Freitag, 21. April 2023

3174 We wisper ...



Ich sitze unter ein paar noch jungen und noch weichblättrigen Kastanien auf einer Bank im grünen Prater. Meine erste Idee heute war, außen an der Mauer des Lainzer Tiergartens entlang bis zur Wotrubakirche zu wandern, aber ein körperlicher Schwächeanfall läßt mich eine bescheidenere Variante suchen.

Es ist das, was man einen herrlichen Frühlingstag und ein herrliches Wetter nennt. Trotzdem mußte ich mich überreden, meine Kemenate zu verlassen und hinaus zu gehen. Wogegen ich da ankämpfen muß, ist immer noch die Stimme meiner hysterischen Mutter, die mich, ein so zum Geistigen und zu den Büchern tendierendes Kind, immer hinaus ins „Leben“, für das ich nicht gerüstet war und dem ich bis heute wehrlos gegenüberstehe, jagen will und mich als Stubenhocker beschimpft. Ich muß darum kämpfen, einigermaßen aus eigener Lust und Freude ins Grüne zu gehen und nicht im Auftrag.

Wie ich also auf einer mir unbekannten und unklaren Route nur so ungefähr in die Richtung, wo ich den grünen Prater vermute, gehe, im Versuch, dem verhaßten Wurstlprater – allein schon sein Name ist eine Sünde wider den Heiligen Geist – halbwegs großräumig auszuweichen – was nicht ganz, aber in akzeptabler Weise gelang – als ich also über meine Vergangenheit und die immer noch nicht abgestellten Windmühlenkämpfe mit dieser blöden Mutter grüble – und ich schäme mich meiner neurotischen Verstrickung – in unbekannten Stadtbereichen Richtung Prater wandere, da komme ich an einem Gebäude vorbei, auf dem in Neonleuchtschrift steht: „We wisper to our past, we didn’t have another choise to do what we did.“ Da muß ich lachen. Das gefällt mir. Das sitzt. Da freue ich mich über mein schönes Unterbewußtsein, das mich stadtplanlos Herumwandernden genau an diesen Ort geführt hat.

Freilich ist es hier im grünen Prater schön. Freilich strahlt das hier und freilich tut das meiner wunden Seele gut. Aber nur, wenn ich mich schwermütig damit abfinde, bloß ein Zuschauer, bestenfalls Voyeur des Lebens zu sein. Würde ich mich hier zugehörig, legal, ortsberechtigt und anerkannt fühlen wollen, würde ich in der Hölle der Verzweiflung landen. Das will ich aber nicht. Darum lasse ich die aufkommende Brise die Blätter der Bäume und ihre Schatten schaukeln, über mich hinwegstreichen, probiere, mich mit den Bäumen ein wenig anzufreunden und widme mich der Schreiberei.

Viele Leute streifen hier herum, mit vielen Hunden, aber das flache Gelände ist weitläufig genug, dass man sich nicht bedrängt fühlen muß und die Radfahrerkolonnen sind in großem Abstand zu sehen. Es passt. Ich brauche nichts. Ich werde in Ruh gelassen. Selbst der in zwanzig, dreißig Meter Entfernung vorbeifahrenden Mähtraktor ist mir wurscht. Mäh! Mäh! Mäh! Mit meiner Traurigkeit komme ich gut zurecht.

Ich wandere weiter und komme auf einen Weg, der die pratersche Liliputbahn kreuzt. Ich warte den heranschnaufenden Zug ab und als ein Kind mir aus dem fahrenden Waggon zuwinkt – ich winke voller Freude zurück – kommen mir die Tränen und versiegen dann gleich wieder.

Wo ich jetzt bin sind die unangenehmen Radfahrer, Jogger und Scooteristen massenweise unterwegs. Ich werde weitergehen.

Ich bin nun sozusagen in einem Wald, der von mehreren Polizeisirenen hallt. Die Stadt ist nicht weit und viele, viele Hunde laufen herum.

Jetzt bin ich aus dem „Wald“ herausgetreten und gehe über die freie, sonnige Jesuitenwiese. Es ist fast schon heiß. Die Schotterwege gefallen mir mit ihren Wasserlacken noch vom letzten Regen. Auch das stößt tiefe, aber undeutliche Erinnerungen aus meiner Kindheit an, wo solche ungeteerte Straßen und Wege noch ganz normal waren.

Ich stehe schon länger an der Straßenbahnhaltestelle und höre die Gespräche rundherum und gerate in ganz milde Stimmung, eine innerlich segnende Stimmung, ohne mit den Händen herumfuchteln zu müssen (wogegen ich auch nichts hätte).




(21.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

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