrete Bettler da wirklich sehr arm ist, habe ich noch dazugesagt, daß ich
bei meinen Steuern auch nicht weiß, was mit dem Geld passiert. Ich wollte damit
andeuten, daß sich bei meinen Steuern auch viele, aber da wirklich fette und
aufgeblasene Sozialschmarotzer bedienen. (Bankenrettung sei nur ein Stichwort.)
Aber ich habe noch – zum Thema Betteln - hinzugefügt: „Das da ist sicher kein
leichter Job!“ Ich nehme an, die können sich einiges anhören und bekommen –
ausgesprochen oder unausgesprochen – einiges an Haß und Ablehnung und
Verachtung zu spüren. (Ein bißchen kann ich das als Callcentertelefonierer
nachvollziehen.) Festzuhalten ist, daß sicher nicht alle Passanten abweisend
und aggressiv reagieren.
Weg von diesem Thema! Ich fahre zum Praterstern und mache
meine Erledigungen und gehe zum Bankomaten (ich hasse es, wenn die neuerdings
alle in „Geldautomat“ umbenannt werden; Anschluß ans deutsche „Reich“ - nein
danke!) um mir Geld für mein geplantes Kaffeehausfrühstück abzuheben. Ein
alkoholischer Bettler spricht mich freundlich an, ich signalisiere ihm, er
solle warten, und weil mir das mit dieser Frau zunehmend zu ärgern beginnt,
gebe ich ihm als Draufgabe und Protest gegen dieses Weib zehn Euro. (Sozusagen
als heilige Rache an dieser Frau. "St.Rache" – danke Knut Ogris für dieses - hier
jetzt verdrehte - Wortspiel). Nicht wahr, da kann ich doch sicher sein, daß das
ein armer Hund ist, oder? Außerdem hat er mich mit „Sir“ angesprochen – ich
finde, das ist ein guter Tauschhandel! („Ironie ist ein Idealismus, der sich
nicht traut“ Zitat Romano Guardini, dessen Seligsprechungsprozeß am 24. Oktober
2017 offiziell eröffnet wurde. Manchmal traue ich mich und mache ein
(orthodoxes!) Kreuzzeichen, wenn ich einem Bettler Geld gebe.) (Wie konservativ
ich bin, merke ich daran, daß ich beim Eingeben des Namens „Romano Guardini“
auf Wikipedia, um die Prozeßfakten – jetzt eh nicht mehr als dessen Beginn – zu
recherchieren, es nicht zustandebringe, den Namen klein zu schreiben, obwohl
ich natürlich weiß, daß das genügen würde.)
Auf dem Weg in ein Kaffeehaus beginne ich mich immer mehr
über die Frau zu ärgern und ich werde in Gedanken immer aggressiver und
zynischer. Wie kommt sie dazu, das Handeln des Bettlers und mein Tun zu
kritisieren? Ich habe viel zu höflich und viel zu sanft reagiert. Und außerdem
vieles vergessen zu sagen, was zu sagen gewesen wäre. Ich hätte ihr ordentlich
über das Maul fahren sollen, im übertragenen und vielleicht auch im wörtlichen
Sinn. Das wäre echte Notwehr gewesen! Wie komme ich dazu, mich dieser Frau mit
Hund gegenüber zu rechtfertigen! Mit Hund! Es gibt keinen deutlicheren Ausdruck
für innere Leere als Menschen mit ihren in Wohnungen gefangenen Hunden. … (Gut,
mit Katzen natürlich auch.)
Jetzt sitze ich im cafemima (klein geschrieben!) und warte
auf mein Frühstück – Frühstück mit Erlaubnis zum Kaffee! - der Kaffee steht
schon am Tisch, das Essen noch nicht. Ein paar Schluck habe ich schon
eingenommen.
Wo bin ich eigentlich? In meiner Phantasie spiele ich die
Szene „Frau mit Hund“ in hundert besseren Varianten durch. Besser, weil ich
dabei besser aussteige.
Jedenfalls: Essen dient als Schutz. Darum wäre Fasten so
wichtig. Ich bin schon recht hungrig. Erbarmen? Mit dem Kellner? (Ich warte
schon lange auf mein Frühstück. Der Kaffee wirkt schon, man/frau kann es am
zerfallenden Text merken.)
(Der Kellner hatte vergessen, mein Mimafrühstück
einzutippen; vermutlich, weil ich ihn mit meiner Kaffeediskussion – welcher
Kaffee wäre jetzt der richtige – abgelenkt habe.) (Ich kann es manchmal schon
ganz gut vortäuschen, ein souveräner Bürger zu sein, der frei und unbefangen
handeln und sich – grundsätzlich einmal – selbst behaupten kann. Nur wenn es
wirklich darauf ankommt, funktioniert meine Maskerade nicht. Vielleicht jedoch
täuscht auch mein Gegenüber sein Hereinfallen auf meine Maske bloß vor!)
(Wobei es schon arrogant ist, daß ich unterstelle, daß sich
der Kellner am meine Kaffeediskussion erinnert. Er hat schließlich auch anderes
zu tun. Arrogant ist eventuell falsch; eher kommt da ein heimlicher, ganz
infantiler Größenwahn durch.)
(Durch solche Fehler wie der des Kellners wird eine solche
berufliche Beziehung intensiviert beziehungsweise kann man/frau sie
persönlicher machen.) (Ende der Belehrung!) (Und mein Text ist auch länger geworden. Danke, Kellner!)
(Wenn ich hier so dasitze und frühstücke, dann glaube ich,
daß ich wirklich leben kann.)
(Doch, ich liebe die schöne, bunte, neue Welt.)
(Ach ja! Danke, Frau mit Hund! Ihnen verdanke ich ein Gutteil dieser Geschichte.)
(27.10.2017)
©Peter Alois Rumpf Oktober 2017
peteraloisrumpf@gmail.com
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