Mittwoch, 22. Februar 2017

608 Was mir einfällt

Abend. Was mir einfällt: ich kann aus Albträumen aufwachen, zitternd vor Angst, irritiert und verwirrt, aber – so kommt mir vor – mit dieser Angst komme ich irgendwie zurecht. Die ärgste, die größte Angst in meinem Leben, die stärkste, die ich je empfunden habe, erlebte ich vor Jahrzehnten, als ich in einem Traum, der sehr klar und sehr stabil war, von jenseitigen Mächten oder Kräften zerquetscht zu werden drohte. Ich glaubte, ich sterbe. Diese Kräfte waren nicht feindselig; ich war  ihnen nur ausgesetzt, wie einem übermächtigen Sturm, jedoch still, ohne herumgerissen zu werden, ich spürte nur einen enormen Druck.
Beim Aufwachen stellte ich fest, daß meine Seele schon dabei war, meinen Körper durch die aufgerissene Lücke zu verlassen, und nur indem ich die beiden wieder übereinanderlegte, bin ich nicht zerfallen. (Vgl. hier auf dieser Schublade Nr. 84 „Fut frißt Hose“, wo ich das alles erzähle.) Ich glaube heute noch, daß das der Beginn des Sterbens war, der Prozeß hatte schon begonnen, und wie gesagt, das war die stärkste Angst meines Lebens.
Trotzdem wollte ich es am nächsten Tag gleich nochmal erleben. Ich hoffte, beim Einschlafen wieder auf diese öde Ebene zu gelangen, wo sich das Ganze abgespielt hatte.

Die Angst aber, mit der ich überhaupt nicht zurecht komme, ist die Angst vor anderen Menschen. Sicher, ich habe gelernt, sie bis zu einem gewissen Grad zu überspielen. Oder überblödeln, mich  durch Unterwürfigkeit und Harmlosigkeit so einigermaßen mit der Umgebung zu arrangieren, oder durch fingierte Ernsthaftigkeit – wie es halt geht – aber die Angst ist unterschwellig immer da. Nur früher, im betrunkenen Zustand hat sie sich vorübergehend aufgelöst (um nachher wieder stärker aufzutauchen).

Die Angst im geschilderten Traum war kreatürlich, nicht sozial, in dieser weiten, unendlichen Ödnis war niemand, der mich beschimpft, bloßstellt, verspottet oder bestraft, und als ich mich dort mit meinem Zorn etwas lächerlich gemacht habe, habe ich trotz der Riesenangst innerlich darüber gelacht. Ich habe es als befreiend empfunden, es einfach mit einer unpersönlichen Kraft zu tun zu haben. Es war die natürliche Angst einer Kreatur, die sich auflöst und für nichts dabei mußte ich mich genieren.

Wenn ich an die soziale Angst denke, kommt mir sofort diese Erinnerung vors innere Auge: wie mich als Kind von vier oder fünf Jahren - oder war ich doch schon in der Volksschule? - ein paar ältere Buben auf einem ihrer Streifzüge mitgenommen haben, auf einen Baum geschleppt - auf den ich allein niemals hinaufgekommen wäre, aber auch nicht herunter – und dann, als ich oben war, mich oben zurücklassend heruntergestiegen sind und vortäuschten, sie gingen jetzt weg, während ich oben in Panik schrie. Sie hatten sich über meine Angst köstlich amüsiert (eine richtige „Hetz“ gehabt) und noch eins draufgelegt, indem sie zuerst wieder zurückkamen, dann jedoch ein Feuer am Fuße dieses schönen, alten Baumes entfachten und verkündeten, sie werden den Baum jetzt anzünden. (Vgl. hier in der Schublade Nr. 88 „Die Pachernegg-Szene“, wo ich das erzähle.) Ich hatte als das Kind, das ich war, nicht verstanden, daß sie nur ihre Scherze mit mir trieben, und nahm es ernst. Das Schlimme für mich war, daß ich auf ihre, gerade auf ihre Hilfe angewiesen war, um vom Baum herunterzukommen.

Das ist das Grundbild über die Gesellschaft und meinen Platz darin, das ich einprogrammiert habe, und alle anders gearteten Erfahrungen – die es ja auch gibt – und alle anderen Bilder, die ich gelesen, gehört oder gesehen habe, kommen gegen dieses Bild nicht wirklich auf. Das ist das Hintergrundrauschen, das mein Leben begleitet und ständig auf es einwirkt.


Morgen. In dieser Nacht bin ich alle ein oder zwei Stunden aus einem Traum aufgeschreckt aufgewacht. Aber es waren nicht die Träume, die mich aufgescheucht haben, sondern die Angst, den Wecker zu überhören und damit den Ansprüchen der Alltagswelt nicht zu genügen. Es hat die Angst vor der Alltagswelt auf die Träume abgefärbt, nicht umgekehrt. Diese Angst kommt aus der Menschenwelt und sie lähmt den von ihr Befallenen und schwächt ihn. Die oben beschriebene kreatürliche Angst hatte mich stark gemacht und kämpferisch. Sie ist etwas ganz anderes.








(21./22.2.2017)











©Peter Alois Rumpf    Februar 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

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