Freitag, 3. Februar 2017

593 Achtung! Der Ich-Erzähler bin nicht ich!

Mein Name ist Josef Kammer. Ich bin Teilzeitangestellter in einem Callcenter mit einem Einkommen so zwischen 750 und 850 Euro im Monat. Manchmal ist es eben mehr, manchmal weniger. Das ist mein ganzes Einkommen, ich beziehe keine anderen Einkünfte, keine Arbeitslose, keinen Notstand.

Letztens war ich am Maturaball meiner Tochter. Ich habe einen schwarzen Anzug getragen, nicht neu, schon ein paar Jahre alt, aber noch in Ordnung. Die Schuhe detto.

Ich fühle mich auf solchen Veranstaltungen sowieso nicht so wohl. Dabei hätte ich durchaus eine Begabung, mich in solchen Kreisen zu bewegen, habe aber im Laufe meines Lebens den rechtzeitigen Anschluß verpaßt. Ein angefangenes Studium hatte ich nämlich vor Jahren abgebrochen.
Ich will bei solchen Veranstaltungen nicht auffallen, habe aber ständig Sorge, daß es passiert. Begutachtet da jemand meinen Anzug? Ich weiß nicht, vielleicht bilde ich mir das alles nur ein.
Ich weiß nicht recht, wie dastehen, wie dasitzen, wohin schauen, sicherheitshalber setze ich einen eher strengen, distanzierten Blick auf. Manchmal hilft das und ich bleibe getarnt als ernsthafter, nicht an Äußerlichkeiten interessierter Mensch. Mit Tiefgang sozusagen. Dabei stecke ich voller anderer Impulse! Viel Gewalt und …; viel innere Gewalt.

Ich habe mich dort auf dem Ball im üblichen Smalltalk geübt, und wenn mir die Leute nicht zu fremd sind, dann bekomme ich das auch so halbwegs hin. Es waren schließlich ja auch Eltern von Schülern da, die ich noch aus der gemeinsamen Kindergartenzeit unserer Kinder kannte.
Schwierig wird es für mich, wenn sie von ihren Reisen erzählen, Thailand, Malediven, Südamerika und so weiter. Oder von ihrem Wirken und ihrer beruflichen Arbeit. Oder von ihrem neuen Auto oder sonstigen neuesten Errungenschaften. Da kann ich überhaupt nicht mitreden. Da werde ich dann stumm. Es gäbe schon Bereiche, wo ich etwas zu sagen und zu erzählen hätte, und wo ich wirklich ungewöhnliche, ganz neue Sichtweisen und Ideen einbringen könnte, aber diese Bereiche gelten meistens als etwas abseitig.
Aber hier ist sowieso nicht der Ort dafür, viel zu viel Lärm und Wirbel. Also sitze ich halt so da.

Dann hat mich aber dieser Professor angesprochen, so ein … ich weiß nicht, wie ich sagen soll, meine Tochter hat ihn mir als Besserwisser geschildert, als jemand, der sich ständig einmischt, ständig ungefragt seine Ansichten und Urteile abgibt. Dabei sehr kontaktfreudig, wobei die Freude mehr auf seiner Seite verbleibt. Einer, der aus Pubertät und Schule nie hinausgekommen zu sein scheint.
Der hat mich da am Gang angesprochen, gefragt, wer ich bin und auf meine ausweichende Antwort, ich bin der Vater einer Maturantin, hat er nachgefragt von welcher, und widerwillig habe ich Auskunft gegeben.
Und dann sagt er: „Und für dieses große Fest ihrer Tochter haben Sie sich keinen besseren Anzug besorgt? Das ist nicht sehr wertschätzend!“

Ich glaubte, ich spinne! Mir wurde es schwarz vor den Augen. Das darf er nicht sagen! Aber ich antworte nicht, mir fällt nichts ein, ich stammle nur verlegen ein paar zusammenhanglose Silben und Laute, bin rot im Gesicht und stehe bloß mit offenem Mund da.
Gerade daß ich mich umdrehe und weggehe schaffe ich mit äußerster Anstrengung.
Das Ganze hat in dem Trubel keiner der Umstehenden gehört oder bemerkt.

In mir tobt eine ungeheure Wut, mein Gesicht zuckt, deshalb halte ich den Kopf gesenkt und blicke zu Boden, aber meine Fäuste sind geballt. Bis ich es merke, dann lasse ich meine Arme baumeln, als wäre nichts geschehen. So stapfe und renne ich herum. Früher hätte ich mir etwas hinuntergekippt, aber das tue ich nicht mehr. Ich will weggehen, aber dann denke ich an meine Tochter und bleibe. Ich gehe einfach herum, als hätte ich ein Ziel und irgendetwas vor, während es in meinem Inneren kocht. Und schmerzt. So ein Arschloch! Das darf er sich denken, aber niemals aussprechen! Und ich verfluche mich, daß ich noch nie einen niedergeschlagen habe und daß ich das einfach nicht kann! Nur in meiner Phantasie lasse ich einen Gewaltfilm ablaufen, in dem ich ihn niederschlage, niedertrete, die Knochen breche und sein Kiefer zermalme – er soll nie mehr sein Drecksmaul aufmachen können.

Obwohl ich herumrenne wie gehetzt fühle ich mich im Innern gelähmt, starr, unbeweglich. Nur das Gehen verschafft mir etwas Erleichterung und verhindert meinen Zusammenbruch. Ich laufe herum bis mir die Beine schmerzen, dann kehre ich zu meinem Platz zurück und lasse mich erschöpft, ausgelaugt und leer in den Sessel sinken. Jetzt sitze ich halt so da.



(2.2.2017)













©Peter Alois Rumpf    Februar 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

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