Donnerstag, 20. April 2023

3172 Time to go




Im Augarten. Die Sonne zerreißt gerade die dünne Wolkennebeldecke. Und es wird wärmer, als es die Medien melden. Der Frühling ist unübersehbar und unüberhörbar angekommen. Der Anblick der frischen, grünen und auch blühenden Wiesen, der ausschlagenden Bäume ist trotz dem, dass das wiederkehrende Frühjahr nichts Neues ist, doch überraschend und atemberaubend. Wie es in diesen Zeiten der technisch-naturwissenschaftlichen Besatzung nicht anders möglich ist, hört man überall irgendwelche Gartenmaschinen heulen. Schulklassen werden vorbeigetrieben; nicht unlustig die hüpfende Herde. Ich mein’, mir ist es auch recht, dass das hier keine Wildnis ist. Noch winterlich gekleidete Personen sinnieren gesenkten Hauptes vorbei; die Krähen singen (Singvögel!) und die Kinder und Jugendlichen auf ihren Sportplätzen rufen und schreien. Radfahrer*innen, Kinderwagenschieber*innen. Jetzt kann ich auch so einen dezent aufdringlichen Rasenmähertraktor sehen. Ich ziehe mich ins Parkinnere zurück.

Jetzt sitze ich mitten im „Wald“ auf einem umgelegten Baumstamm, eingehüllt vom Grün der jungen Blätter, dem Duft des Frühlings, dem angenehmen Geruchs moderat feuchter Erde, der wärmenden Sonnenbestrahlung, dem Zwitschern der Vögel und den Rufen der Krähen, von einem ganzen Schwarm junger, argloser Fliegen und vom Lärm der Rasenmäher rundherum, die ich hier im Dickicht nicht sehen kann. Noch übertrifft das frische Grün alles. Optisch könnte man meinen, man wäre in einer freieren Landschaft; akustisch gar nicht. Jetzt höre ich es: anscheinend wird irgendwo in der Nähe auch gesägt. Ab- und Umsäger sind unterwegs. Woher kommt eigentlich die Illusion, dass es nur einen Großen Umsäger, nur einen Großen Rasenmäher, nur einen Großen Sensenmann gibt? Ich vermute, es sind deren viele kleine. Eine Waldtaube gurrt mir als Antwort. Eine Fliege setzt sich im Notizbuch auf die Textstelle „einem ganzen Schwarm … Fliegen“ – wußte gar nicht, dass die lesen können. Der Krieg ist auch allgegenwärtig, denn immer wieder kann man einen der Flaktürme durchs Dickicht schimmern sehen. „Never again“ steht auf einem.

Ich habe mich auf einer kühlen Bank im Schatten niedergelassen. Die Kirchenglocken rundum läuten den Mittag. Vor mir liegt die ebene Wiese ausgebreitet. Ein kleiner Wind kommt und geht. Alles sagt mir, dass das so schön ist. Noch dazu jetzt, wo tatsächlich alle Motoren schweigen. Der Autoverkehr rauscht kaum hörbar hinter den Mauern. Ein Flugzeug drängt sich dröhnend in meine Aufmerksamkeit. Zwei Flugzeuge. Kein Mensch ist illegal. Auch ich nicht. Der Autoverkehr erstarkt wieder. Zwei Nebelkrähen landen nicht weit von mir und beobachten mich, rufen. Wollen sie von mir Futter oder zum Abfalleimer neben der Sitzbank? Viele Passanten. Einige laufen. Immer mehr Krähen; sie übernehmen hier das Kommando (wieso Militärsprache?). Der Wind schüttelt die jungen, weichen Blätter der Roßkastanien. Time to go? Time to go.




(20.4.2023)

©Peter Alois Rumpf April 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

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