Sonntag, 9. Juli 2023

3275 Am Rande

 



Ich komme vom Rande des Krieges: genaugenommen gerade noch von der Grenze außerhalb des Kampfgebietes; ein paar Meter oder hundert Meter weiter wäre schon geschossen worden. Meine Ohren dröhnen noch. Ich kann es kaum glauben, jetzt hier zu sein, aufgewacht im Bett. Gerade war noch Wald. Wald mit ein paar Lichtungen. Kleinere Gruppen der verfeindeten Nationen haben im Wald gelagert. In der Kampfzone hätten sie sofort aufeinander geschossen, hier schießen sie nicht. Mir war nicht ganz klar, wo genau die Grenze zum Kriegsgebiet verläuft, und mir war auch nicht klar, welche der lagernden Grüppchen Feinde waren und welche nicht. Ich konnte sie an der Sprache nicht unterscheiden. Außerdem haben alle mit Absicht sehr leise gesprochen, damit die verfeindete Gruppe nebenan sie nicht versteht, denn die Sprachen waren nicht so verschieden. Ich aber verstand weder die eine noch die andere.

Ich betrachte die verschwommenen Lichtflecken und ihre schattigen Auslagerungen an der weißen Wohnzimmerwand, als würden mir diese Muster und Formen irgendetwas ausrichten wollen; weil ich sie nicht lesen konnte, sehe ich sie nun einfach als graphisches Geschehen. Oh Gott! Mein Leben! Mir wird fast schlecht. Soll ich bei der Hitze, die heute kommen wird, raus ans Wasser oder mich in der abgedunkelten Wohnung verstecken? Ich weiß es nicht. Ratlos und ohne Fokus starre ich vor mich hin. Die Nase tropft als hätte ich Schnupfen. Ein leichter Wind bläht den Wohnzimmervorhang. Ich bekomme die Nase nicht frei. Und ich vergesse so viel. Was war mit Mittwoch Abend? Der Rotz wird richtig lästig.

(9.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

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