602 Verdammt!
Herr Meiertag liest seiner Frau vor: „Auch in jener Nacht
weckte den armen Signor Anselmo seine Frau, ihn wütend am Arm zerrend, aus
tiefem Schlaf. „Du lachst!““ (Dieses Zitat und alle folgenden aus Luigi
Pirandellos „Du lachst“ in „Angst vor dem Glück“, Manesse Bibliothek der
Weltliteratur, Manesse Verlag, Zürich; hier S. 21).
Das Ehepaar Meiertag verbringt einen Kurzurlaub auf einem Berggasthof, hoch über dem Tal, oberhalb der winterlichen Nebelzone. Es ist später Nachmittag, sie liegen schon im Bett und beide lesen. Sie liebt es, von ihrem Mann vorgelesen zu bekommen und hat ihre Lektüre nach seiner Frage, ob er ihr etwas Lustiges vorlesen dürfe, unterbrochen.
Das Ehepaar Meiertag verbringt einen Kurzurlaub auf einem Berggasthof, hoch über dem Tal, oberhalb der winterlichen Nebelzone. Es ist später Nachmittag, sie liegen schon im Bett und beide lesen. Sie liebt es, von ihrem Mann vorgelesen zu bekommen und hat ihre Lektüre nach seiner Frage, ob er ihr etwas Lustiges vorlesen dürfe, unterbrochen.
„“Jede Nacht! Jede Nacht!“, faucht, bleich vor Ärger seine
Frau“ (S.21) liest Herr Meiertag. Seine Frau hört ihm aufmerksam zu.
Herrn Meiertag gefällt diese Geschichte und er geht darin
auf und liest mit aufgerissenen Augen und vor Begeisterung glühenden Wangen und
vergißt beinahe die Welt um sich herum. Beinahe. Nur mit seiner Frau ist er im
ausströmenden Lesefluß, der ein wenig unregelmäßig und nicht ohne Hindernisse
dahinfließt, verbunden.
Er liest. „Gereiztheit und Beschämung, Zorn und Gram ließen
die gequälte Seele des Signor Anselmo zusammenzucken wegen des kaum
glaubhaften, allnächtlichen Lachens im Schlaf, das bei seiner Frau den Verdacht
aufkommen ließ, er bade in wer weiß welchen Wonnen, während sie schlaflos
...“(S.22). Meiertag blickte kurz zu seiner Frau hinüber, die gerade wie bei
einer Yogaübung ein Bein hoch- und ausstreckte. Herr Meiertag machte sich an
und für sich keine Sorgen wegen dieser Textstelle, denn bei ihnen ist es eher
er selber, der schlaflos neben seiner selig schlafenden Frau liegt, nur die
„Wonnen“, die haben ihn für einen Moment herausgerissen und verunsichert und
diesen vorsichtigen Blick auf seine Zuhörerin werfen lassen.
Er las weiter. „“Soll ich die Kerze anzünden?““ (S.22) Schnell war Herr Meiertag mitten in der
Geschichte. Bei der Stelle „Eifersucht“ (S.25) zieht seine Frau, am Rücken
liegend, ihre Beine an sich heran und wippt ein wenig hin und her. Herr
Meiertag schaut rasch auf und liest dann weiter.
Bei „Er träumte überhaupt nicht! Er träumte überhaupt nie!“
(S.27) schnauft Frau Meiertag und schnieft. Herr Meiertag blickt kurz hin.
Bei „Am nächsten Morgen entschloss er sich, den jungen
Nervenarzt zu konsultieren“ (S. 28) kratzt sie sich am Scheitel und dreht dann
ihre Haar zurecht. Dann lauschte sie wieder konzentriert seiner Stimme.
Bei „Doch nach langem Grübeln kam er endlich darauf! Ja, ja.
So mußte es sein. Die gütige Natur half ihm heimlich im Schlaf.“ (S.30) legt
sie sich auf die Seite, ihm den Rücken zukehrend. Irritiert schaut Herr
Meiertag auf, aber weil sie nichts sagt, liest er wieder weiter.
Bei „Aber leider sollte Signor Anselmo auch diese Illusion
verlieren.“ (S.31) steht Frau Meiertag auf und geht, ohne seinen Redefluß zu
unterbrechen, Richtung Bad. Herr Meiertag stoppt sein Lesen und ruft ihr nach:
„ Was! Mitten in meinem Vortrag stehst du einfach auf?!“ „Ja, ja“, sagt sie
„und nachher putze ich mir noch die Zehen!“
Sie geht. Er erhebt sich vom Bett und tritt zum Fenster. Von
diesem Fenster aus hat man eine weite Aussicht, einen Blick weit ins Land. Er
betrachtet die Hügel, Berge und Täler, mit den Märkten und Dörfern, Straßen und
Höfen, Feldern und Wiesen, den Wäldern und den Schipisten, den hinter Bäumen
und Gebüsch versteckten Bächen und Flüssen. So weit es der Nebel zuläßt. Er
schaut auf den Himmel und die Wolken und den immer stärker anrückenden Nebel.
Lange steht er da. Es beginnt schon zu dämmern und die ersten Lichter gehen
unten an. Er murmelt vor sich hin: „verdammt!“
(4./17.2.2017)
©Peter Alois Rumpf
Februar 2017
peteraloisrumpf@gmail.com
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