Samstag, 29. Juli 2023

3313 Wolkenexplosion

 



Ich sitze im Garten dem Schloss Seggauberg gegenüber, hinter mir der uralte Frauenberg. Die Wolken sind grau und könnten irgendwo im Norden Regen gebracht haben oder noch bringen. Die Wolken sind aber nicht bloß grau, sondern bilden die unterschiedlichsten Gestalten: runde, volle, barocke Formen, dünne Schleier, langgezogene Wolkenbilder, an einer Seite ausgezackt wie Sägeblätter. Die Sonne – schon nahe am Horizont – macht Lichtspiele der subtilen Art. Im Süden überziehen den Himmel verspielte, in Zeitlupe tanzende Wolkenschlieren, eindrucksvoll in ihrem zarten und einfallsreichen Schwebezustand, wie von großen Künstlerinnen im Zustand tiefster Meditation und emotionalen Verdichtung hingeschleudert. Dort, wo die Sonne untergeht, sagen wir Nordwesten, sammelt und zentriert sich die Himmelsdramatik, schichten sich die verschiedensten Wolken übereinander, aber mit Bedacht, so, dass das letzte Sonnenlicht noch ein wenig in einzelnen Flecken durch kann und tröstend-traurigen Lichtschimmer macht und leuchtende Konturen auf so manchem Wolkengebilde. Der Weinberg da drüben hat sich seine Reihen horizontal gezogen – mir kommt der Hang recht steil vor. Durchzogen wird der Platz hier von einer verkehrsreichen Straße, die lockere Autokolonne hört fast nie auf. Doch! Jetzt! Aber andere Straßen in der Nähe – zum Beispiel die über der Sulm drüben – helfen dem nachlassenden Verkehrslärm, sich tapfer aufrecht zu halten. Wie es am Land halt so ist. War das die erste Fledermaus oder ein später Vogel? Ich vermute letzteres, aber es ist so schnell gegangen, mein Auge ist nicht mitgekommen.

Hinter dem Zaun steht die Maria vorm Kreuz schleppenden Jesus und ringt ihre Hände in gespielter Verzweiflung. Der Jesus steht wie unbeteiligt, das Kreuz gleichgültig geschultert, schaut gelangweilt drein und macht den Eindruck eines schlechten Schauspielers irgendwelcher heruntergekommenen Passionsspiele. Im Norden die Wolken schauen nun wirklich regenschwer aus, aber die Abenddämmerung kann täuschen. Auf der Wiese unterm steilen Weingarten grasen Schafe. Das Licht im Westen ist weg. Es ist von einer feingerippten Wolkendecke gut verhüllt, nur weiter oben ist die Decke schon schleißig und ein paar weißliche Lichtflecken der untergegangenen Sonne schimmern durch. Für einen kurzen Moment gibt es hier fast die sehnsüchtig erwartete Abendstille, dann startet ein Wagen in der Nachbarschaft, dessen Geräusch ich zuerst für ein fernes Donnergrollen gehalten habe. Das Regenhafte in den Wolken zieht immer weiter in den Süden her. Der gesamte Himmel ein Wahnsinnsgemälde in grau. Es gibt nur eine schmale weißliche Passage im Ganzen und darüber ein trübes Regenweiß als Zentrum; wie der Abglanz des Kerns einer fernen Wolkenexplosion.

(28.7.2023)

Peter Alois Rumpf Juli 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

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