Freitag, 17. Februar 2017

602 Verdammt!

Herr Meiertag liest seiner Frau vor: „Auch in jener Nacht weckte den armen Signor Anselmo seine Frau, ihn wütend am Arm zerrend, aus tiefem Schlaf. „Du lachst!““ (Dieses Zitat und alle folgenden aus Luigi Pirandellos „Du lachst“ in „Angst vor dem Glück“, Manesse Bibliothek der Weltliteratur, Manesse Verlag, Zürich; hier S. 21).
Das Ehepaar Meiertag verbringt einen Kurzurlaub auf einem Berggasthof, hoch über dem Tal, oberhalb der winterlichen Nebelzone. Es ist später Nachmittag, sie liegen schon im Bett und beide lesen. Sie liebt es, von ihrem Mann vorgelesen zu bekommen und hat ihre Lektüre nach seiner Frage, ob er ihr etwas Lustiges vorlesen dürfe, unterbrochen.

„“Jede Nacht! Jede Nacht!“, faucht, bleich vor Ärger seine Frau“ (S.21) liest Herr Meiertag. Seine Frau hört ihm aufmerksam zu.

Herrn Meiertag gefällt diese Geschichte und er geht darin auf und liest mit aufgerissenen Augen und vor Begeisterung glühenden Wangen und vergißt beinahe die Welt um sich herum. Beinahe. Nur mit seiner Frau ist er im ausströmenden Lesefluß, der ein wenig unregelmäßig und nicht ohne Hindernisse dahinfließt, verbunden.

Er liest. „Gereiztheit und Beschämung, Zorn und Gram ließen die gequälte Seele des Signor Anselmo zusammenzucken wegen des kaum glaubhaften, allnächtlichen Lachens im Schlaf, das bei seiner Frau den Verdacht aufkommen ließ, er bade in wer weiß welchen Wonnen, während sie schlaflos ...“(S.22). Meiertag blickte kurz zu seiner Frau hinüber, die gerade wie bei einer Yogaübung ein Bein hoch- und ausstreckte. Herr Meiertag machte sich an und für sich keine Sorgen wegen dieser Textstelle, denn bei ihnen ist es eher er selber, der schlaflos neben seiner selig schlafenden Frau liegt, nur die „Wonnen“, die haben ihn für einen Moment herausgerissen und verunsichert und diesen vorsichtigen Blick auf seine Zuhörerin werfen lassen.

Er las weiter. „“Soll ich die Kerze anzünden?““ (S.22)  Schnell war Herr Meiertag mitten in der Geschichte. Bei der Stelle „Eifersucht“ (S.25) zieht seine Frau, am Rücken liegend, ihre Beine an sich heran und wippt ein wenig hin und her. Herr Meiertag schaut rasch auf und liest dann weiter.

Bei „Er träumte überhaupt nicht! Er träumte überhaupt nie!“ (S.27) schnauft Frau Meiertag und schnieft. Herr Meiertag blickt kurz hin.

Bei „Am nächsten Morgen entschloss er sich, den jungen Nervenarzt zu konsultieren“ (S. 28) kratzt sie sich am Scheitel und dreht dann ihre Haar zurecht. Dann lauschte sie wieder konzentriert seiner Stimme.

Bei „Doch nach langem Grübeln kam er endlich darauf! Ja, ja. So mußte es sein. Die gütige Natur half ihm heimlich im Schlaf.“ (S.30) legt sie sich auf die Seite, ihm den Rücken zukehrend. Irritiert schaut Herr Meiertag auf, aber weil sie nichts sagt, liest er wieder weiter.

Bei „Aber leider sollte Signor Anselmo auch diese Illusion verlieren.“ (S.31) steht Frau Meiertag auf und geht, ohne seinen Redefluß zu unterbrechen, Richtung Bad. Herr Meiertag stoppt sein Lesen und ruft ihr nach: „ Was! Mitten in meinem Vortrag stehst du einfach auf?!“ „Ja, ja“, sagt sie „und nachher putze ich mir noch die Zehen!“

Sie geht. Er erhebt sich vom Bett und tritt zum Fenster. Von diesem Fenster aus hat man eine weite Aussicht, einen Blick weit ins Land. Er betrachtet die Hügel, Berge und Täler, mit den Märkten und Dörfern, Straßen und Höfen, Feldern und Wiesen, den Wäldern und den Schipisten, den hinter Bäumen und Gebüsch versteckten Bächen und Flüssen. So weit es der Nebel zuläßt. Er schaut auf den Himmel und die Wolken und den immer stärker anrückenden Nebel. Lange steht er da. Es beginnt schon zu dämmern und die ersten Lichter gehen unten an. Er murmelt vor sich hin: „verdammt!“





(4./17.2.2017)









©Peter Alois Rumpf    Februar 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

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