3269 Meine Frau schimpft mit mir
Meine Frau schimpft mit mir, weil ich seit gestern früh noch keinen neuen Text auf die Schublade gestellt hatte. Was ich denn den ganzen gestrigen Tag gemacht habe, fragt sie. Ja was!?! Das weiß ich doch selber nicht mehr! Wenn ich mich konzentriere und nachdenke, fällt mir ein, ich war in der Städtischen Bücherei und hab mir „Tubutsch“ von Albert Ehrenstein, „Nach der Flut das Feuer“ und „Von einem Sohn dieses Landes“ von James Baldwin und „Im Kältefieber“, Herausgeber Erich Hackl und Eveline Polt-Heinzl wegen eines Textes von Miroslav Krleža ausgeborgt und zu Hause den Ehrenstein gleich zu lesen begonnen. Also ganz gleich war es auch wieder nicht: vorher habe ich noch gegessen. Ich bin nämlich am Heimweg noch mit dem schweren Rucksack voller Bücher zum Billigladen gegangen und habe mir ein Vollkornbiobaguette und einen cleveren Wurstsalat gekauft, mir Kräutertee gemacht und Mahl gehalten. In der Bücherei ist auch nicht alles gleich auf Anhieb glatt gegangen: zuerst finde ich – bei dieser wirklich unübersichtlichen Ordnung – die Abteilung PVL nicht, dann habe ich noch eine Frage wegen der unüblichen und komischen Absperrungen heute inmitten der Bibliotheksräume und dann stelle ich beim Eincheck im Ausleihautomaten fest, dass meine Büchereikarte seit einer Woche abgelaufen ist und mußte fragen wie ich da tun muß. Mit all diesen Fragen und Problemen habe ich mich an die selbe, sehr freundliche und tätowierte Dame am Infopoint - aber für jede Frage extra - gewandt. Mir war meine mehrmalige Fragerei schon etwas peinlich (alter Mann und Modernitätsverlierer), aber hätte ich mich nach ihrer letzten Auskunft über den Kassaautomaten die Jahreskarteneinzahlung trotzdem nicht hinbekommen und nocheinmal deswegen zu ihr hin müssen, hätte ich aufpassen müssen, mich nicht in sie – sozusagen – zu verlieben. Oder besser: sie hätte aufpassen müssen, denn ihr wißt eh, wie das mit schwachen, unreifen Männern ist: wenn eine Frau und sogar dreimal zu einem solchen Typen freundlich ist, bildet er sich ein, sie mache ein – natürlich exklusives – Beziehungsangebot und sie gehört schon ihm. Dabei hätten wir gar nicht zusammengepasst: sie souverän, selbstbewußt und abenteuererfahren, ich ohne Führerschein, mein Spießertum schlecht getarnt … naja, lassen wir das. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie mir gefallen hat. Aber glücklicherweise habe ich das mit dem Kassaautomaten geschafft und bin so wieder losgekommen und nach Hause gefahren, wo ich dann im Tubutsch gelesen, viel zu viel Krimis geschaut und sonst am Laptop ein gut Stück meiner restlichen Lebenszeit vertrödelt habe, bis meine entzündeten Augen, die ich den ganzen Tag über brav mit Sonnenbrille vor zu grellem Licht geschützt hatte, wieder zu tränen und brennen begonnen haben und blutunterlaufen geworden sind.
(5.7.2023)
Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com
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