794 Die Tür ins Licht
Ich sitze in dem großen, lauten Saal. Ein Fest findet statt.
Ein schönes Fest, mit lieben Menschen und in schöner Stimmung, Musik und
Stimmengewirr. Ich verstehe fast nichts von dem, was da geredet wird. Mein joblädiertes Gehör kommt da nicht
mehr richtig mit. So sitze ich da wie eine kleine Insel im Geräuschesee und dem
Hin und Her von Begrüßungen, Fragen, Antworten.
Viele Menschen kenne ich nicht; und die, die ich kenne,
kennen sich schon viel länger. Ich habe mit ihnen keine gemeinsame
Vergangenheit; ich bin der Hinzugekommene, nicht der in diesem Biotop
Gewachsene.
Das macht alles nichts. Ich sitze da und schaue. Nur beim
Gedanken, daß sie alle in Leben und Arbeit erfolgreicher sind, kommt eine leise
Wehmut auf – was hätte ich mit ihnen zu besprechen? Erfolge kann ich keine aufweisen – aber ich
lasse dieses Gefühl wieder verwehen.
Ich sitze da und schaue umher. Das Licht im Raum ist gelb
und warm; es wirkt ein wenig gedämpft und hält so alles zusammen.
An der Stirnseite des Saales ist eine unauffällige Tür,
durch deren Ritzen ein starkes Licht drängt.
Immer wieder gehen Leute durch diese Tür. Wenn die Tür offen
ist, sieht man ein helles, weißes, starkes Licht. Dieses helle, weiße, starke
Licht fesselt meine ganze Aufmerksamkeit und beginnt mich immer tiefer zu
berühren. Ich starre mit angehaltenem Atem auf das Licht und wenn die Tür
geschlossen ist, versuche ich durch die Ritzen und Spalten etwas von diesem
Glanz zu erhaschen.
Wenn die Leute hinausgehen, ist es, als gingen sie in die
Unendlichkeit; sie leuchten auf und sind nach ein paar Schritten im Licht
verschwunden.
Wenn sie hereinkommen, sind sie zuerst noch im Licht, dann
verdunkeln sie sich. Das ist ein unpassender Vorgang, warum tragen sie nicht
das Licht mit herein, warum verlieren es so schnell? Das hat etwas
Enttäuschendes. Nur bei Kindern nicht. Wenn Kinder hereinkommen, wirkt das
normal und glaubwürdig auf mich, denn sie bleiben irgendwie hell.
Ich achte nicht mehr auf das, was im Saal vorgeht; ich sitze
allein am Tisch und starre auf dieses Licht und große Sehnsucht erfüllt mich,
sodaß mir fast die Tränen kommen. Ich bin nicht unglücklich. Etwas Großes
erfaßt mich und ich will nach dem Licht ausgreifen. Etwas in mir, das
vielleicht mit Demut zu tun hat, vielleicht aber auch mit Angst, weiß, daß ich
noch warten muß. So spüre ich nur diese erhebende Sehnsucht und genieße den
Anblick des Lichts.
Immer wieder gehen Leute durch diese Tür hinaus und kommen
wieder herein. Dieses strahlende Licht hinter der Tür sauge ich mit all meiner Seelenkraft auf.
Wie bin ich froh, daß ich jetzt allein bin! Ich schaue und
schaue. Wenn jemand auf die Tür zugeht, warte ich schon auf das aufstrahlende
Licht und wie der Mensch sich im Leuchten verliert und ich gerate in einen
Zustand zwischen Traum und Wirklichkeit.
Da geht auch meine Frau hinaus und wird vom Licht
verschluckt. Ein kleiner, kurzer Schock, der mich aus meiner Meditation
herausreißt, doch dann denke ich mir, sie wird wiederkommen. Schnell finde ich
wieder in meinen Schwebezustand zurück.
Da, meine Tochter! Jetzt schaue ich weg. Dann knüpfe ich
wieder an den vorigen Zustand an.
Oh, dieses Licht! Dieses Licht! Es ist das schönste Licht,
das ich je gesehen habe.
Jetzt gehe ich selber durch diese Tür ins Licht –
entschlossen und mit einem kraftvollen Griff mache ich die Tür auf – und folge
einem hellen, langen Gang, mit schönem Bretterboden; Ah! Dort hinten ist das
Klo.
Wie ich zurückgehe, merke ich, daß bei der Tür einiges Zeug
herumliegt und frage mich kurz, ob beim Hineingehen zurückgelassen, oder fürs
Hinausgehen vorbereitet. Dann entscheide ich mich, dieses Bild nicht
überzustrapazieren und bereite mich innerlich auf das Durchschreiten der Grenze
vor.
Ich höre schon durch die geschlossene Tür den fröhlichen
Lärm der Welt und bin ein wenig aufgeregt, als ich die Tür öffne und in den nun
dunkel, aber heimelig wirkenden Saal trete. Im Bruchteil einer Sekunde ist
alles wieder normal. Ich setze mich und starre wiederum das Licht an.
Der Heimweg vom Fest geht durch den Nebel. Ich genieße das.
Die Lichter der Straßenlaternen und die bewegten Scheinwerfer der Autos sind
gedämpft, von einer milchigen Aura umgeben und manchmal teilt sich das Licht in
richtige Strahlen. Die Schatten werfen sich auf mich zu und werden immer länger
und länger. Die Bäume im Park, an dem wir vorbeigehen, wirken ein wenig
verhüllt, was aber ihre schwarzen Stämme, Äste und Zweige klarer hervortreten
läßt. Diese Wanderung durch die Stadt ist wunderschön; selbst die Autos, diese
Zerstörer der Welt, bekommen etwas Überirdisches. Auch die Geräusche sind
verändert, ein wenig klingen sie wie aus einer anderen Dimension.
Ich bin noch nicht auf meinem Weg ins Licht. Das Wesen, das
neben mir geht, sagt, es wäre ihm kalt und es wäre müde.
Ginge mein energetischer Zwilling neben mir oder mein
Schutzengel, er würde sagen: „Komm! Komm! Geh weiter! Hinter dem nächsten Hügel
wartet schon die Herrlichkeit!“
(21./22.10.2017)
©Peter Alois Rumpf Oktober 2017
peteraloisrumpf@gmail.com
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